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Fahrplan des nachrevolutionären Ägyptens

Und der Sieger heißt Tantawi

Feature

Parlament, Verfassung, Präsident – der Fahrplan des nachrevolutionären Ägyptens ist nur noch Makulatur, nachdem sich der Militärrat umfangreiche Kompetenzen sichert. Der Weg zurück in den Polizeistaat ist somit vorgezeichnet.

Die Präsidentschaftswahlen sind gelaufen. Muhammad Mursi gegen Ahmed Schafik – für viele war das die Wahl zwischen Pest und Cholera. Einige wählten also Schafik, um die totale Machtübernahme der Muslimbrüder zu verhindern. Andere wählten Mursi, um die Rückkehr des alten Regimes zu verhindern. Wieder andere enthielten sich, mal ganz leise, indem sie einfach zu Hause blieben. Mal eher lauter, indem sie Beleidigungen, Zeichnungen oder Nachdenkliches auf die Wahlzettel schrieben, diese fotografierten und auf Facebook stellten.

 

»Ich habe geschrieben: Die Revolution geht weiter ihr Hundesöhne«, so ein Aktivist. Dennoch war der Enthusiasmus bei der Stichwahl deutlich geringer als bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, denn der Urnengang wurde überschattet von Gerichtsentscheiden, die allzu deutlich werden ließen, dass das alte Regime einen Übergang zur Demokratie nicht zulassen wird. Die Auflösung des Parlaments durch das Verfassungsgericht war vor allem ein Schlag gegen die Muslimbrüder, die im Parlament die Mehrheit haben.

 

Deshalb profitierte ihr Kandidat Muhammad Mursi auch von der Gerichtsentscheidung. Viele fürchteten nun eine Rückkehr des alten Regimes und votierten für die einzige verbleibende Alternative, Mursi. Vorläufige Ergebnisse deuten nun auch tatsächlich auf einen knappen Sieg Mursis hin, der besonders in Oberägypten viele Stimmen gewinnen konnte. Das amtliche Endergebnis bleibt aber abzuwarten. Mursi deklarierte in einer Pressekonferenz bereits seinen Sieg, er versprach, der Präsident aller Ägypter sein zu wollen und einen zivilen, modernen Staat aufzubauen.

 

Wirklich entscheidend ist nach dieser Nacht gar nicht, wer nun Präsident wird

 

Doch wirklich entscheidend ist nach dieser Nacht gar nicht, wer nun Präsident wird. Entscheidend ist die Verfassungserklärung, die der Militärrat am Sonntagabend nach Schließung der Wahllokale veröffentlichte. Nach Auflösung des Parlaments wird die Verfassungsgebende Versammlung direkt vom Militärrat bestimmt.

 

Zudem hat dieser ein Vetorecht bei allen Entscheidungen, die die Verfassung betreffen: »Falls der Vorsitzende des Militärrats, der Premierminister, der Oberste Gerichtshof oder ein Fünftel der Verfassungsgebenden Versammlung befinden, dass die neue Verfassung einen oder mehrere Artikel enthält, die gegen die Ziele der Revolution sind oder ihren Prinzipien entgegenstehen oder gegen ein Prinzip aus Ägyptens vorherigen Verfassungen sind, soll die Verfassungsgebende Versammlung diese Artikel innerhalb von 15 Tagen revidieren.«

 

Sollte Unruhe oder Chaos im Land entstehen, hat das Militär das Recht einzugreifen. Der Weg zurück in den Polizeistaat ist somit vorgezeichnet. Der Militärrat sicherte sich gleich noch das Budgetrecht, ebenso wie alle legislativen Kompetenzen, solange kein neues Parlament gewählt wird. Der Militärrat ist also höchste Macht im Staat und kann auch Gesetze erlassen, die ihm diese Position langfristig garantiert.

 

Zudem hat laut der Erklärung der Militärrat die Hoheit über die Streitkräfte, über Einsätze des Militärs im Inneren und Äußeren, über das Budget, sowie über die Besetzung von Ämtern und Positionen im Militär. Politische Parteien und Aktivisten reagieren empört, sie sprechen von einem Staatsstreich oder einem Militärputsch über Nacht. Eine Karikatur auf Facebook fragte ironisch: »Es sollte doch Mursi gegen Schafik antreten….Wie kommt es dann, dass nun Tantawi gewonnen hat?«

Von: 
Victoria Tiemeier

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