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Ghorfa-Wirtschaftsforum

»Wir Deutschen lieben die Kritik!«

Feature

15 Prozent Solarstrom für Katar, »offene EU-Märkte« für arabische Agrarprodukte und die möglichen Folgen deutscher U-Boot-Lieferungen an Israel. Was auf dem Ghorfa-Wirtschaftsforum so zur Sprache kam.

Katars Staatsfonds ist einer der finanzstärksten Investoren in europäischen Konzernen und bietet derzeit bei der Privatisierung griechischen Staatseigentums mit. Das Emirat wird Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und hat sich für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2020 beworben: Es lag also auf der Hand, dass die Kataris als Partnerland beim diesjährigen Wirtschaftsforum der Deutsch-Arabischen Handelskammer »Ghorfa« in Berlin antreten.

 

Bei dem Industrie- und Lobbygipfel, der in der vergangenen Woche im Hotel Ritz Carlton stattfand, stellten die Kataris unter anderem Kreditfinanzierungsmodelle und ihr Staatsprogramm für Nahrungsmittelsicherheit (QNFSP) vor. Eine Nachricht, die für deutsche Hersteller und Investoren besonders interessant sein könnte, hatte QNFSP-Direktor Fahad al-Attiya bereits vor dem Ghorfa-Forum im Interview mit zenith überbracht: Da die Nahrungsmittelsicherheit von strategischer Bedeutung für das Emirat sein, dürften in dieser Branche tätige Ausländer zukünftig auch ohne einen lokalen Partner in Katar ein Unternehmen gründen – und zu 100 Prozent Eigentümer werden.

 

Gute Nachrichten für die gebeutelte Solarbranche?

 

Besonders für die in Europa derzeit angeschlagene Solarbranche hatten die Kataris erstmals konkrete Zahlen anzubieten: Bislang glänzte der Gas-Exporteur bei der Nutzung der Solarenergie vor allem durch große Ankündigungen. Völlig ungeklärt war bislang, wann Solarstrom auch ins öffentliche Netz eingespeist wird. In Berlin erklärte nun der Chef von »Qatar Solar Technologies«, Khalid Klefeekh al-Hajri, bis zum Jahr 2018 wolle das Land 10 bis 15 Prozent seines Stroms aus Solarkraft gewinnen.

 

Sein Unternehmen, das am Golf bald Sonnenpaneele herstellen will, prüfe derzeit mit dem Strom- und Wasserversorger QWEC die Umsetzung dieses Plans, so Hajri. Zwei globale Probleme fanden ihren Widerhall auch in den diversen Panels des Forums: die Krise der Finanzwirtschaft und die möglichen Auswirkungen einer Eskalation im Atomstreit mit dem Iran auf die Golfstaaten.

 

So drängte der in Doha ansässige Wirtschaftsanwalt und Consultant Philipp von Randow in seinem Vortrag auf den Aufbau lokaler Kapital-und Anleihenmärkte in der Nahost- und Golfregion. Derzeit stehe viel zu wenig Geld für die Finanzierung mittelständischer Unternehmen bereit – Anleger seien weltweit auf der Suche nach »sicheren Wertpapieren«, Kapital sei also vorhanden.

 

Dem Risiko einer Eskalation des Irankonflikts für die Golfstaaten steht Richard Fox, Chef der Nahost- und Afrikadienste der Rating-Agentur Fitch, offenbar gelassen gegenüber. Selbst im »worst case« eines militärischen Angriffs der USA oder Israels »werden die Staaten des Golfkooperationsrat wohl eher gut durchkommen« und ihre Bonität behalten, sagte Fox. Für die agrarwirtschaftlich produzierenden Staaten der arabischen Welt dürften die Äußerungen des persönlichen Beauftragten des Bundesaußenministers für die arabische Welt, Volkmar Wenzel, von Interesse sein: Deutschland setze sich in der EU verstärkt dafür ein, dass der europäische Markt für die Produkte der Mittelmeeranrainer geöffnet werde.

 

»Wenn die Araber ihre Märkte aufmachen, öffnen wir auch unsere«, erklärte Wenzel. Die diesbezüglichen Verhandlungen in Brüssel, so betonte Wenzel auf Nachfrage, seien weit gediehen – seine Worte keine »leeren Versprechungen«.

 

»Die U-Boote werden Konsequenzen haben!«

 

Auf einem Wirtschaftsforum einer Organisation, die der Generalunion der Handelskammern in der Arabischen Welt untersteht und sich mit wechselseitiger politischer Lobby-Arbeit befasst, erwarten die Besucher für gewöhnlich keine kontroversen politischen Debatten. Insofern könnte die Abschlussdiskussion des Forums als Premiere in die Ghorfa-Geschichte eingehen: Mohammad Halaiqah, Vorsitzender des Außenausschusses im jordanischen Parlament, griff die deutsche Haltung in der Nahostfrage an.

 

Die Position Berlins im israelisch-palästinensischen Konflikt, so erklärte Halaiqah, habe sich in den letzten Jahren weg von einer engagierten Neutralität zu einer »voreingenommen pro-israelischen« bewegt. Mit Bestürzung habe die arabische Welt die jüngsten Presseberichte über die deutsch-israelische Zusammenarbeit bei der Entwicklung nuklearwaffenfähiger U-Boote aufgenommen. »Das wird auch Konsequenzen für die Rahmenbedingungen deutsch-arabischer Geschäfte haben«, sagte Halaiqah.

 

Diplomat Volkmar Wenzel verwahrte sich gegen die »polemischen Äußerungen« des Jordaniers: Deutschland achte stets auf eine »ausgewogene Haltung«, sei aber darüber hinaus keine starke Macht in der Region – die arabische Welt solle vielmehr versuchen, sich stärker Gehör in Washington zu verschaffen. Der Moderator, Wirtschaftsanwalt und Ghorfa-Vorstand Florian Amereller forderte eine Kultur des offenen Austausches, die von den Erfahrungen des arabischen Frühlings beflügelt werden könne.

 

»Wir Deutschen haben begriffen, dass unsere Standards im Nahen Osten nicht funktionieren« – man habe sich aber auch zu sehr daran gewöhnt, gewisse Themen nicht mehr in der arabischen Welt anzusprechen, etwa deren Verhältnis zu Israel. »Die arabische Welt kritisiert nicht gerne und wird nicht gerne kritisiert – wir Deutschen lieben aber die Kultur der Kritik. Deshalb sind wir zwar nicht das lustigste Volk der Welt, bauen aber die besten Maschinen«, räsonierte Amereller.

 

Störfeuer für das Ghorfa-Forum kam indes nicht aus dem Nahen Osten, sondern aus der nur wenige Kilometer vom Ritz Carlton entfernten Jägerstraße: Einen Tag vor Konferenzbeginn hatte die Geschäftsführung des dort ansässigen Nah- und Mittelostvereins (NUMOV), eines Mitbewerbers der Ghorfa für deutsch-arabische Geschäftskontakte, Unternehmen und Journalisten angeschrieben, um die Legalisierungsdienste der Ghorfa für deutsche Exportfirmen in der arabischen Welt zu kritisieren.

Von: 
Daniel Gerlach

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