Lesezeit: 7 Minuten
Dokumentarfilm »Der Imker«

Der süße Honig bitterer Heimat

Feature

Bienen finden überall ein Zuhause – Menschen hingegen machen es sich gegenseitig schwer. Wie sich im genügsamen Leben eines geflüchteten Kurden in der Schweiz existenzielle Fragen verdichten lassen, zeigt der Dokumentarfilm »Der Imker«.

Es war einmal ein Kurde, der hatte einen Traum. Sein Großvater tauschte ein Schaf gegen zwei Bienenvölker. Damit begann seine Karriere als erster professioneller Imker in den rauen Bergen Zentralanatoliens. Ibrahim Gezer lautet der Name dieses Imkers. Mit gut 500 Bienenstöcken gelangten er und seine kinderreiche Familie zu ausreichendem Wohlstand. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Es war einmal eben dieser kurdische Imker, geboren in eine ungerechte Welt – der fand in der Schweiz neue Hoffnung.

 

Nach zahlreichen Schicksalsschlägen und Jahren auf der Flucht ist er der Hauptdarsteller in Mano Khalils neuem Dokumentarfilm über einen einfachen Mann, dem kein einfaches Leben vergönnt ist. Seit Ende Januar läuft »Der Imker« auch in Deutschland in ausgewählten Kinos. In einem ausführlichen Interview beschrieb der aus dem kurdischen Teil Syriens stammende Regisseur sein neuestes Werk so: »Ein Film über Liebe zur Natur, über Liebe zur Menschheit und über Menschlichkeit.«

 

Dass er solch universale Schlagworte ausgerechnet im Leben eines in der Schweiz Gestrandeten verortet, macht den Film zu einer wahren Bereicherung für das Publikum. Denn das schlichte Leben des Ibrahim Gezer ist der Lichtpfeil, der sich im Fokus des Films wie in einem Diamanten bricht, und so das facettenreiche Summen unserer Welt reflektiert.

 

»Ein Film über Liebe zur Natur, über Liebe zur Menschheit und über Menschlichkeit«

 

Frei nach Einstein sind es schließlich die Bienen, ohne die die Menschheit über kurz oder lang zu Grunde ginge: »Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr«, wird dem Genius in den Mund gelegt. Das macht die Biene in Zeiten des Raubbaus an der Natur und angesichts apokalyptischer Kriege wie menschlicher Katastrophen zum Sinnbild von rettender Einheit und Harmonie.

 

Besonders in der Schweiz ist die Biene im Kino derzeit en vogue. In »More than Honey« richtete der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof seinen preisgekrönten Blick auf Leben und Sterben der surrenden Imme respektive der Menschheit. Und auch in Ibrahim Gezers bescheidenem Imkerleben spiegelt sich nichts minder als die zeitlose Suche nach Geborgenheit und innerem Frieden in der Welt. Eine Suche, die sich in Mano Khalils eigenem Leben beinahe identisch wiederfindet.

 

Geboren 1964 in Qamishli im kurdisch bevölkerten Nordosten Syriens, lernt Khalil von 1987 bis 1994 die Kunst des Filmemachens in der renommierten Filmschule der Tschechoslowakei. Doch erregt er bei den syrischen Zensurbehörden mit »Wo Gott schläft«, einem Film über seine kurdische Heimat, einen folgenschweren Verdacht: Kurden existieren offiziell nicht als eigenständige Volksgruppe, in den Augen des Regimes galt er damit schon als Separatist. Zwar wird er 1993 beim Internationalen Filmfestival in Augsburg für dieses Werk mit dem ersten Preis ausgezeichnet, doch findet Zuflucht er für sein Schaffen daraufhin nur noch in der Schweiz.

 

Wo ziehen wir Grenzen zwischen Menschen, legen uns selbst mit kulturell verankerten Erwartungen und Vorschriften Steine in den Weg?

 

»Selbst ein Hund darf in seiner eigenen Sprache bellen«, stellt der Imker Ibrahim Gezer im Hinblick auf die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur einmal fest. Wie Mano Khalil selbst steht auch Gezer stellvertretend für jene Opfer derselben repressiven Politik gegenüber Kurden in der Türkei. »Unser Schicksal ist so eng verbunden, dass ich einen Film über mich gemacht habe«, meint Mano Khalil heute mit heimisch gewordenem Schweizer Akzent. Keinem von beiden sei trotz des Verlusts der Heimat der Sinn fürs Leben verloren gegangen.

 

Gezers Geschichte, die sich für die Zuschauer im Laufe des Films erst wie aus Scherben zu einem runden Gefäß zusammenfügt, klingt wie aus einem Kafkaroman entlehnt. Bei der Eintragung seines Geburtsdatums machen ihn die Großeltern fünf Jahre jünger, um so den Militärdienst für Ibrahim Gezer hinauszuzögern – ein Akt, den die Schweizer Behörden nicht nachvollziehen können.

 

Der heute 68-Jährige muss in einer Fabrik Kartons sortieren und darf nicht in Rente. Seine Leidenschaft für die Bienen wird ebenso wenig als Beruf anerkannt. In seiner langsamen Erzählweise fängt Mano Khalil die friedliebende Ruhe und den rücksichtsvollen Charakter des Ibrahim Gezers ein, fließend verstärkt durch teils unmerkbar abrupte Bildwechsel von der alpinen Landschaft zu Gezers Heimatdorf in den anatolischen Bergen. Dabei überbrückt das Objektiv der Kamera die Distanz zwischen Zuschauer und Geschautem.

 

Die emotionale Nähe zu Ibrahim Gezer wird unmittelbar erfahrbar; seine allen Widrigkeiten trotzende unvoreingenommene Liebe zu den Menschen überträgt sich auf das Publikum. Getragen von den dezent hoffnungsschimmernden Kompositionen von Mario Batkovic lädt dieser schweifende Film zum eigenen Reflektieren ein. Wo ziehen wir Grenzen zwischen Menschen, legen uns selbst mit kulturell verankerten Erwartungen und Vorschriften Steine in den Weg? Wie können wir im Großen als Gesellschaft und im Kleinen als Familie friedlich und in Harmonie unser Miteinander gestalten? Wie schaffen wir uns gemeinsam ein Stück Heimat?

 

Ein Film, der viel mehr vergegenwärtigt, als er überhaupt zeigt

 

»Ich wollte meine Familie immer so ordnen, wie es die Bienen tun. Sie haben ein schönes harmonisches Leben. Ich aber bin daran gescheitert«, meint Gezer als er einen sonnigen Tag im Wald bei seinen Stöcken verbringt. Im schwelenden Konflikt der 1990er-Jahre zwischen PKK und türkischem Militär wird seine 13-köpfige Familie gewaltsam auseinandergerissen: Eine Tochter fällt als Kämpferin, ein Sohn geht zur Guerilla, ein anderer lebt weiterhin versteckt. Auch Ibrahim Gezer zog sich alleine und als Imker getarnt über 7 Jahre in die Berge zurück.

 

Heute lebt die Großzahl seiner Kinder verstreut in Großbritannien und der Schweiz. In dem Alpenstaat leben heute insgesamt 11.000 Kurden. »Der Imker« ist daher vor allem ein Film über das Ankommen in einer neuen Heimat. Die mit beschwingtem Akkordeon unterlegte Melancholie der Geige und das lebensrhythmische Cello sind in den Schweizer wie kurdischen Bergen zu Hause; atmosphärisch verdeutlichen sie dramatische Tiefen wie hoffnungsvolle Höhen auf diesem Weg.

 

Bereits mit »Unser Garten Eden» (2010) zeichnete Mano Khalil das liebevoll-ironische Bild einer multinationalen Schweizerischen Schrebergartenidylle nach und zeigte, wie sich Migrantinnen und Migranten in der Schweiz ein kleines Stück Heimat bauen. Und auch mit diesem Dokument hat es Mano Khalil einmal mehr geschafft, diese Suche nach Heimat aktiv zu unterstützen: »Der Film hat Ibrahim Gezers Familie von Neuem zusammen gebracht.«

 


Der Imker

Regie: Mano Khalil

Dokumentarfilm, Schweiz, 2013

Verleih: BraveHearts, Laufzeit: 112 Minuten

Seit dem 30. Januar 2014 im Kino

Von: 
Ruben Schenzle

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