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Fingerzeig nach Riad

Fingerzeig nach Riad

Analyse

Die vermeintliche Stabilität des Assad-Regimes trägt kaum zur eigenen Sicherheit Irans bei. Iranische Analysten schlagen nach dem Fall von Mossul Alarm – und machen einen Schuldigen für den Vormarsch der Extremisten aus.

Die iranische Syrienpolitik hatte bis zum Amtsantritt von Hassan Ruhani im Sommer 2013 bereits mehrere Wandlungen hinter sich. Unter anderem hatte Teheran versucht, mittels zweigleisiger Diplomatie mit einigen westlichen Staaten zu einer gemeinsamen Lesart zu kommen. Der relative militärische Erfolg von Baschar Al-Assad und die – ebenfalls relative – Stabilisierung seines Regimes, sowie das Scheitern der Genfer Verhandlungen bestärkten die Iraner jedoch darin, mit möglichst geringem eigenen Einsatz – freiwillige Kämpfer, nachrichtendienstliche und wirtschaftliche Unterstützung, libanesische Hizbullah – die eigene Position zu wahren und im übrigen auf die Wahlen in Syrien zu verweisen.

 

Die konservative Onlineplattform Alef kann den syrischen Wahlen vom 3. Juni 2014 sogar einen demokratischen Fortschritt abgewinnen (!): Denn erstmals seit der Errichtung der Familienherrschaft des Assad-Clans waren mehr als nur ein Kandidat zur Wahl zugelassen. Andere Onlineportale wie die liberale Fararu verzichteten auf derlei Analyse, zeigten in ihrer Fotoserie aber viele unverschleierte Frauen und öffentlich sichtbare Stimmabgaben – selbstverständlich für Assad. Nur wenige Medien, wie die Hezbollahi-Plattform Schaffaf gingen so weit, die Wahlen als Beweis für die große Beliebtheit Baschar Al-Assads zu deuten.

 

Der außenpolitische Berater des Revolutionsführers, Ali Akbar Velayati, wusste aber ohnehin, dass die Chancen für Assad wieder gewählt zu werden, ausgezeichnet waren. Auf seiner eigenen Webseite betont Velayati, dass durch diese Wahl das syrische Regime an Legitimität gewonnen hat. Teheran nimmt die Bedrohung durch radikale sunnitische Dschihadisten sehr ernst. Durch den Bürgerkrieg in Syrien rücken tschetschenische und andere kaukasische und zentralasiatische Gruppen, die bislang auch im Iran kaum bekannt waren, in das Blickfeld der iranischen Öffentlichkeit.

 

Besonders große Sorge bereitet den Iranern dabei die Entwicklung der Organisation »Islamischer Staat im Irak und der Levante« (ISIS), deren Aufstieg und potentielles Bedrohungspotential für Iran in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Hamschahri Diplomatik vom Februar 2014 analysiert wurde. Spätere Ereignisse wie die Einnahme Mossuls Mitte Juni 2014 bestätigten die Gefahr, die von dieser Gruppe ausgeht.

 

Das News-Portal Tabnak betont die strategische Bedeutung der Einnahme Mossuls und führt weiter aus, dass die Gruppe finanziell durch Ausplünderung der Banken der Stadt und materiell durch zurückgelassenes Kriegsgerät gestärkt sei. In einer Analyse der militärischen und politischen Fähigkeiten von ISIS zeigen sich die anonymen Autoren von der schnellen Entwicklung und hohen Leistungsfähigkeit der Gruppe überrascht. Besonders beunruhigend aus iranischer Sicht ist dabei die Tatsache zu werten, dass es weder in Syrien noch im Irak Widerstand von Seiten der Bevölkerung gegen die Expansion dieser Gruppen gegeben hat.

 

ISIS ist nun nahe an die kurdischen und schiitischen Gebiete des Irak herangerückt, womit sich die Parameter des Konflikts verändern – in welche Richtung verraten uns die Autoren nicht. Im Zusammenhang mit dem Fall von Mossul betonen iranische Irak-Experten die Rolle Saudi-Arabiens, das ihrer Ansicht nach »die Terroristen im Irak beschützt und führt«. Ähnliche Vorwürfe werden in der gesamten iranischen Presse erhoben, so auch auf der dem iranischen Sicherheitsapparat nahe stehenden Webseite Baztabonline. In der dort veröffentlichten Analyse über ISIS wird neben Saudi-Arabien auch Katar als Drahtzieher dieser Gruppe genannt.

 

Derlei Anschuldigungen haben offizielle iranische Stellen bislang vermieden, doch das scheint sich zu ändern. So gab Revolutionsführer Ali Khamenei in einer Rede am 4. Juni 2014 die verbindliche Lesart vor: Es handelt sich nach seiner Darstellung um ungebildete und verführte Elemente, die zu keiner eigenen Urteilsfindung fähig und von ausländischen Geheimdiensten fremdgesteuert sind. Zwar werde man mit aller Macht gegen sie vorgehen, wenn sie Iran direkt angreifen, aber sie sind nicht der eigentliche Feind.

 

Dieser seien jene Kreise, die nichts unversucht lassen, um Zwietracht unter den Muslimen zu säen. Im Zusammenhang mit dem Besuch des Emirs von Kuwait Anfang Juni wurde Khamenei noch deutlicher: So drückte er seine Besorgnis über die Zunahme der terroristischen Aktivitäten aus, die von manchen Staaten in der Region geduldet oder gar unterstützt werden. Damit ist vor allem Saudi-Arabien gemeint, was wiederum die Vermutung erklärt, wonach der Emir von Kuwait als Vermittler nach Teheran gekommen wäre.

 

In seiner Analyse der iranisch-saudischen Beziehungen weist der Politikwissenschaftler Hamid Reza Dehqan in der Hamschahri Diplomatik zunächst auf die Gemeinsamkeiten beider Länder hin: Beides sind Erdölstaaten und in der Außenpolitik spielen Jerusalem und die Palästinafrage eine zentrale Rolle. Die Rivalität zwischen Teheran und Riad sieht er in erster Linie strategisch begründet, Fragen der Ölpreispolitik und das jeweilige Verhältnis zum Westen wirken sich ebenfalls auf die bilateralen Beziehungen aus.

 

Zu Recht weist er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass selbst, als beide Staaten als prowestlich galten, die bilateralen Beziehungen kompliziert und teilweise gespannt waren. Die unterschiedlichen iranischen und saudischen Ansätze im Nahostkonflikt – Widerstand um jeden Preis und Friedensplan König Abdullahs – führt er auf die jeweiligen Ideologien – sunnitischer Wahhabismus und revolutionärer Schiismus – zurück. Die Konsequenz der religiös-ideologischen Verschärfung des strategischen Gegensatzes ist seiner Ansicht nach eine Schwächung der politischen Handlungsfähigkeit der islamischen Welt.

 

Dabei könnten die Region und die beiden Führungsmächte viel gewinnen – man denke nur an die komplementären Wirtschaften Irans und Saudi-Arabiens. Die Annäherung und Verständigung mit Saudi-Arabien wurde schon zu Mahmud Ahmadinejads Zeiten versucht und ist eine Priorität für die Regierung Ruhani. Inwieweit dies angesichts der Situation in Syrien und Irak noch realistisch ist, bleibt abzuwarten.

Von: 
Walter Posch

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