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Ein halbes Jahr nach der Teilung von Sudan und Südsudan

Neues Jahr, alte Konflikte

Analyse

Ein halbes Jahr nach der Teilung werden Sudan und Südsudan von neuer Gewalt erschüttert. In beiden Staaten wiederholen sich die alten Konfliktmuster spiegelbildlich, zugleich verschieben sich die Koordinaten.

Khartum, kurz vor Weihnachten: Bundespräsident Christian Wulff beherrscht auch hier die Titelseiten der Zeitungen. Die Schlagzeilen gelten allerdings nicht der Affäre um seinen privaten Hauskredit, was für die sudanesischen Medien kaum der Rede wert ist. Vielmehr geht es um Wulffs Sorge, bei einer Konferenz der »Allianz der Zivilisationen« in Katar (»Bin auf dem Weg zum Emir«) auf Präsident Omar Al-Baschir zu treffen. Doch wenige Tage später dominiert eine echte Sensation die sudanesischen Medien.

 

Der Staatsfeind Nr. 1 ist getötet worden. Khalil Ibrahim, der Anführer des »Justice and Equality Movement« (JEM) in Darfur, kam bei einem Luftangriff der Regierungsarmee im Teilstaat Nord-Kordofan ums Leben. Gut informierten Kreisen zufolge hatte Tschad – angeblich mit Unterstützung Frankreichs und der USA – geheimdienstliche Erkenntnisse über seinen Aufenthaltsort geliefert. Libyen habe logistische Unterstützung geleistet, die Präzisionswaffen für die gezielte Attacke stammten demnach aus Katar.

 

Wer durch das Schwert lebt

 

Ibrahims Tod ist für seine Bewegung ein herber Verlust. Dank seines Charismas war es ihm gelungen, JEM zur militärisch wie medial schlagkräftigsten Truppe in Darfur zu formen, während sich die anderen Aufständischen in schier zahllose Fraktionen zersplitterten. Als natürlicher Nachfolger gilt sein Bruder Gibril, dem jedoch mehr geschäftliche denn militärisch-politische Ambitionen nachgesagt werden. Die etwa 35.000 JEM-Kämpfer werden zwar ein Machtfaktor in der westsudanesischen Kriegsregion bleiben. Es ist aber wahrscheinlich, dass JEM sich aufspaltet und einzelne Gruppen sich einem Friedensabkommen anschließen, das Katar im letzten Jahr vermittelt hat.

 

Das Ausbleiben von internationaler Empörung über Ibrahims Tötung liegt vor allem daran, dass er mit seiner Miliz ganz offenbar bis zum Fall von Tripolis an der Seite Gaddafis kämpfte. Die Regierung in Khartum hatte ihrerseits von Beginn an die libyschen Rebellen militärisch unterstützt – in einer bemerkenswerten inoffiziellen Allianz mit der NATO und Katar – weshalb der neue Staatschef Mustafa Abdel Jalil für seine erste Auslandsreise den Sudan als Ziel wählte.

 

Zwar gibt es in der westlichen Welt durchaus ernstzunehmende Stimmen, die Ibrahim in der persönlichen Begegnung keineswegs als militanten Islamist erlebten und seinen Tod beklagen. Tatsache ist aber, dass er sich schon als Schüler den Muslimbrüdern angeschlossen hatte und nach Baschirs Putsch von 1989 Karriere in dessen Regime machte. Als Islamistenführer Hassan Al-Turabi zehn Jahre später einen Machtkampf gegen Baschir verlor, schloss Ibrahim sich dem charismatischen Scheich an und gründete JEM in Maastricht, wo er als Mediziner »Öffentliches Gesundheitswesen« studierte. JEMs Verbindungsmann zu Turabi war nach Angaben westlicher Diplomaten dessen Stellvertreter Ali Al-Haj, der eine luxuriöse Villa in Bonn bewohnt.

 

Es scheint wie eine Ironie der Geschichte, dass Ibrahim nun das gleiche Schicksal erlitt wie zwanzig Jahre zuvor ein anderer islamistischer Renegat aus Darfur, Daoud Yahia Bolad. Dieser war ebenfalls lange Zeit ein Parteigänger von Turabi gewesen, schloss sich den südsudanesischen Rebellen an, weil Khartum tolerierte, dass Gaddafi Darfur für seinen Feldzug gegen das Regime im Tschad nutzte. 1992 wurden Bolad und seine Gefolgsleute im Jebel Marra-Gebirge gefangen und getötet. Der Kommandeur der Militäraktion war Khalil Ibrahim.

 

Der von JEM angekündigte Marsch auf Khartum, der ohnehin unrealistisch war, wird also ausbleiben. Dies gilt auch für die verbündeten Rebellen der Sudan People’s Liberation Army – North (SPLM-N) im »Neuen Süden«. Sie halten zwar in den Nubabergen größere Gebiete als je zuvor, haben aber im Teilstaat Blue Nile schwere Niederlagen erlitten. Ihre Führer müssen, sofern sie nicht in ugandischen Luxushotels residieren, ähnlich gezielte Attacken wie auf Ibrahim fürchten. Das Elend der betroffenen Zivilbevölkerung wächst derweil stetig, auch weil die Regierung internationalen Hilfsorganisationen den Zugang verweigert.

 

Konsum in Khartum

 

Im winterlich milden Khartum ist die Stimmung unterdessen relativ entspannt, zumindest vordergründig. Von der Finanzkrise, die der weitgehende Wegfall der Öleinnahmen aus dem Süden ausgelöst hat, ist in der Hauptstadt überraschend wenig zu sehen. Die Straßen sind nach wie vor von den vielen neuen Autos verstopft, etliche Bauprojekte werden weiter vorangetrieben. Die Mittelschicht, die während des Ölbooms der letzten zehn Jahre gewachsen ist, konsumiert scheinbar ungebremst, obwohl harte Devisen nur schwer und teuer zu bekommen sind.

 

Die »einfache« Bevölkerung leidet hingegen spürbar unter den Preissteigerungen bei Benzin und Grundnahrungsmitteln, vor allem Zucker. Die Taxifahrer klagen zwar über das Geschäft, wie sie dies stets tun. Auffällig ist jedoch, wie viele von ihnen sagen, dass der Arabische Frühling nunmehr auch den Sudan erreichen solle. Richtig revolutionär klingt das allerdings nicht. Als die Polizei kurz vor Weihnachten auf dem Campus der Universität von Khartum Proteste gegen Umsiedlungen am Merowe-Staudamm gewaltsam auflöst, solidarisieren sich wieder nur Wenige mit den Demonstranten. 1964 und 1985 waren solche Zwischenfälle der Auslöser für erfolgreiche Volksaufstände – heute (noch) nicht.

 

Die »National Congress Party« (NCP) von Präsident Baschir hat zweifelsohne aus der Geschichte gelernt. Anders als die Militärregime von Ibrahim Abboud (1958-1964) und Jafar Nimeiri (1969-1985) lässt Baschirs Machtapparat gewisse Freiräume zu, um so den Druck von der Straße zu nehmen. Die Regierung selbst zeichnet die Wirtschaftslage außergewöhnlich düster, wohl um die Erwartungen vorbeugend zu dämpfen. Die mehr als zwei Dutzend Zeitungstitel sind zwar wieder verstärkten Repressionen ausgesetzt, können aber teils erstaunlich offene Kritik äußern.

 

Noch freier ist das Internet, dessen Bedeutung die Sicherheitsorgane anscheinend noch immer unterschätzen: Hunderttausende Nutzer im Sudan haben jüngst das YouTube-Video eines Uni-Absolventen gesehen, der öffentlich den notorisch brutalen Präsidentenberater Dr. Nafie Ali Nafie hart kritisierte und später vom Geheimdienst festgenommen wurde. Ebenso ein Video, das Baschir ausgelassen tanzend auf einer Hochzeit zeigt, obwohl dies nicht gerade der islamistischen Linie der NCP entspricht.

 

Offensichtlich ist gerade letzteres ein Hauptgrund für die anhaltende Popularität, die Baschir bei großen Teilen der Khartumer Bevölkerung genießt. Denn er wirkt als Mann der einfachen Worte bodenständig und volksnah. Im Gegensatz zu den arroganten Greisen, die die feudalistischen und sektiererischen Parteien des traditionellen Establishments anführen. Im Gegensatz auch zu seinen weit weniger beliebten NCP-Kadern, die untereinander zerstritten sind und gegenüber der Armeespitze stark an Gewicht verloren haben. Ein System allerdings, das derart zentral auf einer einzigen Persönlichkeit beruht, ist chronisch instabil.

 

Ein Anzeichen für eine Erschöpfung des Regimes ist die kürzliche Bildung des neuen Kabinetts nach langer Hängepartie. Mit der »Democratic Unionist Party« (DUP) von Maulana Osman Mirghani, dem Oberhaupt der sufischen Khatmiyya-Sekte, hat Baschir eine der klassischen Parteien an der Macht beteiligt, mit deren Beseitigung er seine Herrschaft anfangs legitimierte. Nachdem er zuerst mit den militanten Islamisten paktierte und dann mit den vormaligen Südrebellen, hat er nun praktisch alle Optionen an Koalitionen ausgespielt.

 

Die sichtbarste Veränderung im Khartumer Stadtbild seit der Teilung des Landes ist das Fehlen der Südsudanesen. Erst bei einem Gospelkonzert im Reichenviertel Khartoum-2 wird deutlich, dass noch immer zahlreiche Südler im Norden leben. Von ihnen hört man, dass sie bleiben dürfen, solange sie 600 US-Dollar für eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zahlen können. Die anderen müssen eine äußerst ungewisse Zukunft im Südsudan suchen.

 

3000 Tote zum Frühstück

 

Der jüngste Staat der Welt sorgt unterdessen für extreme Schreckensmeldungen, fast genau ein Jahr nach dem friedlich verlaufenen Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans. In Jonglei, dem größten Teilstaat, begannen kurz vor Weihnachten Milizen von Lou Nuer mit Angriffen gegen Zivilisten aus der Gruppe der Murle. Anfang Januar hatten die Gemetzel ein derartiges Ausmaß erreicht, dass auch die deutschen Zeitungen darüber berichteten, wenn auch nach dem Motto »3000 Tote zum Frühstück« auf den hinteren Seiten.

 

Soweit die Medien sich etwas näher mit den Massakern beschäftigten, nannten sie hauptsächlich den Viehdiebstahl als Ursache, teilweise auch die massenhafte Verbreitung von Kleinwaffen. Fast durchgehend wurde das alte Stereotyp der »ethnischen Konflikte« bemüht, was fälschlicherweise impliziert, dass Ethnizität der Grund für die Auseinandersetzungen wäre. Doch die Kämpfe im Südsudan sind keine »Stammeskriege«. Sie finden vielmehr in politischen Kontexten statt.

 

So muss man sich fragen, warum der Feldzug gerade jetzt durchgeführt wurde, fast ein halbes Jahr nach dem Blutbad, das Murle-Milizen an Lou Nuer verübt hatten. Westliche Diplomaten vermuten, dass sich die Angreifer nun sicher fühlten, weil die Regierungsarmee SPLA damit beschäftigt sei, die SPLA-N in den Nubabergen und in Blue Nile zu unterstützen.

 

Darüber hinaus fällt auf, dass – wie im Norden Khalil Ibrahim – kurz vor Weihnachten der Staatsfeind Nr. 1 getötet wurde, Rebellenchef George Athor. Er wurde angeblich bei der Rückkehr aus Ruanda an der Grenze zum Kongo erschossen. Die Aufständischen beschuldigen die ugandische Regierung, den Ex-General der SPLA ermordet zu haben. Der Genfer »Small Arms Survey« sieht zwar starke Anzeichen dafür, dass Athor von den Regierungen Sudans und/oder Eritreas unterstützt wurde. Die Konflikte im Südsudan haben aber in erster Linie interne Ursachen.

 

Was die deutschen Medien nicht berichteten: die Mission der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) hat alsbald starke Zweifel an der Zahl der in Jonglei Ermordeten angemeldet. Die Angaben stammten von Murle-Vertretern, weshalb der Verdacht ihrer Politisierung nahe liegt, allzumal exakte Daten im Südsudan ohnehin eine Seltenheit sind. Trotzdem muss es andererseits skeptisch stimmen, dass UNMISS selber nur sehr vage von Dutzenden bis Hunderten Todesopfern sprach. Fest steht offenbar, dass viele Tausende Menschen auf der Flucht in Not sind.

 

Die US-Regierung hat indessen für die neue Nation ein eigenes Geschenk zum ersten Jahrestag des Unabhängigkeitsreferendums: Präsident Obama setzte den Südsudan auf die Liste der Staaten, die Waffen und Militärleistungen in den USA erwerben dürfen.

Von: 
Roman Deckert und Tobias Simon

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