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Christliche Parteien im Libanon

Wettbewerb der Angstmacher

Analyse

Obwohl der Bevölkerungsanteil der Christen im Libanon stabil bleibt, schüren christliche Parteien und die maronitische Kirche immer wieder Überfremdungsängste – darunter zu leiden haben auch syrische Flüchtlinge.

In mehreren Ländern des Nahen Ostens sind Christen aufgrund des Aufstiegs des Islamismus in den letzten zwei Jahren Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Der Libanon stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar – nicht nur weil er von der arabischen Protestbewegung ausgenommen ist, sondern auch weil er das einzige Land in der Region ist, in dem Christen die politisch einflussreichste Gemeinschaft darstellen: Obwohl die muslimischen Gemeinschaften mittlerweile zusammen rund zwei Drittel der Bevölkerung im Libanon stellen, haben Christen Anspruch auf 50 Prozent der Parlamentssitze sowie auf Schlüsselpositionen im Staat, darunter das Präsidentenamt, die Armeeführung, das Amt des Verteidigungsministers sowie den Vorsitz des obersten Gerichts.

 

Diesen Privilegien zum Trotz ist unter libanesischen Christen die Wahrnehmung verbreitet, von der in den letzten Jahrzehnten angewachsenen Gruppe der Muslime dominiert zu werden. Diese Angst, die insbesondere unter den Maroniten vorherrscht, wird von führenden christlichen Politikern im Rahmen der im Juni 2013 anstehenden Parlamentswahlen bedient und nicht selten sogar geschürt. Seit Monaten findet ein regelrechter Wettbewerb unter christlichen Parteien darüber statt, wer sich am stärksten für die christlichen Interessen im Land einsetzt.

 

Obwohl die christlichen Parteien – die Forces Libanaises, die »Freie Patriotische Bewegung«, die Kataeb (Phalange) sowie Marada – untereinander zum Teil eine traditionelle Feindschaft hegen und verschiedenen politischen Blöcken angehören, haben sie sich in diesem Jahr gemeinsam auf eine Wahlreform verständigt, der Vorschlag der so genannten »Orthodoxen Versammlung«. Diese Initiative, die auch von der maronitischen Kirche unterstützt wird, sieht vor, dass Libanesen nur noch diejenigen Abgeordneten wählen, die ihrer eigenen Konfession angehören. An der konfessionellen Aufteilung der Parlamentssitze selbst würde sich nichts ändern.

 

Die Angst, in die Defensive zu geraten

 

Dem Vorstoß liegt die Annahme zugrunde, dass Libanesen sich ohnehin zuallererst mit ihrer Religionsgemeinschaft identifizieren und die nationale Identität als zweitrangig empfinden. Die Wahlreform soll verhindern, dass christliche Abgeordnete – wie bisher üblich – auch von Nichtchristen gewählt werden und umgekehrt. Dadurch, so die Argumentation, seien die christlichen Gemeinschaften im Land nicht ausreichend repräsentiert. Die christlichen Parlamentarier würden nämlich zuerst die Interessen ihrer nichtchristlichen Wählerschaft vertreten – das aber würde den politische Willen der Christen marginalisieren.

 

Der Reformvorschlag liefe auf eine Zementierung der konfessionellen Teilung des Libanon hinaus. Die Gründungsväter des modernen Libanon, Bachara al-Khouri and Riad al-Solh, hatten 1943 mit der Einführung des politischen Konfessionalismus, also der Verteilung politischer Ämter nach Religionszugehörigkeit, noch einen Prozess der Nationenbildung anstoßen wollen: Das politische System basiert seither auf Kooperation und Konsens, weil Kandidaten für politische Ämter gerade immer auch auf Stimmen aus anderen Gemeinschaften angewiesen sind.

 

Nun jedoch arbeiten die christlichen Eliten des Landes aktiv am Zerfall des Libanon in seine konfessionellen Einzelteile. Unterstützung erhält ihr Reformvorschlag aber auch von den schiitischen Parteien Hizbullah und Amal. Es ist nur dem Widerstand der sunnitischen »Zukunftsbewegung« Saad al-Hariris und der drusischen »Progressiv-Sozialistischen Partei« zu verdanken, dass die Wahlreform wahrscheinlich die nötige Parlamentsmehrheit verfehlen wird.

 

Frappierend ist jedoch, dass der Vorstoß bei maronitischen Christen aller Schichten und Altersgruppen große Unterstützung erfährt. Hier drückt sich die verbreitete Angst aus, in die Defensive zu geraten, Privilegien zu verlieren und von einer wachsenden muslimischen Gemeinschaft fremdbestimmt zu werden. Mit der Realität haben diese Wahrnehmungen jedoch wenig zu tun. Aus neuesten Zahlen statistischer Behörden geht hervor, dass der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung stabil bei 35 Prozent liegt. Eine signifikante Verschiebung der Bevölkerungsstruktur wird von Demographen für die kommenden Jahrzehnte nicht erwartet. Das liegt zum einen daran, dass nicht mehr Christen als Muslime aus dem Libanon auswandern und dass zum anderen die Geburtenrate unter den Muslimen stetig zurückgeht.

 

Auf Stimmenfang mit rassistischen Äußerungen

 

Gleichwohl werden immer wieder Überfremdungsängste seitens christlicher Parteien und der maronitischen Kirche geschürt. Das drückt sich auch im Umgang mit den syrischen Flüchtlingen aus, die dem Bürgerkrieg in ihrem Land entkommen sind. Christliche Politiker behaupten immer wieder, dass der Libanon überfordert sei und die Aufnahme weiterer Flüchtlinge gestoppt werden müsse. Einige Politiker scheuen nicht davor zurück, mit rassistischen Äußerungen auf Stimmenfang zu gehen.

 

Zu ihnen gehört auch Energieminister Gebran Bassil von der »Freien Patriotischen Bewegung«, der Anfang des Jahres Syrer und Palästinenser mit Müll verglich. Er sagte: »Wenn wir nicht zulassen wollen, dass die Syrer und Palästinenser uns ersetzen, dann müssen wir unsere Ablehnung mit Taten untermauern und nicht mit Worten. Der Libanon kann nicht die Müllhalde für die Probleme der Welt sein.« Von christlicher Nächstenliebe ist auch bei der Kirche wenig zu spüren, auch wenn sie vor Überfremdung warnt.

 

Eine fremdenfeindliche Stimmung gegenüber Syrern ist im Libanon allgegenwärtig. Syrer werden verantwortlich gemacht für steigende Mieten, für die täglichen Staus auf den Straßen und Kriminalität. Doch ziehen auch viele wohlhabende Syrer nach Beirut, wodurch die fernbleibenden Touristen aus der Golfregion kompensiert werden. Auch dass die libanesische Wirtschaft auf die billigen syrischen Arbeitskräfte angewiesen ist, wird gerne übersehen.

 

Im immer noch boomenden Bausektor sind fast nur syrische Arbeiter beschäftigt – libanesische Bauarbeiter gibt es praktisch nicht. In Vergessenheit geraten ist ebenso, dass gerade der Libanon eine lange Bürgerkriegsgeschichte hat und viele Libanesen als Flüchtlinge in anderen Ländern, zum Beispiel auch in Syrien, einst Zuflucht fanden. Der christliche Fundamentalismus ist kein Randphänomen mehr, sondern längst in der Mitte der christlichen Gesellschaft angekommen. Mitunter nimmt diese Entwicklung bizarre Züge an. So wurden zwei christliche Politiker als Helden gefeiert, weil sie ein Wohnhaus mit dazugehörigem Grundstück in der mehrheitlich von Christen bewohnten Region Jezzine käuflich erwarben. Von politischer Brisanz war das Ereignis, weil der Vorbesitzer der sunnitische Salafist Ahmad Assir war.

 

Ein Salafist beim Skifahren

 

Die beiden Grundstückskäufer haben hohe Ambitionen bei den anstehenden libanesischen Parlamentswahlen und gehören der »Freien Patriotischen Bewegung« (FPM) Michel Aouns an. Der Wahlerfolg ist ihnen nun sicher. Auf der Facebook-Seite des einen der beiden Käufer, Amal Abu Zeid, haben sich schon Dutzende Leute zu Wort gemeldet. Bis auf wenige Ausnahmen bekundeten sie ihre Hochachtung für Abu Zeid mit Kommentaren wie: »Du bist unser Held!«, »Gäbe es doch mehr Leute wie dich« oder »Das sind fantastische Nachrichten«.

 

Auch nationale Zeitungen und politisch nahestehende Fernsehstationen berichteten ausführlich über dieses »Ereignis« – wohlgemerkt: einen privaten Immobilienerwerb. Ahmad Assir – sicherlich ein streitbarer Politiker – schaffte es im Januar dieses Jahres ein weiteres Mal, christlich-nationalen Protest zu provozieren. Als Assir und seine Anhänger auf dem Weg zum beliebten Skiort Faraya waren, um dort Ski zu fahren, bewarfen Hunderte Einwohner des christlichen Städtchens Kfar Zebian die Kleinbusse Assirs und seiner Begleiter zunächst mit Schneebällen, dann mit Steinen.

 

Anschließend errichteten sie eine Straßenblockade, um den Scheich an der Weiterfahrt in ihr »christliches Land« zu hindern. Erst nach zwei Stunden gelang es der herbeigerufenen Armee, die Straße wieder zu räumen. So kam der Salafist diesmal noch zu seinem sportlichen Vergnügen.


Maximilian Felsch hat an der Martin-Luther-Universität in Halle Politikwissenschaft studiert und an der Graduate School of Politics in Münster über die transnationalen Strukturen und Mobilisierungsstrategien der Hamas promoviert. Seit 2011 arbeitet er als Assistant Professor und Koordinator des politikwissenschaftlichen Instituts an der Haigazian-Universität in Beirut.
Von: 
Maximilian Felsch

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