Jörg Armbruster hat seine Recherchen in Aleppo fast mit dem Leben bezahlt. Nun berichtet der langjährige ARD-Korrespondent in einem Buch über alle Konfliktparteien und Kriegsschauplätze – und fasst mit vier Worten Syriens Tragödie zusammen.
Die »Organisation für das Verbot chemischer Waffen«, kurz: OPCW, hat Anfang November eine gute Nachricht aus Syrien vermelden können – alle 23 von Damaskus deklarierten Anlagen zur Giftgas-Produktion sollen mittlerweile zerstört worden sein. Kein Grund zur Euphorie, aber doch eine der wenigen guten Nachrichten, die aus dem syrischen Schlachthaus dringen. Jörg Armbruster war dort, hat das zerrissene Land erkundet und mit seinen Menschen gesprochen.
Im vergangen Jahr dann die Schreckensnachricht: Der langjährige ARD-Korrespondent für den Nahen Osten wurde auf einer Recherchereise durch die Kugel eines Heckenschützen schwer verwundet und hatte Glück, Aleppo lebend zu verlassen. Mittlerweile ist er – den Umständen entsprechend – wieder genesen und hat ein Buch über seine Erfahrungen vor Ort verfasst.
In »Brennpunkt Nahost. Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens« nimmt Armbruster den Leser mit in den levantinischen Polizeistaat, zu den »kleinen Gandhis und Mandelas«, wie er die friedlichen Aktivisten in den urbanen Zentren nennt, nach al-Hula, wo im Mai 2012 ein Massaker verübt worden war, oder auch nach Tel Rifa’at, einem kleinen Flecken Erde im Norden des Landes, der seit der Eisenzeit bewohnt ist – und nun aufgrund seiner Nähe zu einem Hubschrauberflugplatz des Regimes mit Scud-Raketen nordkoreanischer Bauart beschossen wird.
Blauhelme mit Pocketkameras unter Geheimdienstbeobachtung
In seinen knappen, klaren Sätzen deutet Armbruster immer wieder auf ein gravierendes Problem hin – die Berichterstattung aus Syrien findet entweder unter dem wachsamen Auge des Sicherheitsapparates statt, oder unter Begleitung ortskundiger Rebellen; kurzum: der Handlungsspielraum ist beschränkt.
Das gilt auch die für die Blauhelmsoldaten, die seinerzeit ausgestattet mit »Schreibblock, Plastikkugelschreibern und Pocketkamera« ihre Arbeit zwischen den Schlachtfeldern verrichten und jeden Ort, den sie besuchen wollten, im Vorfeld beim Geheimdienst anmelden mussten.
Leichen mit verdrehten Gliedmaßen oder zerschlagenen Gesichtern
Armbrusters Beschreibungen über die absurde Mission der UN-Truppen, die mittlerweile beendet worden ist, seine Treffen mit Oppositionellen wie dem Kommunisten Abdul Aziz al-Khair oder dem Schriftsteller Louay Hussein, oder die grauenhaften Szenen, die er an einer Brücke über den Kuwaik-Fluss, der durch Aleppo fließt, gesehen hat, an dem die Menschen mit Hilfe von ins Wasser gelassenen Metallabsperrungen Leichen mit verdrehten Gliedmaßen oder zerschlagenen Gesichtern ans Ufer ziehen, bleiben dem Leser im Gedächtnis.
Und werfen neue Fragen auf, vor allem die eine: Quo vadis, Syrien? Eine abschließende Antwort kann Armbruster natürlich nicht geben. Wie auch, schließlich bilden sich beinahe wöchentlich neue Allianzen, verschieben sich die Kampflinien und es scheint keine der beiden Seiten bereit zu sein, aufzugeben.
Pommes mit dem Salafisten von den »Ahrar al-Sham-Brigaden«
Damit kein Leser auf den rund 200 Seiten verloren geht, wurden zahlreiche – und vor allem sinnhafte – Informationsboxen in den Text eingearbeitet, die mal das Wirrwarr der Oppositionsgruppen, mal das weit verzweigte Familiennetzwerk des Assad-Clans erklären sollen.
Mit dieser Handreichung sind Armbrusters Ausführungen zu seinem gemeinsamen Abendessen mit dem kampferprobten Salafisten von den »Ahrar al-Sham-Brigaden«, der eine Vorliebe für überzuckerten Tee und Pommes mit Hühnchen hat, ebenso gut nachvollziehbar, wie auch sein Besuch in der Mariamia-Kathedrale der griechisch-orthodoxen Kirche in Damaskus oder die Begegnung mit den kurdischen Freischärlern der YPG.
Jörg Armbruster schafft es, das syrische Meinungsmosaik abzubilden, ebenso wie die divergierenden Interessen der unterschiedlichen internationalen Player – Stichwort: Katar, Iran etc. – in diesem Drama zu skizzieren. Er bleibt dabei nicht neutral, sondern klagt vor allem mit Blick auf das Verhalten des Westens, an. Und beantwortet sich und den Lesern abschließend die Frage, ob der Konflikt alsbald friedlich gelöst werden könne, mit vier Worten: »Nein! Ganz klar nein!«
Brennpunkt Nahost
Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens
Jörg Armbruster
Westend Verlag, 2013
256 Seiten, 17,99 Euro