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Atomwaffenfreie Zone Nahost

Es geht auch anders

Analyse

Auf neun atomwaffenfreie Zonen konnte sich die internationale Gemeinschaft bisher einigen, oft nach jahrelangen Verhandlungen. Doch taugt die Option auch für den Nahen Osten und die Konfliktparteien Israel und Iran?

Ein gewaltsamer Konflikt zwischen Israel und dem Iran scheint dieser Tage immer näher zu rücken. Während sich die Erzfeinde sogar mit der totalen Vernichtung drohen, haben sich andere Staaten längst von der militärischen Nutzung der Kernenergie verabschiedet. Doch eine friedliche Beilegung des Streits wird angesichts der Verschärfung in den letzten Monaten immer unwahrscheinlicher.

 

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu skizzierte zuletzt sehr anschaulich anhand einer Karikatur vor der UN-Vollversammlung, dass es aus seiner Sicht dann zu spät für ein präventives Eingreifen sein könnte. Daraus ergeben sich für den Nahen Osten zwei Szenarien: Entweder Israel entscheidet sich zusammen mit den USA nach der Präsidentschaftswahl für einen Präventivschlag und zerstört die iranischen Atomanlagen oder es riskiert einen Atomkrieg mit dem iranischen Regime.

 

Ersteres könnte zu einer Blockade der Straße von Hormus und damit auch zu einem langwierigen Krieg führen, letzteres würde wohl große Teile beider Staaten dem Erdboden gleich machen. Problematisch ist hierbei vor allem die geografische Lage der Länder. Durch ihre Nähe zueinander sind Frühwarnsysteme wie im Kalten Krieg nutzlos, auf einen Angriff kann kaum reagiert werden.

 

Hinzu kommt, dass Israel sehr klein und damit ein sogenanntes »one-bomb country« ist, was bedeutet, dass es durch eine einzige Atombombe nahezu zerstört werden kann. Eine Zweitschlagkapazität besitzt es nur durch seine U-Boote. Beide Optionen klingen sowohl für die beiden Länder, als auch für die ohnehin instabile Region wenig wünschenswert. Ein Ausweg wäre eine diplomatische Lösung.

 

Zur kurzfristigen Entschärfung des Streits könnte das Vermitteln einzelner Staaten dienen, so wie es die USA im Moment versuchen. Langfristig bestünde die Möglichkeit der Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone. Diese bestehen schon seit längerer Zeit in zahlreichen Weltregionen, die nicht weiter der atomaren Bedrohung ausgesetzt sein wollten. Diese Zonen entstehen in der Regel durch Konferenz- und Institutionsbildung und werden infolgedessen in völkerrechtlichen Verträgen festgehalten.

 

Die erste atomwaffenfreie Zone entstand 1967

 

Zumeist wird darin festgelegt, dass in einer bestimmten Region das Test, Herstellung, Stationierung und Besitz von Kernwaffen verboten wird. In Zusatzprotokollen werden auch die Atommächte dazu verpflichtet, den atomwaffenfreien Status der Region anzuerkennen. Die Einrichtung solcher Zonen stellte in allen Fällen ein erfolgreiches Mittel zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen dar.

 

Allerdings ist fraglich, ob sich das Konzept auch auf den Fall Israel/Iran übertragen lässt. Die erste atomwaffenfreie Zone wurde im Jahr 1967 durch den Vertrag von Tlatelolco eingerichtet und umfasst heute das gesamte Gebiet Mittel- und Südamerikas. Das Abkommen kam durch einen komplizierten vierjährigen Prozess zustande, bei dem vor allem Mexiko, aber auch die Großmächte USA und die Sowjetunion eine große Rolle spielten.

 

Schwierig gestaltete sich vor allem die Integration Argentiniens und Brasiliens, die durch innenpolitische Veränderungen das Interesse an einer Einigung verloren. Beide besaßen zwischenzeitlich ein Nuklearwaffenpotenzial, unternahmen aber nie wirklich ernsthafte Versuche zum Bau einer Atombombe. Letztlich wurden sie erst in den 1990er Jahren Vertragsstaaten, nachdem in beiden Ländern ein Demokratisierungsprozess in Gang gesetzt wurde.

 

Erste Schritte zu einem weiteren Abkommen wurden 1970 von den damaligen Mitgliedern des ASEAN-Bündnisses unternommen. Die Organisation wollte ebenfalls eine atomwaffenfreie Zone im südostasiatischen Raum schaffen. Durch die politischen Wirren des Kalten Krieges und die verschiedenen ideologischen Ausrichtungen der Staaten kam es jedoch erst mehr als 20 Jahre später zu einer Einigung.

 

Im Vertrag von Bangkok erklärten 1996 zunächst fünf Staaten ihren Verzicht auf Atomwaffen. Im Jahr 2001 unterzeichneten die Philippinen als letztes ASEAN-Mitglied das Dokument, wodurch das gesamte Gebiet von Myanmar bis Indonesien atomwaffenfrei wurde.

 

Präzedenzfall Südafrika?

 

Einen besonderen Fall einer atomwaffenfreien Zone stellt Afrika dar. Der Vertrag von Pelindaba,  dem mittlerweile alle Staaten des Kontinents beigetreten sind, umfasst nämlich mit Südafrika ein Land, das bereits im Besitz von Kernwaffen war. Das Land hatte in den 1970er-Jahren unter dem Apartheid-Regime als Reaktion auf außenpolitische Bedrohungen ein Atomprogramm aufgenommen und infolgedessen sechs Sprengköpfe hergestellt.

 

Durch internationale Isolation und innenpolitische Probleme kam es jedoch zu einem Umdenken, weswegen sie 1989 vernichtet wurden. Daraufhin war der Weg frei für eine atomwaffenfreie Zone, um die sich einige Staaten schon seit Jahrzehnten bemühten. So unterzeichneten 1996 die ersten Staatsoberhäupter das Vertragswerk, wofür sie symbolträchtig das südafrikanische Pelindaba wählten.

 

Neben den drei Verträgen existieren noch sechs weitere, die Zentralasien, die Mongolei, Ozeanien, die Antarktis, den Meeresboden und das Weltall umfassen. Es ist also durchaus möglich, friedliche zwischenstaatliche Lösungen zur atomaren Abrüstung zu finden. In den Vertragstexten wird dabei stets die Unversehrtheit der Bewohner, die moralische Illegitimität von Atomwaffen und der Erhalt des Friedens betont.

 

Die Staaten haben es demnach geschafft, sich durch Diplomatie und Institutionsbildung auf gemeinsame Werte zu einigen und diese verbindlich festzulegen. Doch besteht diese Option auch für den Fall Israel/Iran? Zurzeit wirkt dies äußerst unwahrscheinlich. Denn bei allen bisherigen atomwaffenfreien Zonen waren die Startvoraussetzungen für eine Einigung deutlich besser.

 

So waren sich die Vertragsparteien in der Regel freundlich gesinnt und hegten ohnehin keinerlei Ansprüche auf ein militärisches Atomprogramm, wenn sie überhaupt die wirtschaftlichen Kapazitäten dazu besaßen. Weiterhin teilten sie zumindest einen groben gemeinsamen kulturellen Hintergrund sowie darauf basierende Einrichtungen, was die Verhandlungen erleichterte.

 

Entscheidend wird die Haltung der USA sein

 

Israel und der Iran stehen sich in ihren Interessen jedoch diametral entgegen. Auf der einen Seite verharrt eine jüdisch geprägte Demokratie, auf der anderen Seite eine islamistische Diktatur. Permanente diplomatische Institutionen oder ein »heißer Draht« zwischen den Staaten sind nur schwach oder gar nicht ausgebildet.

 

Doch auch in anderen Fällen dauerte es Jahre beziehungsweise Jahrzehnte bis alle Parteien an einen Tisch gebracht werden konnten. Sollte die aktuelle Krise mittels diplomatischer Vermittlung überstanden werden, könnte es vielleicht zu einer dauerhaften Entspannung kommen. Von großer Bedeutung könnten dabei die USA sein, die sich bisher noch in Zurückhaltung üben.

 

Auch dies könnte sich – abhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl – ändern. Tendenziell dürften sie aber nur wenig Interesse an einer weiteren Destabilisierung der jetzt schon wankenden Region haben. Einige Länder weisen im Zuge des Arabischen Frühlings Zeichen von mangelnder Staatlichkeit auf, in Syrien kann inzwischen kaum mehr von »Staat« gesprochen werden.

 

Insbesondere von iranischer Seite wäre es daher wichtig, den ungeliebten Israelis entgegenzukommen. Aus Diplomatenkreisen ist aktuell zu vernehmen, dass Teheran eigentlich kein Interesse an der Entwicklung einer Atombombe besitzt. Vielmehr möchte die Regierung um Khamenei und Ahmadinejad im Ernstfall die Kapazität besitzen, diese zu bauen. Eine dauerhafte Lagerung von Sprengköpfen sei jedoch nicht geplant.

 

Wenn dies wirklich die Intention ist, wäre es die einfachste Möglichkeit Inspektoren ins Land zu lassen und es somit nachzuweisen. Eine Option, die nicht nur für die beiden Staaten wünschenswert ist.

Von: 
Oliver Imhof

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