1990 überfiel Saddam Hussein den kleinen Nachbarn, 2003 warb der Golfstaat für die Invasion der »Koalition der Willigen«. Nun scheinen sich der Irak und Kuwait einander wieder anzunähern.
Die Besetzung Kuwaits durch Saddam Husseins Truppen 1990 und der folgende Zweite Golfkrieg waren das traumatischste Ereignis in der jüngeren Geschichte des Landes – das mit dem Rückzug der irakischen Truppen am 27. Februar 1991 keineswegs vorbei war: Unmittelbar auf die Befreiung folgte ein interner Konflikt, der die Unterdrückung und Vertreibung von 400.000 in Kuwait lebenden Palästinensern zur Folge hatte, die als Kollaborateure der Iraker wahrgenommen wurden.
Auch die Rechtslage der »Bidun« – staatenloser Bewohner des Landes – verschlechterte sich deutlich, und im Parlament herrschten beinahe anarchische Verhältnisse, die die Legitimation der Herrscherfamilie Al-Sabah schwächte. Die totale Zerstörung von Infrastruktur und Ölförderanlagen verschärfte die Situation zusätzlich. In der Regel wurde der Irak für all diese Probleme verantwortlich gemacht, hatte er doch die – tatsächliche oder eingebildete – Balance zwischen den verschiedenen Schichten der kuwaitischen Gesellschaft ins Wanken gebracht.
Es überrascht daher wenig, dass im Jahr 2003 viele Kuwaiter die US-Invasion des Irak für durchaus berechtigt hielten. Vermutlich gab es keinen überzeugteren Fürsprecher des Angriffs als den damaligen Emir von Kuwait, Jaber III. al-Sabah. Der folgende Irak-Krieg, den die »Koalition der Willigen« unter Führung der USA am 19. März 2003 begann, hatte außer einigen Raketenirrläufern im Eröffnungsmanöver keine weiteren Auswirkungen auf Kuwaits Wirtschaft.
Während die irakische Volkswirtschaft neue Tiefpunkte erreichte, begann Kuwaits Wirtschaft im selben Maße zu wachsen. Auch die prekäre soziale und politische Stabilität des Landes überstand den Krieg, da der Emir gegenüber Oppositionsgruppen und dem Parlament eine starke Position behauptete.
Für alle internen Probleme Kuwaits wurde der Irak verantwortlich gemacht
Die Feindseligkeit der Kuwaiter gegenüber Irakern, die zu Beginn der US-Invasion ihren fiebrigen Höhepunkt erreicht hatte, hielt jedoch nicht bis zum Ende der Besatzung an. Es gibt mehrere Gründe, die dazu beigetragen haben – und den Grundstein für die spätere Verbesserung der Beziehungen legten: Zum einen kann dies mit einer Art »kollektiver Amnesie« erklärt werden, die Kuwaits Gesellschaft durchzieht. Viele ältere Kuwaiter sprechen aus Scham, Wut oder Verzweiflung nur selten über die Ereignisse der irakischen Besatzung.
Zudem haben Kuwaits diverse Bevölkerungsgruppen diese Zeit völlig unterschiedlich erlebt: Während viele »hadhari« (urbane Kuwaiter) während des Krieges in die USA oder nach Europa flohen, saßen viele Beduinen – also Kuwaiter aus ländlichen Stammesgebieten – sowie die Bidun entweder im Land fest oder flohen nach Saudi-Arabien. Dies führte zu gänzlich unterschiedlichen Sichtweisen auf den Krieg und verhinderte das Entstehen eines gemeinsamen Narrativs.
Die direkt vor oder nach 1989 geborenen Kuwaiter wiederum wissen sehr wenig über die Besatzungszeit. Da sie mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes ausmachen, haben Ressentiments gegen den irakischen Nachbarn schrittweise nachgelassen. Ein weiterer, eventuell entscheidender Faktor ist, dass die hohen Opferzahlen unter den Irakern während des Zweiten Golfkriegs sowie das von der amerikanischen Besatzung verursachte Chaos nach 2003 die kuwaitischen Feindseligkeiten gegenüber ihren Nachbarn gedämpft haben.
Den meisten Kuwaitern ist bewusst, dass die irakische Bevölkerung ein Opfer des eigenen Regimes geworden war. Eine der gefährlichsten Folgen der US-amerikanischen Besatzung des Irak, die mit dem Truppenabzug 2011 offiziell endete, ist die zunehmende konfessionelle Spaltung in der Region; sie bereitet vielen Menschen in Kuwait Sorge, wieder zwischen die Fronten zu geraten wie während des Iran-Irak-Kriegs in den 1980er Jahren. Auch das Machtvakuum im Irak stellt ein Risiko für Kuwait dar.
Daher wünscht sich das kleine Königreich mehr Stabilität im Nachbarland. Die Folge ist, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sich schrittweise zu verbessern begonnen haben. Dies zeigt sich beispielsweise an den zunehmenden Investitionen kuwaitischer Privatunternehmen in den »sichereren« Regionen des Irak, wie Erbil im Norden oder Kerbela und Nadschaf im Süden. Die Aussicht eine auf engere wirtschaftliche Verflechtung ist für beide Seiten verlockend.
Als besonders attraktiv erscheint das Potenzial Kuwaits mit seinen großen Gasvorkommen und seinem technischem Know-how, künftig den hohen Energiebedarf des Irak decken zu können. Schon seit einiger Zeit sieht man an der Grenze immer mehr Stromleitungen, die die beiden Länder verbinden. Auf der persönlichen Ebene lässt sich verzeichnen, dass alte Freundschaften und Familienbande über die Grenze hinweg neu geknüpft werden. Und auch die staatlichen Beziehungen zwischen dem Irak und Kuwait verlaufen größtenteils wieder freundschaftlich.
Seit dem Sturz der Baath-Partei im Irak hat sich das offizielle Verhältnis zu Kuwait stetig verbessert; dies äußerte sich 2005 mit der Eröffnung einer vorläufigen irakischen Vertretung in Kuwait-Stadt und im Mai 2010 schließlich mit der Entsendung eines Botschafters. Der Besuch des kuwaitischen Emirs anlässlich des Gipfeltreffens der Arabischen Liga in Bagdad im März 2011 und die Reise des irakischen Premierministers Nuri al-Maliki nach Kuwait im selben Monat wurden allgemein als entscheidender Schritt zur Aussöhnung der beiden Staaten angesehen.
Dieses Gefühl brachte auch Kuwaits Premierminister Jaber al-Mubarak al-Sabah im September 2012 vor der UN-Generalversammlung zum Ausdruck: Kuwait habe »sich entschlossen, Vergangenes ruhen zu lassen und ein neues Kapitel in der Geschichte der Beziehung zwischen unseren beiden Staaten zu beginnen«.
Zwei der größten Hindernisse auf dem Weg zur Aussöhnung wurden inzwischen beseitigt
Was die Nachwehen des Zweiten Golfkriegs angeht, so wurden in den vergangenen Monaten zwei der größten offiziellen Hindernisse auf dem Weg zur Aussöhnung beseitigt: Zunächst einigten sich beide Länder darauf, das Öl der Ghazi-Felder entlang der irakisch-kuwaitischen Grenze – seinerzeit auslösendes Moment für Saddam Husseins Invasion – zu teilen. Darüber hinaus wurde ein lange schwelender Disput um Iraqi Airways endgültig beigelegt: Kuwaitische Fluggesellschaften hatten gegen irakische Airlines geklagt, da bei der Invasion 1990 die gesamte kuwaitische Flotte entweder zerstört oder beschlagnahmt worden war.
Der Irak zahlte nun eine Abfindung in Höhe von 500 Millionen US-Dollar und ermöglichte so die Wiederaufnahme der Strecke Kuwait–Bagdad–Kuwait: Ende Februar 2013 hob ein Jet von Iraqi Airways zum ersten Flug nach Kuwait seit 1990 ab. So weit, so gut. Doch auch die nächste Phase der irakisch-kuwaitischen Beziehungen wird von ungelösten Konflikten geprägt sein. Ein Hauptreibungspunkt bleiben der Zugang zum Golf und der Verlauf von Grenzlinien.
Diese Dispute, die noch aus den Zeiten der Osmanen und der britischen Herrschaft stammen, schwelen unter der Oberfläche weiter. Angefacht werden sie durch ausstehende irakische Reparationszahlungen in Höhe von 21,7 Milliarden US-Dollar, das nach wie vor ungeklärte Schicksal mehrerer hundert seit 1990/1991 vermisster Kuwaiter und die Rückgabe gestohlener Artefakte. Kuwait hat angedeutet, die Schulden möglicherweise zu erlassen, sollten sich die zwischenstaatlichen Beziehungen signifikant verbessern, eine Umsetzung bleibt allerdings abzuwarten.
Dennoch ist offensichtlich, dass der Umgang der beiden Staaten miteinander kollegialer verläuft und weniger von scharfer Polemik bestimmt ist als in den beiden vergangenen Jahrzehnten. Sowohl Kuwaits Bevölkerung als auch die Regierung scheinen sich aus dem Schatten der beiden Kriege zu lösen – was in einer Region mit chronischem Mangel an guten Nachrichten schon als positiv gelten kann.
Interessanterweise ist der neueste Hinderungsgrund für eine Aussöhnung die unruhige politische Lage in Kuwait: Bereits zweimal musste der kuwaitische Premierminister wegen dringender interner Angelegenheit einen Besuch in Bagdad absagen. Eine durchaus ironische Wendung, dass nun der Irak darauf warten muss, dass Kuwait seine politische Situation wieder einrenkt.