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Bruderkrieg der Tuareg-Rebellen

Allianz ohne Zukunft

Analyse

Die Azawad-Befreiungsfront (MNLA) kündigt ihr Bündnis mit der Al-Qaida nahen Ansar Dine. Im Norden Malis droht ein Bruderkrieg der Tuareg-Rebellen. Doch nur ohne die Islamisten kann die MNLA auf Anerkennung hoffen.

Die Azawad-Befreiungsfront (MNLA) hat sich von ihrem bisherigen Partner, der islamistischen Ansar Dine, distanziert, und »alle Abkommen mit dieser Organisation für null und nichtig« erklärt, wie MNLA-Sprecher Hama Ag Mahmoud in einem Statement bekanntgab.

 

Im Norden Malis hatten Truppen der Azawad-Befreiungsfront und der Ansar Dine zwei Drittel des Staatsgebietes im Handstreich erobert und am 6. April den international nicht anerkannten Tuareg-Staat Azawad ausgerufen. Bei einem Treffen Anfang der Woche wollten beide Seiten ihre Differenzen über Rolle und Auslegung des Islams sowie eine mögliche Machtverteilung verhandeln.

 

Dabei hatten sich beide Seiten vor einer Woche zunächst auf ein Dokument geeinigt, dass die von der MNLA geforderte vollständige Unabhängigkeit sowie die Anwendung des islamischen Rechts, wie von Ansar Dine gefordert, regelt. Die MNLA gab nun wohl den starken Bedenken aus den eigenen Reihen nach, die sich zunehmend verärgert über die unnachgiebige Haltung der zahlenmäßig kleineren, aber wohl finanzstärkeren islamistischen Gruppe zeigten.

 

Deren Führer Iyad Ag Ghali hatte Ansar Dine erst Anfang 2012 aus der Taufe gehoben, nachdem er zuvor damit gescheitert war, einen Führungsposten in der im Oktober 2011 neu gegründeten MNLA zu erlangen. In den 1990ern hatte Ag Ghali zu den führenden Köpfen der MNLA-Vorgängerorganisationen gehört, die mehrere erfolglose Rebellionen starteten. 1991 war er es, der auf Seiten der Tuareg unter algerischer Vermittlung das Friedensabkommen von Tamanrasset unterzeichnete.

 

Jedoch nahm Ag Ghali gegenüber der malischen Regierung stets eine pragmatische Haltung ein und war zwischenzeitlich, wie auch MNLA-Sprecher Hama Ag Mahmoud, in Diensten der Regierung in Bamako. So diente er etwa in der diplomatischen Vertretung Malis im saudi-arabischen Dschidda. Dort soll Ag Ghali auch zunehmend in islamistischen Kreisen verkehrt und eine politische Richtungsänderung durchlaufen zu haben – mit dem er bei der Neuaufstellung der MNLA allerdings wohl scheiterte.

 

Das Misstrauen gegenüber den Islamisten bestätigte sich nach den schnellen Eroberungen

 

Stattdessen nutzte Ag Ghali wohl seine familiären Banden zu den Ifora-Tuareg im Süden des von den Tuareg als Azawad bezeichneten Gebiets und möglicherweise auch seine alten Seilschaften zum algerischen Geheimdienst, um seine eigene schlagkräftige Truppe anzuführen. Inwiefern Ag Ghali dabei auch auf Kämpfer der Terror-Filliale »Al-Qaida im Islamischen Maghreb« (AQIM) zurückgriff, diese absorbierte oder sich mit ihnen verbündete, ist kaum sicher festzustellen.

 

Das Misstrauen der MNLA-Rebellen wurde jedoch durch das Gebahren der Islamisten während der Eroberung der Gebiete im »Azawad« geschürt. Besonders in Gao und Timbuktu, den beiden größten und wichtigsten Städten der Region, sollen sich die Islamisten kräftig daneben benommen und zudem die Lokalbevölkerung gegen sich aufgebracht haben.

 

Dort sollen die Kämpfer der Ansar Dine unmittelbar nach der Einnahme von Stellungen regelmäßig die bunte schwarz-rot-grün-gelbe Flagge der MNLA entfernt und durch die auch von AQIM benutzte schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis ausgetauscht haben. Zudem hätten sie umgehend einen ihrer Ansicht nach »islamischen« Dresscode verpflichtend gemacht und nach möglichen Alkoholsündern Ausschau gehalten.

 

Zwar ist etwa Timbuktu ein traditionelles Zentrum islamischer Gelehrsamkeit und ebenso wie die tribal organisierte Tuareg-Gesellschaft relativ konservativ eingestellt, mit der Islamauslegung der Ansar Dine und vor allem deren ruppigen Umgangston konnten die Bewohner nicht viel anfangen – und gingen prompt auf die Straße, um gegen die aufgezwungene Herrschaft zu demonstrieren. Auch die MNLA-Führung kam in ihrer heutigen Erklärung zu dem Schluss, dass Ansar Dine »unseren Werten radikal widerspricht«. So sieht sich die MNLA beispielsweise selbst als Vertreter nicht nur der Tuareg, sondern auch der in der Region lebenden Songhai und Fulbe.

 

MNLA-Sprecher Hama Ag Mahmoud betonte zudem gegenüber dem französischen Sender RFI, dass seine Organisation »laizistisch« sei – und die einzige, »die die Islamisten in der Region bekämpfen kann.« Zwar hatte sich die MNLA seit Beginn des Aufstands im Januar 2012 von AQIM distanziert, doch gerade das Zweckbündnis mit Ansar Dine schien all jene Befürchtungen zu bestätigen, die ein »Afghanistan in der Sahel-Zone« am Horizont heraufsehen sahen. Für die Außendarstellung und die diplomatischen Bemühungen war die Verbindung mit Iyad Ag Ghalis Islamistengruppe in jedem Fall fatal.

 

Vom Terrorverbündeten zum Antiterror-Helfer?

 

Obwohl die Zentralverwaltung in Bamako seit dem Sturz von Präsident Amadou Toumani Touré kaum mehr handlungsfähig und die Junta um Hauptmann Amadou Sanogo regional wie international selbst von Sanktionen bedroht ist, kommen die Planer des Projektes eines unabhängigen »Azawad« keinen Schritt voran. Seit dem Ende der Militärkampagne und der Ausrufung des eigenen Staates hat kein einziges Land weltweit Azawad als unabhängigen Staat anerkannt. Für die MNLA noch schlimmer, ist es international noch nicht einmal auf der Agenda und die Azawad-Befreiungsfront noch weit davon entfernt, als legitimer Gesprächspartner akzeptiert, geschweige denn an den Verhandlungstisch geladen zu werden.

 

Der Trumpf im Ärmel der MNLA ist denn wohl auch, das islamistische Gefahrenpotenzial effektiv eindämmen zu können – im Gegenzug für eine diplomatische Aufwertung. Das Kalkül lautet, dass der Westen der Eindämmung einer kaum zu kalkulierenden und schwierig zu bekämpfenden Terrorgefahr in der Sahel-Zone im Zweifelsfall den Vorrang gegenüber der territorialen Integrität Malis einräumt – zumal der westafrikanische Staat gerade für Frankreich in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den Terror nicht immer als verlässlicher Partner galt. Ob die Aufkündigung des Bündnisses mit Ansar Dine, das von der MNLA-Führung auch öffentlichkeitswirksam gerade gegenüber französischen Medien kommuniziert wurde, ein erster Schritt in diese Richtung ist, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist ist es wohl eine unabdingbare Voraussetzung, um den militärischen Erfolg – nach innen wie nach außen – politisch nicht zu verspielen.

 

Sollte es die MNLA ernst meinen, wird sich wohl auch bald zeigen, wie es um die Kräfteverhältnisse der Tuareg-Gruppen wirklich bestellt ist. Denn Ansar Dine wird die Stellungen etwa in Gao und Timbuktu nicht kampflos räumen, für die MNLA kommt dagegen eine innere Teilung des gerade vor zwei Monaten proklamierten »Azawad« nicht in Frage. Bevor sich die MNLA der ersehnten Anerkennungspolitik widmen kann, wird sie also zunächst ihre eigenen Widersprüche klären, Position beziehen und wahrscheinlich wieder in den Kampf ziehen müssen – gegen jene Gruppe, mit der sie sich noch vor einer Woche auf ein gemeinsames Herrschaftsdokument geeinigt hatte.

Von: 
Robert Chatterjee

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