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Buch zur Doku »The Gatekeepers«

1+1=11

Feature

Zwei Jahre nach der Doku »The Gatekeepers« veröffentlicht der israelische Regisseur Dror Moreh das Buch dazu. Es bietet detaillierte Hintergründe und sechs bislang weitgehend unbekannte Biographien von Israels obersten Geheimdienstlern.

Dem israelischen Regisseur Dror Moreh war vor zwei Jahren mit seiner Dokumentation »The Gatekeepers« ein Meisterwerk gelungen, hochpolitisch und intelligent, eine Dokumentation, spannungsgeladener und komplexer als jeder Thriller. Die Wirklichkeit.

 

Nun hat er ein Buch zur Doku veröffentlicht. Wie so oft, gilt auch in diesem Fall: Das Buch ist – noch – eindrücklicher. Es basiert, wie der Film, auf Interviews mit den sechs Schin-Bet-Direktoren – fünf ehemalige, ein seinerzeit amtierender: Juval Diskin –, die zwischen 2009 und 2010 geführt wurden, erzählt anhand ihrer Lebensgeschichten die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes seit des Sechs-Tage-Krieges (1967) und ist aktuell wie kein anderes Buch, das zum Thema auf Deutsch vorliegt.

 

»Die Kunst, Kontakte zu knüpfen«

 

Da ist Avraham Schalom, Palmach-Veteran und nach langjähriger Tätigkeit von 1981 bis 1986 leitender Direktor des Inlandsgeheimdienstes. Er bricht für die Dokumentation sein Schweigen – nach dreißig Jahren. Der wache Greis, geboren und aufgewachsen in Wien, mahnt, die Zeichen der Zeit zu erkennen: »Mir wird zum ersten Mal bewusst, dass die Existenz Israels ein Diskussionsthema ist. Bisher stand das nie zur Diskussion. Der Bürger merkt das auch, nur ist er nicht bereit, es zuzugeben. Die meisten verschanzen sich hinter dem Joghurt am Morgen und dem Steak am Mittag.«

 

Oder Jaakov Peri, Jahrgang 1944, der die Arbeit beim Schin Bet als Kunst bezeichnet: »Die Kunst, Kontakte zu knöpfen, Vertrauen aufzubauen und Menschen zu Verrätern zu machen – an ihrem Volk, ihren Freunden, ihrer Familie.« Peri, heute einflußreiches Mitglied der »Jesch Atid«-Partei von Jair Lapid, leitete den Inlandsgeheimdienst von 1988 bis 1994, trat aber bereits 1966 dem Schin Bet bei – durch Zufall, wie fast alle Interviewpartner von Dror Moreh.

 

»Eines Tages las ich am Schwarzen Brett der Hochschule, es würden junge Männer‚ mit Kampferfahrung und Interesse an einer Herausforderung im staatlichen Sicherheitsdienst gesucht – so in etwa lautete die Anzeige«, erinnert er sich heute. Ersmals von der Existenz seines künftigen Arbeitgebers erfahren hatte er aus dem von Uri Avnery in den frühen Jahren des Staates herausgegebenen linksgerichteten Magazin Ha-Olam ha-seh. »Normalerweise schaute ich mir nur die Fots der jungen Frauen in Badezügen an, die regelmäßig in dieser Zeitschrift abgedruckt wurden.«

 

Nun aber wurde über einen Inlandsgeheimdienst berichtet, derselbige als »Reich der Finsternis« bezeichnet. Es sollte auch zur beruflichen Heimat für Ami Ajalon, Juval Diskin und Karmi Glion werden, Spross einer angesehenen israelischen Gründerdynastie, die mit Reuven Rivlin, Dan Meridor und Benjamin Netanjahu im Jerusaler Stadtteil Rechavia aufwuchs. In seine Amtszeit (1994-1996) fällt die Ermordung Jizchak Rabins. Dieser weigerte sich lange gegen Personenschützer, denn er fand, das passe zu »Ceausescu, einem Präsidenten einer Bananenrepublik«. Die Folgen sind bekannt.

 

»Was für Nullen«

 

Besonders aus der Interviewsammlung herausragt jedoch Avi Dichter, Sohn von Schoa-Überlebenden aus Ostpolen (heute Westukraine), der nach eigenem Bekunden während der Grundausbildung gelernt hat, Arabisch zu sprechen »wie ein palästinensischer Proll«. Zunächst gibt er den beinharten Geheimdienstler, den Sprücheklopfer, der US-Generäle als »mit viel Lametta« behangen bezeichnet, von israelisch-amerikanischen Konsultationen zur Palästina- und Sicherheitsfrage berichtet, in denen er auf die Frage der Amerikaner, was die Palästinenser bedürften, geantwortet haben will: »Noch mehr Waffen? Noch einen Nachrichtendientst? Ich habe zu ihnen gesagt: Leute, nur eins: Gebt ihnen Eier.«

 

Auch zu  Scheich Ahmed Jassin, den spiritus rector der Hamas, hat er ein paar Worte: »Auf den ersten Blick erweckte er den Anschein, dass kein Mensch dieser Welt so arm dran sei wie er. An den Rollstuhl gefesselt, krumm, eingefallen, kaum imstande zu sprechen. Mutter Teresa erschien neben ihm wie eine Gladiatorin.« Doch spannend wird es, wenn er über die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Sicherheitsbehörden während der Zweiten Intifada berichtet – ergo: von Männern wie Mohammed Dahlan, Sicherheitschef der Palästinensischen Autonomiebehörde im Gaza-Streifen, und Jibril Rajub, Chef des palästinensischen Inlandsgeheimdienst im Westjordanland.Ihr Arbeiten nennt er »Ja’ani« – ein »das heißt«, das auch »ja«, »nein« oder »« bedeuten man, kurzum: ein vages »Was immer Du willst«.

 

»Auf die Kultur des Ja’ani gründen sich alle Sünden in den damaligen Beziehungen zu den Palästinenser. Es war klar, dass wir dieses Ja’ani nicht länger dulden konnten. Wir haben den und den Ja’ani verhaftet, wir haben das und Ja’ani gemacht, das und das Ja’ani weitergeleitet, das und das Ja’ani verhindert. Es wurde geradezu unerträglich«, erinnert sich Dichter. Sein Fazit: Der Sicherheitsappart war kein wirklicher Partner – und nicht gut organisiert.

 

Deutlich wird das, wenn man zurückblickt auf den Juni 2007, so Dichter. »Das war ein Ereignis ohne Präzedenzfall. 16.000 Sicherheitskräfte in Gaza verloren den Gaza-Streifen innerhalb von drei Tagen im Juni 2007, innerhalb von drei Tagen, mit sämtlichen Besitztümern, vor allem dem Archiv. Erkennen Sie die Tragweite? Malen Sie sich mal aus, der Schin Bet würde sein Archiv abgeben, der Mossad würde sein Archiv abgeben, die Polizei würde ihr Archiv abgeben. Was für Nullen. Ich finde dafür gar keine Worte.«

 

Avi Dichter nimmt jedoch, ebenso wie alle anderen Gesprächspartner, kein Blatt vor den Mund, wenn es um Israel geht. Er fragt: »Aber was ist eigentlich die ganzen Jahre über mit uns passiert? Wir haben gesagt: Lasst uns das Riskio immer weiter reduzieren. Und das bedeutete mehr Straßensperren, mehr Trennzaun, mehr Festnahmen, mehr Eliminierungen. Das sind militärische Methoden. Frieden schafft man nicht mit militärischen Methoden. Frieden muss letztendlich auf der Basis von Vertrauen hergestellt werden, nach militärischen Schritten oder ohne sie.«

 

Ob er selbst daran glaubt? »Als einer, der die Palästinenser durch und durch kennt, behaupte ich, dass es kein Problem sein sollte, ein echtesVertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen.« Es sind dies nur Ausschnitte, mehr als 400 Seiten umfasst Dror Morehs Buch. Es ist ein Wunder. Normalerweise halten sich Schin-Bet-Mitarbeiter an die alte Grundformel »1+1=11« – ergo: sagt einer etwas einem anderen, wissen es elf. Dementsprechend ist Schweigen erste Dienstpflicht. Dror Moreh hat das geändert.

 


The Gatekeepers

Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes

Dror Moreh

Kiepenheuer & Witsch, 2015

480 Seiten, 22,99 Euro

 
Von: 
Dominik Peters

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