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Die oberägyptische Stadt Luxor

Heiraten statt demonstrieren

Feature

Die oberägyptische Stadt Luxor ist einer der wichtigsten Anlaufpunkte für Touristen und leidet deutlich unter den Folgen der Revolution. Langsam stellt sich Besserung ein, doch optimistisch blicken nur Wenige in die Zukunft.

Schon bei meiner Ankunft, während ich mich noch an das gleißende Licht und den typischen Geruch von Wüste und Abgasen gewöhnte, geriet das Taxi nahe der Uferpromenade von Luxor in eine hupende Kavalkade von Autos, Mopeds und Minibussen. Nicht der übliche Stau, sondern eine Hochzeitsgesellschaft blockierte das Vorankommen, während die Wartenden die Frischgetrauten feierten. Ein gutes Vorzeichen, fand ich, schließlich heiraten Menschen doch nur, wenn sie optimistisch in die Zukunft sehen. Im Mai, in den Wochen nach der Revolution, hatte ich an diesem Ort keine Euphorie gespürt. Die Stadt schien vielmehr in einer Schreckstarre zu verharren, die meisten Geschäfte waren geschlossen, Touristen kamen nur wenige - und sie traten nur selten in Gruppen auf. Nur wer die Stadt kannte, wusste, dass keine Gefahr für Touristen bestand, kam damals nach Luxor. Doch jetzt, während das ganze Land auf die ersten freien Wahlen blickt, scheint die Lage bereits deutlich entspannter. Der erste Eindruck mag trügen, aber im Luxor-Tempel konnte ich wieder viele Sprachen hören: Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch klangen durcheinander. Reiseleiter scheuchten ihre Gruppen voran, schnell noch ein Foto, noch ein Schnappschuss mit Ramses, eine Pose mit Nefertiti und weiter geht es. Der Duft von Sonnenschutzpräparaten und den neu erworbenen Parfüms mischte sich mit dem der Kaleschenpferde, Obstkarren und den Abgasen der stetig hupenden Autos.

 

Schiffe werden wieder beladen

 

Ein Spaziergang entlang der Corniche verstärkte den ersten Eindruck. Hier dümpelten viele der Nildampfer vor sich hin, doch boten die Anlegestellen nicht mehr länger das Bild eines Schiffsfriedhofes. Die Stege waren wieder rege begangen, Koffer und Lebensmittel wurden auf die Schiffe getragen und das sonore Tuckern der Schiffsmotoren klang verheißungsvoll. Und doch lockten die vielen hell beleuchteten Geschäfte mit ihren unzähligen Verkäufern nur wenige Touristen an, die langsam aus den Straßen der Stadt zurück zu ihren Schiffen tröpfelten. Noch immer ist ein langer Abschnitt der Uferstraße unpassierbar – Baupläne der Mubarak-Regierung sahen den vierspurigen Ausbau der Corniche vor. Halb angefangen, scheint derzeit völlig unklar, ob das Projekt fortgesetzt wird oder nicht. So fädelt sich der Verkehr mal mehr, meist jedoch weniger flüssig durch eine Umleitung. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass sich meine einheimischen Gesprächspartner über den Mangel von Polizeikräften in der Stadt beklagten. In den Tempeln wimmelt es von Touristenpolizisten, überall Verkehrspolizisten, an der Uferstraße gibt es Umweltpolizisten. Die Sicherheitsbedenken der breiten Bevölkerung, die vielen Diebstähle und Überfälle scheinen da unterzugehen. Niemand wisse mehr, wem er noch vertrauen solle, erzählten sie. Nur auf die Familie sei Verlass.

 

Die Familie springt bei allem ein

 

Ist Heirat in diesen Tagen also eine Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung? Der Ruf nach mehr Polizei kann aber viele Gründe haben, denn das Sicherheitsgefühl, das das Regime zuvor vermittelt hatte, fehlt vielen Ägyptern nun. Die Mitarbeiterin einer deutschen Nichtregierungsorganisation vor Ort beschrieb es wie folgt: Die Menschen seien es hier nicht gewöhnt, Eigeninitiative oder Zivilcourage zu entwickeln, da das Regime derartige Anwandlungen brutal sanktioniert hätte. Die Leute stiegen einfach in den Minibus ein, auch wenn der 14-jährige Sohn des Besitzers ihn gerade fuhr. Sie regten sich nachher allerdings mächtig darüber auf und fanden, dass die Polizei das regeln müsse. Auf die Idee, dem Jungen den Fahrzeugschlüssel einfach abzunehmen und ihn zu fragen, wo sein Vater denn sei, wären sie sie gar nicht gekommen. Ein alteingesessener Geschäftsinhaber von Schmuck und Souvenirartikeln beschrieb mir die Verunsicherung, die die Revolution hinterlassen hatte. Die Familie, der eigene kleine Bereich sei sicher. Außerhalb davon herrsche Misstrauen. Man warte auf die ordnende Hand des Staates. Ein anderer Händler stellte sich den kommenden Präsidenten wie einen gütigen Vater vor, der allen Bürgern Arbeit und Brot gebe, die Preise für Grundnahrungsmittel, Energie und Wasser niedrig halte und Ägypten nach außen stärke. Wie viele weitere erklärten auch sie, sie hätten in den letzten Wochen und Monaten vieles durch die eigene Familie oder Sippe geregelt, wofür der Staat nicht aufkam. Doch was machen die Menschen, die ohne Familie leben? Alte, Witwen oder geschiedene Frauen?

 

Kaum Vertrauen in die Wahlen

 

In den Augen meiner Gesprächspartner war der Schrecken über die brennenden Autos und die gestürmten Polizeistationen noch genauso lebendig, wie der stolz über die Verteidigung des Karnak-Tempels durch eine lokale Bürgerwehr. Hunderte waren dem Aufruf eines bekannten Armeeoffiziers gefolgt und verteidigten die Anlagen gegen Plünderer, obwohl es bei Schießereien mehrere Verletzte gegeben hatte. Nur langsam normalisiert sich die Lage wieder. Wenn in diesen Tagen abermals Demonstrationen vom Tahrir-Platz gemeldet wurden, versammelten sich stets alle vor den Fernsehgeräten. Je nach Senderwahl variierten die Meinungen zu den Protesten deutlich: »Die sollen bloß wieder nach Hause gehen, diese Unruhestifter!« Oder auch ein vorsichtiges Eingeständnis: »Naja, sie haben ja Recht, aber was bekommt die Welt außerhalb Ägyptens denn für ein Bild von uns? Die Touristen kommen doch nicht, wenn sie so etwas sehen!« Doch zwischen vielen Klagen über die drastischen Auswirkungen der Proteste auf die Tourismusbranche klingt manchmal auch Verständnis für die jungen Aktivisten durch. »Leicht haben es die Jungen nicht, so ohne Beruf und Chancen.« Zweigeteilt war auch das Stimmungsbild zu den Wahlen. Bürger, die keinen einzigen der Kandidaten kennen, die daran zweifeln, dass ihnen die Abstimmung irgendwelche Vorteile bringt, treffen auf Engagierte, die die Werte der Revolution verteidigen möchten. »Der einzige, den ich von den Leuten kenne, die zur Wahl stehen, der kommt aus einem Dorf hier in der Nähe. Aber der wird sich bestimmt nicht um uns hier in unserem Ortsteil kümmern. Der verschafft doch bloß wieder der eigenen Familie Posten und füllt sich die eigenen Taschen«, hieß es da. Von den vierzehn Erwachsenen in unserem Haushalt gingen zwei zur Wahl. Zählen zwei echte Stimmen mehr als vierzehn gekaufte oder gefälschte? Und trotz alledem begleitete mich tagtäglich der fröhliche, heitere Lärm der Hochzeitsgesellschaften.

Von: 
Jutta Klaus

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