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Ein Jahr nach den Wahlen in Marokko

Schariakonform und gut

Kommentar

Ein Jahr nach den Wahlen in Marokko zeigt sich, dass es der politische Islam in Marokko seinen Vorgängern im Regierungsamt gleich macht: Nicht viel passiert, nur mit einem Schuss mehr Chauvinismus.

Vergewaltigungen? Kein Problem. Gewalt gegen Frauen? Kein Thema. Frauenrechte? Keine Zeit. Bei der Regierungserklärung des marokkanischen Ministerpräsidenten Abdelilah Benkirane sitzen die meisten Parlamentarierinnen auf den Bänken der islamistischen PJD-Partei und klatschen ergeben. Vor einem Jahr wurde die Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung bei den Parlamentswahlen stärkste Kraft und führt seitdem die Regierungskoalition an, wie immer an der kurzen Leine des Königs, aber mit dem Anspruch neue Akzente zu setzen.

 

»Wir können nicht viel für die Rechte der Frauen tun, das ist eine gesellschaftliche Angelegenheit und unsere Gesellschaft fußt auf alte, noble und frauenfreundliche Prinzipien, die Ehefrau und Mutter ehren«, sagt Benkirane. Es ist ihm sichtlich unangenehm, zum Thema zu sprechen, und sogar etwas unfair ihm gegenüber. Denn bei Frauenrechten kann er nur ins Fettnäpfchen treten. Authentisch, überzeugt und gewollt.

 

Eine Studie, die besagt, dass 60 Prozent der Frauen in Marokko außerhalb und innerhalb der Ehe physische und psychische Gewalt erfahren haben, kommentiert der Regierungschef lapidar: »Kommt schon Leute! Ihr Frauen seid doch auch nicht ohne, ihr seid Weltmeisterinnen, wenn es darum geht uns Männer zu beleidigen«, das Gelächter im Saal ermutigt den stotternden Benkirane festzustellen, dass analog zu dieser Studie 60 Prozent der Frauen im Parlament auch geschlagen werden müssten: »Das ist doch auch ausgeschlossen meine Damen!«.

 

Mädchen musste ihren Vergewaltiger heiraten

 

Benkirane ist dafür, dass minderjährige Mädchen schon ab 15 Jahren heiraten dürfen: »Was sollen wir sonst mit den jungen Frauen auf dem Land machen?«, fragt sich der Ministerpräsident und verweist auf »viele europäische Länder«, in denen das auch die Praxis sei. Mit Blick auf das Demonstrationsrecht für Frauen wird der Regierungschef beinahe gönnerhaft: »Aber nur wenn es um richtige und wichtige Sachen geht, wenn es um falsche Dinge geht, brauchen wir diese Demos nicht.« Mehr Zeit, das möchte er auch: »Ihr habt es in 30 Jahren nicht geschafft, die Probleme zu lösen, wir können es nicht in einem Jahr richten«. Frauenrechte seien dabei keine Frage von Moderne und Fortschritt, es gehe um »das was zu uns passt«.

 

Viele marokkanische Frauenrechtlerinnen reagierten entsetzt über die Worte ihres Premiers: Noch im März 2012 hatte der Fall Amina Filali zumindest unter Feministinnen in Marokko Aufsehen erregt. Die Minderjährige brachte sich in der Küstenstadt Larache um, nachdem sie von ihrer Familie und der Justiz gezwungen wurde, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Da die Medien, vor allem das Staatsfernsehen, einen großen Bogen um den unangenehmen Fall gemacht haben, weiß die Mehrheit der Bevölkerung so gut wie nichts über das Schicksal von Amina: »Es ist kein Thema in unserer Gesellschaft, laut offizieller Statistik gab es letztes Jahr nur sechs vergleichbare Fälle«, erklärt Benkirane dazu lapidar, nichts mit dem man sich aufhalten muss.

 

Benkirane ist der Überzeugung, dass sich die Minderjährige nicht wegen ihrer Vergewaltigung, sondern wegen »pubertärem Liebeskummer« umgebracht habe. Eine Quelle für diese Vermutung nennt der Regierungschef nicht. Den Paragraphen 475, der es einem Vergewaltiger in Marokko ermöglicht, straflos zu bleiben, wenn er sein Opfer heiratet, findet Benkirane dementsprechend: »Schariakonform und gut«. Die PJD-Frauen klatschen.

Von: 
Mohamed Amjahid

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