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Daheim in Heinersdorf

Daheim in Heinersdorf

Feature

Die Ahmadiyya versteht sich selbst als Reformrichtung des Islams, wird allerdings von anderen Muslimen abgelehnt. Dabei hat die Gemeinde in Pankow-Heinersdorf vorgemacht, wie man Islamophobie und Bürgerskepsis am besten begegnet.

»Liebe für alle, Hass für keinen«: Das Motto der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft ist nicht nur eine Botschaft, sondern auch ein bewährtes Schutzschild. Das zeigte sich schon 2008, als der Imam der Khadija-Moschee in Pankow-Heinersdorf die »besorgten« Heinersdorfer und NPD-Funktionäre, die gegen den Bau der Moschee protestierten, zum Tee einlud. Durch seine Offenheit und Freundlichkeit brachte er sie in Verlegenheit, so erzählt man sich in der Gemeinde stolz.

 

In den Augen von Adul Rahman Chafei, Manager der Berliner Ahmadiyya-Gemeinde, hat sich dieser Weg als richtig erwiesen. »Besonders jetzt ist es auch wichtig, offen zu sein und ins Gespräch zu kommen«, sagt er. 1889 gründete Mirza Ghulam Ahmad in Indien die Ahmadiyya, die sich selbst als Reformgemeinde versteht. Ihr religiöses Oberhaupt Khalifat-ul-Masih II. lebt in London und setzt auf Dialog. Zusätzlich zum Jahresrückblick will deren Vorstand deshalb den diesjährigen Neujahrsempfang Ende Januar dazu nutzen, Stellung zu den Anschlägen auf das französische Satire-Magazin »Charlie Hebdo« Anfang Januar in Paris zu beziehen.

 

»Wir müssen die Aufforderung Angela Merkels ernst nehmen«, findet Rahman. Denn es sei wichtig, der Berichterstattung über Muslime und den Islam, die die Medien dominieren, mit Worten von Muslimen zu begegnen. Die Gemeindevertreter und die Redner des Abends aus Politik und Religion wehren sich gegen den Versuch rechter und rechtspopulistischer Gruppierungen, die gesellschaftlichen Brücken mit dem Vorwurf der Islamisierung zu zerstören.

 

Ebenso gegen islamistische Gruppierungen: »Wir dürfen die Deutungshoheit nicht jenen selbsternannten Dschihadisten überlassen, die sie mit Gewalt an sich reißen wollen«, so der Imam der Moschee, Said Ahmed Arif. Seien es Proteste gegen den Moscheebau oder die Beleidigung des Propheten, ein Muslim müsse Bedrohungen von außen durch Standhaftigkeit begegnen – Gewalt sei aus islamischer Sicht in keinem Fall zu rechtfertigen. Deshalb müsse man auch die Anschläge von Paris scharf verurteilen, ist man sich hier einig.

 

Kaum wurden die Baupläne 2006 veröffentlicht, formierte sich massiver Protest gegen das Gotteshaus

 

Kritik an den Forderungen, islamische Verbände sollten zu den im Namen des Islam verübten Anschlägen Stellung beziehen, sehen die staatsloyalen Ahmadis unproblematisch. »Sehr berührt« habe ihn, dass die Kanzlerin nun auch verkündete, der Islam gehöre zu Deutschland, erzählt der Vorsitzende Abdullah Uwe Wagishauser. »Ich sehe in Deutschland positive Entwicklungen. Hier haben die Ereignisse dazu geführt, dass Politiker, die sonst immer ins gleiche Rohr blasen, dazu aufrufen zwischen Islam und Islamisten zu differenzieren. Ich schaue nach vorne.«

 

Fast einhundert Gäste sind an diesem Abend der Einladung der »Ahmadiyya Muslim Jamaat« nach Pankow gefolgt, darunter einige Bundestagsabgeordnete, Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften sowie Freunde und Nachbarn der Gemeinde. Er erinnere sich noch genau an eine Versammlung im Bezirk vor acht Jahren, berichtet Klaus Mindrup, SPD-Bundestagsabgeordneter für Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee und Ehrengast des Empfangs. »Damals sagte ich, die Ahmadiyya hat Angst vor den Heinersdorfern, die Heinersdorfer haben Angst vor der Ahmadiyya. Ich wurde dafür ausgebuht.«

 

Die Gemeinde betete in einem Wohnhaus in Reinickendorf, bevor sie 2006 das Gelände in Heinersdorf erwarb. Kaum wurden die Baupläne veröffentlicht, formierte sich massiver Protest gegen das Gotteshaus. »Es ist nicht einfach, einen Ort für eine Moschee zu finden«, so Wagishauser. »Das ist wie im Urwald. Die Menschen haben Angst vor der Schlange und dem Löwen, aber die Schlange will dem Menschen nichts Böses«, erklärt sich Chafei die Reaktionen damals. Ganz schön viel Verständnis dafür, dass damals nicht nur ein Baufahrzeug in Brand gesetzt wurde, sondern auch Hakenkreuze die Kuppel der zweigeschossigen Moschee verunstalteten.

 

Aus Fremden wurden fremde Nachbarn

 

Heute ist Ruhe eingekehrt in Heinersdorf, die Ängste der Bewohner, die Ahmadiyya plane über den benachbarten Autobahnzubringer die muslimische Weltherrschaft zu ergreifen, haben sich nicht bewahrheitet. »Mich stören die nicht, die sind ja ruhig«, sagt eine Anwohnerin. Aus Fremden wurden fremde Nachbarn. Die Ahmadiyya präsentiert sich demokratiefreundlich und ist damit sehr erfolgreich: 2014 wurde der Gemeinschaft als erster muslimischer Vereinigung in Hessen und Hamburg der Körperschaftsstatus zugesprochen.

 

Die Chancen stehen gut, dass andere Bundesländer nachziehen werden. »Im letzten Jahr haben wir so viele Korane verkauft wie nie. Die Deutschen wollen sich selbst ein Bild vom Islam machen«, sagt Wagishauser zuversichtlich.  Dass die Gemeinschaft von der muslimischen Weltliga durch eine Fatwa 1974 aufgrund ihrer Definition des Prophetentums zu Nichtmuslimen erklärt wurde, beeindruckt sie scheinbar wenig. Auch an diesem Abend blieben Vertreter anderer muslimischer Verbände der Veranstaltung fern.

 

In Hessen sind sie derzeit jedoch gezwungen, sich an einen Tisch zu setzen. Dort finden derzeit lebendige Auseinandersetzungen statt, denn unterschiedliche muslimische Verbände dürfen und müssen gemeinsam den Lehrplan für den Religionsunterricht gestalten.

Von: 
Hendrikje Alpermann

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