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DAAD-Büroleiterin Beate Schindler-Kovats in Tunis

»Wir müssen dauerhaft Präsenz zeigen«

Interview

DAAD-Büroleiterin Beate Schindler-Kovats über neue Partner und alte Hürden in der deutsch-tunesischen Bildungszusammenarbeit – und warum im Umbruch ein langer Atem gefragt ist.

zenith: Das neue DAAD-Büro liegt im Herzen von Tunis – das einst gefürchtete Innenministerium können sie vom Balkon aus betrachten, die Flanier- und Protestmeile Avenue Bourguiba ist nur wenige Meter entfernt. Warum haben Sie sich für diesen Standort entschieden?

Beate Schindler-Kovats: Ausschlaggebend war die zentrale Innenstadtlage, gute Erreichbarkeit auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ein gewachsenes Umfeld. Der große Zulauf, insbesondere von Studierenden, bestätigt die Entscheidung. Während andere internationale Institutionen fast alle außerhalb im Botschaftsviertel Berges du Lac versammelt sind, wollen wir den tunesischen Partnern zeigen, dass wir mitten unter ihnen sind und unsere Türen offen stehen. Wir informieren, beraten, wie unterstützen beim Strukturaufbau und bieten – komplementär zu anderen europäischen Partnern – Kooperations- und Förderprogramme an.

 

Welche Möglichkeiten hat die Revolution der Bildungsarbeit im Allgemeinen und dem DAAD im Besonderen in Tunesien eröffnet?

Seit der Revolution können Studierende und Forscher frei wählen, sie können offen und ohne Angst ihre Meinung sagen, sie können sich bewerben und ins Ausland gehen. Jeder hat nun die Chance, seine Möglichkeiten zu erkunden und seinen Weg zu bestimmen. Hochschulen können mit Universitäten im Ausland Austauschbeziehungen pflegen, Partnerschaften eingehen und eigene Profile und Schwerpunkte setzen. Präsidenten und Dekane an staatlichen tunesischen Hochschulen werden gewählt, Studierende haben eigene Studierendenschaften. Es gibt immer noch hierarchische Strukturen im Bildungsbereich und in den Verwaltungen, nicht überall geht es so demokratisch zu, wie viele es wünschen, aber es gibt die Freiräume, die genutzt werden können und die genutzt werden. Auch die deutsch-tunesischen Austauschbeziehungen und Kooperationsmöglichkeiten sind vielfältiger und intensiver geworden. Dank der »Transformationspartnerschaften« konnten viele Projekte und Aktivitäten angekurbelt werden. Erst einmal galt es jedoch, sich gegenseitig zu »entdecken«.

 

Wie meinen Sie das?

Tunesien war lange Zeit fast ausschließlich auf Frankreich fokussiert, deutsche Hochschulen haben den Maghreb lange Zeit unterschätzt oder sind wegen der Sprachprobleme keine Kooperationen eingegangen. Inzwischen haben sich deutsche Hochschulen internationalisiert, und auch tunesische Universitäten haben mehr und mehr englischsprachige Studiengänge und Forschungsarbeit im Programm. Es herrscht eine Atmosphäre großer Offenheit gegenüber internationaler Bildungszusammenarbeit in Tunesien und Deutschland ist dafür ein begehrter Partner.

 

Im Sommer sollen bereits die nächsten Parlamentswahlen in Tunesien stattfinden. In der Zwischenzeit geraten Regierungs- und Oppositionsanhänger immer wieder aneinander. Inwiefern beeinflusst der (post)revolutionäre Kontext Ihren Handlungsspielraum – und die Planungssicherheit?

Realistisch werden die Wahlen wohl erst im Frühjahr 2014 abgehalten werden können. Erst einmal müssen die Verfassung und das Wahlbesetz verabschiedet werden, beides noch sehr umstrittene Texte. Nach der Regierungsumbildung und der Besetzung der Schlüsselministerien durch politisch unabhängige Minister muss die Übergangsregierung ihre Hausaufgaben machen. Die Ungeduld in der Bevölkerung ist groß, der Druck der Zivilgesellschaft – und die ist in Tunesien sehr vital – wächst. Für unsere Arbeit bedeutet das, dass wir es in den Verwaltungen und den Ministerien mit wechselnden Personen zu tun haben. Kürzlich wurde der Generaldirektor für Internationale Kooperationen im Hochschulministerium ausgewechselt, der Minister selbst hat die Regierungsumbildung aber überstanden. Wir versuchen vor Ort mit den zuständigen Personen, soweit möglich, zusammenzuarbeiten. Mit dem Hochschulministerium haben wir nun regelmäßige Treffen zur gegenseitigen Information vereinbart. Wichtiger ist uns aber die Arbeit mit den Universitäten, mit den Fachvertretern und mit Studierenden in Tunesien. Wir haben hier einige sehr weltoffene und reformwillige Hochschulen als Partner gewonnen. Hier setzen wir an und entwerfen zusammen und auf Initiative der Universitäten gemeinsame Projekte und Vorhaben.

 

Sie haben im vergangenen Jahr damit begonnen, sämtliche tunesische Absolventen, die in der Vergangenheit vom DAAD gefördert wurden, aufzuspüren und miteinander zu ver-netzen. Um wie viele Alumni handelt es sich und welchen Beitrag können sie für die Bildungskooperation leisten?

Wir haben eine Verbleibstudie zu den DAAD-Alumni gemacht, mit deren Hilfe wir circa 150 Alumni aufspüren konnten. Es handelt sich um eine sehr interessante und teilweise auch sehr aktive und heterogene Gruppe, die sich in verschiedenen Vereinen vernetzt hat. Alumni sind in der Regel hochqualifizierte Absolventen, die Schlüsselpositionen in Hochschulen, Wirtschaft und Politik innehaben. Die Mehrheit der tunesischen Alumni ist im Hochschulbereich tätig. Wir sehen unsere Alumni als Experten an, die sich hervorragend im tunesischen und deutschen System auskennen und unsere Arbeit an tunesischen Hochschulen unterstützen und verbinden.

 

Auf einer DAAD-Konferenz im März kündigte der tunesische Hochschulminister an, in seinem Ressort auch eine Planstelle für Alumni einzurichten. Nicht alle der anwesenden Alumni – und Universitäten – schienen davon begeistert zu sein. Wo sehen sie die Grenze zwischen staatlicher Unterstützung und Einmischung?

Viele sehen die Gefahr der Politisierung oder Instrumentalisierung. Einer kürzlich vom Hochschulministerium veranstalteten Konferenz »Tunisian Capacity abroad« sind nicht alle eingeladenen Alumni gefolgt, weil sie nicht mit der Übergangsregierung zusammenarbeiten wollen. Viele Hochschulvertreter kritisieren den »langen Arm« der Ministerien, die hierarchisch regulieren wollen. Was die Alumni angeht: Hier raten wir, sich selbst zu organisieren und fachliche Netzwerke zu bilden statt politischer Vereinigungen.  

 

»Deutschland ist seit der Revolution als Studien- und Forschungsstandort sehr viel attraktiver geworden«

 

Hat sich durch die Revolution eigentlich auch der Handlungsspielraum auf deutscher Seite verändert, etwa im Hinblick auf Anerkennung von Abschlüssen oder haben es die tunesischen Bewerber mit demselben DAAD wie auch vor der Revolution zu tun?

Das tunesische Bakkalaureat wird anerkannt und mit dem Sprachnachweis können die Abiturienten direkt mit dem Studium in Deutschland beginnen. Durch den Bologna-Prozess ist das Studiensystem kompatibel geworden, einige tunesische Abschlüsse, nämlich Licence und Mas-ter, werden für ein Anschlussstudium anerkannt. Trotzdem kann man feststellen, dass Deutschland als Studien- und Forschungsstandort seit der Revolution sehr viel attraktiver geworden ist. Die Öffnung nach Deutschland hat mit der Umbruchsituation zu tun, nicht zuletzt deshalb, weil Deutschland als erster und zuverlässiger Partner die Entwicklungen Tunesien unterstützt und fördert. Deutschland und der DAAD sind seit der Revolution sehr viel stärker im Maghreb präsent und das zeigt sich in der Vielzahl der Partnerprogramme, dem gutem Image so wie den hohen Sympathiewerten.

 

Welche Universitäten in Deutschland und welche Fachbereiche sind bei den Tunesiern besonders gefragt und warum?

Gefragt sind in erster Linie die großen und bekannten Universitäten oder die, die man durch Mundpropaganda kennt. Eine Rolle spielt auch, ob es in Uninähe Verwandte oder Bekannte gibt. Nur wenige suchen die Hochschule nach fachlichen Gründen oder wegen des Studienprogramms aus, und nur wenige fragen nach Rankings. Nachgefragte Programme sind insbesondere Praktika für Mediziner und im Gesundheitswesen sowie Praktika für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Als Studien- und Forschungsfächer sind insbesondere IT, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften gefragt, aber auch Architektur und Sozialwissenschaften.

 

Geht der Austausch auch in die umgekehrte Richtung, also werden Aufenthalte an tunesischen Universitäten auf deutscher Seite auch vermehrt nachgefragt?

Es gibt immer wieder Anfragen von deutschen Studierenden, die ein Semester oder ein Jahr als Austauschstudent nach Tunesien kommen wollen. Ausländische Austauchstudierende müssen sich über das Hochschulministerium anmelden und platzieren lassen – eine Prozedur, die deutsche Austauschstudierende eher abschreckt als einlädt. Tunesische Hochschulen haben keine speziellen Anlaufstellen, in denen man sich um ausländische Studierende kümmert. So fühlt sich keiner wirklich zuständig und so manche Kommunikation bleibt in den Strukturen des Universitätssystems hängen. In Tunesien ist man zudem immer noch gewohnt, dass alles über persönliche Kontakte und Fürsprache läuft, so dass sich noch keine unabhängigen Strukturen in der Universitätsverwaltung entwickeln konnten.

 

Zurzeit wird das DAAD-Büro – ebenso wie zahlreiche Groß- und Kleinprojekte – noch aus den Mitteln der »Deutsch-Arabischen Transformationspartnerschaft« finanziert. Ist denn eine nachhaltige Arbeit möglich, wenn Ihre Stelle und das Büro als Projektmaßnahme möglicherweise mit dem Auslaufen des Programms wegfällt?

Wir hoffen natürlich, dass es über 2013 hinaus weitergeht. Viele Maßnahmen, Projekte und Einrichtungen sind nur wirklich nachhaltig, wenn man nicht nur anschiebt, sondern auch die Früchte ernten kann. Wir sind seit September in Tunesien voll durchgestartet, haben viele neue Partner gewonnen, Interesse geweckt und viel Info-und Beratungsarbeit geleistet. Wir fangen nun an, auch regionale Netzwerke zu bilden. Vor Augen führen sollte man sich insbesondere die Wirkung, die eine mögliche Nicht-Fortsetzung bei unseren tunesischen Partnern hätte: Man verkündet ihnen, wie wichtig die Aufbau- und Zusammenarbeit ist, hat Vertrauen geweckt und steht als permanenter Partner vor Ort zur Seite. Und dann zieht man mitten im Prozess möglicherweise ab. Das würde niemand verstehen und einen immensen (Image-)Schaden anrichten. Ich hoffe, dass die Entscheidungsträger einen langen Atem beweisen: Wir wissen doch allzu gut, dass Transformationen nicht nur zwei, drei Jahre dauern, sondern Demokratiesierung ein langer Prozess ist. Gerade in Tunesien kann man sehr schön sehen, wie stark europäische und arabische Kräfte gegeneinanderstehen: Wenn Tunesien nicht zum Spielball zwischen diesen beiden Einflüssen werden soll, muss Europa auch dauerhaft hier Angebote und Präsenz zeigen.


Beate Schindler-Kovats, arbeitet für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und war bisher u.a. in Rumänien und in der Türkei tätig. Seit September 2012 leitet sie das neu eröffnete DAAD-Büro in Tunis.

Von: 
Robert Chatterjee

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