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Aserbaidschan und der Europarat

An Aliyev führt kein Weg vorbei

Kommentar

Für die europäische Staatengemeinschaft kann Aserbaidschans Vorsitz im Europarat eine Chance sein, die südkaukasische Republik näher an sich zu binden – im Rahmen eines fairen Dialogs auf Augenhöhe mit der Regierung, meint Orhan Sattarov.

Aserbaidschan hat es geopolitisch nicht gerade leicht. Das machtpolitisch wieder erstarkte Russland im Norden und der theokratische Iran im Süden, der Schritt für Schritt vom Westen aus der Isolation geholt werden muss, sind für einen kleinen Staat dazwischen keine bequeme Nachbarschaft. Denn die beiden Mächte sehen das strategisch wichtige und rohstoffreiche Aserbaidschan als ihr historisches Einflussgebiet. Immerhin haben Russland und Iran bereits einmal in der Geschichte das aserbaidschanische Volk geteilt: nach dem russisch-persischen Krieg, der mit dem Turkmentschai-Abkommen 1828 vertraglich die Einverleibung besiegelte.

 

Trotz der schwierigen Nachbarschaft schaffte es Baku, zu einem Schlüsselland für die europäische Energiesicherheitspolitik zu werden, ohne die eigenen Beziehungen zu Russland zu verspielen sowie enge wirtschaftliche und militärische Kooperationen mit Israel einzugehen, ohne dabei seine Beziehungen zu Teheran zu gefährden. Der Konflikt mit Armenien um die abtrünnige Provinz Berg-Karabach ist die größte Herausforderung für das Land.

 

Aserbaidschan leidet unter den schweren Folgen des langjährigen Konflikts mit seinem Nachbarland: Etwa 1 Million Flüchtlinge und Binnenvertriebene belasten die Volkswirtschaft des Landes, armenisches Militär besetzt nach wie vor Berg-Karabach und sieben umliegende Gebiete des Landes. Der vor 20 Jahren mit russischer Vermittlung vereinbarte brüchige Waffenstillstand bedeutet noch lange keine Friedensgarantie. Wie groß die Eskalationsgefahren im Südkaukasus sind, zeigte im August 2008 der russisch-georgische Krieg um Südossetien.

 

Gleichzeitig sieht sich das überwiegend muslimische Land mit seiner stark säkular geprägten Gesellschaft und staatlichen Ordnung massiver religiöser Einflussnahme aus dem Ausland ausgesetzt. Insbesondere die von den arabischen Golfmonarchien weltweit großzügig finanzierte salafistische Strömung gewinnt in den vergangenen Jahren zunehmend an Einfluss in Aserbaidschan. Während sich Europa über Dschihadisten in Syrien Sorgen macht, ist die Anzahl der aus Aserbaidschan angeworbenen Salafisten, die nachweislich bei Kämpfen gegen das Assad-Regime gefallen sind, bereits auf über 200 gestiegen.

 

Die innenpolitische Lage im Lande gilt dennoch als ziemlich stabil. Eine organisierte, pro-islamistische Opposition hat sich bisher nicht gebildet, während die einst starke säkulare Opposition seit 2003 massiv an Ansehen in der Bevölkerung verlor. Es ist unverständlich, dass im vermeintlich demokratischen Oppositionslager immer noch dieselben politischen Anführer wie Ali Karimli oder Isa Gambar den Ton angeben, obwohl beide in den letzten 11 Jahren schon zwei Mal Präsidentschafts- und zwei Parlamentswahlen unterlegen waren. Die demokratischen Strukturen in diesen Parteien sind daher äußerst fragwürdig.

 

Der politische Kurs des amtierenden Präsidenten Ilham Aliyev wird trotz häufiger Negativberichterstattung in westlichen Medien vom Großteil der Bevölkerung unterstützt. Einer Umfrage des »European Neighbourhood Info Center« zufolge, die 2013 im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt wurde, vertrauen 92 Prozent der Befragten in Aserbaidschan ihrer Regierung. Mehrere Monate später gewann Aliyev die Präsidentschaftswahlen und genoss dabei die Unterstützung von 84 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Der stärkste Oppositionskandidat, Jamil Hasanli, bekam lediglich 5,53 Prozent der Stimmen.

 

Trotz des kritischen Berichts der ODIHR-Mission über den Verlauf dieser Wahlen in Aserbaidschan, scheint das Wahlergebnis mit den Realitäten weitgehend überein zu stimmen. Zu den großspurig angekündigten Massendemonstrationen gegen die angeblichen Wahlfälschungen konnte die Opposition nur einige wenige Tausend Demonstranten mobilisieren, die an den mit der Bakuer Stadtverwaltung abgestimmten Kundgebungen teilnahmen. Seit den verlorenen Präsidentschaftswahlen 2013 hat sich die Opposition nicht zuletzt wegen interner Streitigkeiten weiter marginalisiert.

 

Die Regierung in Baku verfügt über enorme Finanzreserven, die teilweise im staatlichen Erdölfonds akkumuliert und in soziale Projekte im Land investiert werden, um die wirtschaftliche Lage der Menschen weiter zu verbessern – was wiederum ihre Zufriedenheit mit der amtierenden Regierung positiv beeinflusst. Zu Präsident Aliyev und seiner Regierungsmannschaft scheint es inabsehbarer Zeit keine reale Alternative zu geben.

 

In Demokratiefragen verspricht ein konfrontatives Vorgehen gegen Baku keinen Erfolg

 

Die amtierende Regierung in Baku ist somit der einzige mögliche Ansprechpartner, mit dem ein effektiver Dialog über die Menschenrechtsprobleme und Demokratiedefizite geführt werden kann. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft klingt zwar stets angenehm für europäische Ohren, darauf dürfen sich die Maßnahmen zur Umsetzung demokratischer Werte aber nicht beschränken. Ohne einen guten Draht zur politischen Elite des Landes wird der Europarat unter den beschriebenen Umständen die demokratische Entwicklung des Landes nicht weiter voranbringen können.

 

Die Aktivitäten und Aussagen des ehemaligen Sonderberichterstatters für politische Gefangene, des heutigen Menschenrechtsbeauftragten der deutschen Bundesregierung, Christoph Strässer, liefern hierfür ein anschauliches Negativbeispiel. Die von Strässer verfasste, höchst umstrittene Liste von angeblich politischen Gefangenen in Aserbaidschan galt in Baku als Höhepunkt eines unseriösen und kenntnisarmen Umgangs mit Daten und Fakten. Denn viele der angeblichen politischen Häftlinge waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Liste schon längst freigelassen worden, einige waren sogar bereits längst eines natürlichen Todes gestorben.

 

Darüber hinaus enthielt diese Liste auch Mitglieder der einstigen Terrororganisation »Sadwal«, die in den 1990er Jahren Jahren einen blutigen Terroranschlag auf die Bakuer Metro verübt hatte. Dadurch löste Strässers Liste auch bei breiten Teilen der aserbaidschanischen Bevölkerung Kopfschütteln aus. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die aserbaidschanische Delegation bei der Abstimmung über den Strässer-Bericht im Europarat starke Argumente vortrug, um seine Verabschiedung zu verhindern.

 

Die aserbaidschanische politische Elite zeigte sich über die politische Voreingenommenheit von Herrn Strässer erbost, was seine eigene Arbeit als Sonderberichterstatter nicht gerade leichter machte und die Beziehungen des Europarats zum offiziellen Baku zeitweilig schwer beschädigte. Strässers Bericht zeigte klar, dass ein konfrontatives Vorgehen gegen Baku in Demokratiefragen keinen Erfolg verspricht.

 

Der Berg-Karabach-Konflikt gehört auf die Agenda des Europarates

Anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft des Europarates versprach der aserbaidschanische Außenminister Elmar Mamadjarov für die folgenden sechs Monate eine starke Unterstützung seines Landes für die drei Grundpfeiler des Europarats: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Dass sich Aserbaidschan für das europäische Modell der Staatsentwicklung entschied, ist nicht selbstverständlich, insbesondere mit Rücksicht auf die sowjetische Vergangenheit sowie die innen- und außenpolitischen Herausforderungen.

 

Damit der Menschenrechtsdialog mit Aserbaidschan an Glaubwürdigkeit gewinnt, sollte er auch diejenigen Themen mit aufgreifen, die für die Bevölkerung und die politische Elite in Baku gleichermaßen wichtig sind. Bisher ist das nicht der Fall gewesen. So hält sich der Europarat aus den menschenrechtlichen Aspekten des Berg-Karabach-Konflikts weitgehend heraus. Das Schicksal der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen aus den vom Europarat-Mitglied Armenien militärisch okkupierten Gebietenwird praktisch ignoriert. In Baku wird das als klarer Ausdruck von Doppelstandards interpretiert.

 

Das vorgebrachte Argument, dass sich primär die Minsker Gruppe der OSZE mit der Beilegung des Konflikts beschäftige, überzeugt nicht, da die humanitäre und menschenrechtliche Dimension durch die Minsker Gruppe kaum Berücksichtigung findet. Der Vorsitz Aserbaidschans im Europarat sollte daher als Chance verstanden und genutzt werden, um den Menschenrechtsdialog neu zu gestalten. Die Erklärung von Außenminister Mammadjarov ist als Signal an Europa zu verstehen, dass Baku hierzu bereit ist.

 

Dafür bietet sich derzeit auch ein günstiges politisches Umfeld. Im Hinblick auf die ersten Europaspiele 2015, die in Aserbaidschan stattfinden und für das Land und die Menschen ein Großevent werden dürften, ist in Baku die politische Bereitschaft gewachsen, nicht nur über die wirtschaftliche Dynamik des Landes zu reden, sondern auch neue Anstrengungen für die demokratische Entwicklung der aserbaidschanischen Gesellschaft zu unternehmen.


Orkhan Sattarov ist PhD-Kandidat am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und seit 2011 zuständig für die Europa-Berichterstattung der russischen Nachrichtenagentur Vestnik Kavkaza.

Von: 
Orhan Sattarov

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