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Arabische Liga und Syrien

Machtlose Zuschauer

Feature

Trotz anhaltender Gewalt scheut die internationale Gemeinschaft Maßnahmen gegen das Assad-Regime. Während die Arabische Liga mit einer zaghaften Beobachtermission erste Schritte unternimmt, fehlt dem Westen das Geld für eine Intervention.

Tunesien hat schon gewählt, Ägypter und Libyer bereiten sich schon auf den Gang zur Urne vor. Während viele Araber ihre neue Freiheit genießen, schießt die syrische Regierung weiter auf das eigene Volk. Der Arabische Frühling scheint dort zur Arabischen Ewigkeit zu verkommen, denn im März jähren sich die Proteste zum ersten Mal. Seitdem töteten Militär und Geheimdienst über 5.000 Menschen, täglich kommen neue Opfer hinzu. Die Parallelen zum Fall Libyen, wo die NATO unter Mithilfe der Arabischen Liga das Blutvergießen stoppen konnte, werden immer deutlicher. Doch warum tun sich diese beiden Akteure mit Sanktionen gegen Syrien so schwer?

 

Vor ein paar Tagen fiel das magische Wort zum ersten Mal: Kriegsverbrechen. Anwar Malek, von der Arabischen Liga im Rahmen der Beobachtermission nach Syrien entsandt, beschuldigte die Regierung Assad dieses schweren Verstoßes gegen das Völkerrecht. Kriegsverbrechen können für die internationale Gemeinschaft einen Grund darstellen, um militärisch in einem Land zu intervenieren. Staaten besitzen eine sogenannte »Schutzverantwortung« gegenüber ihren Bürgern. Können sie dieser nicht nachkommen, wird sie auf die Vereinten Nationen übertragen, um die Zivilbevölkerung vor Angriffen zu bewahren.

 

Diese Norm wurde erst 2005 von den Mitgliedsstaaten der UN anerkannt und das erste Mal beim Eingreifen in Libyen bemüht. Dort lautete der Vorwurf »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, als Muammar al-Gaddafi ankündigte. »von Haus zu Haus zu gehen« und im Umgang mit den Aufständischen keine Gnade walten zu lassen. Nun werden ähnliche Vorwürfe gegenüber der syrischen Regierung laut.

 

Die Beobachtermission brachte  keine klare Verbesserung der Lage

 

Es dauerte nicht lange, bis die Anschuldigungen der Kriegsverbrechen – völkerrechtlich von gleicher Schwere wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit – von der Arabischen Liga relativiert wurden. Malek liege krank im Hotelbett und hätte sich gar kein Bild von der Lage machen können. Dabei liegt er mit seiner Einschätzung wohl nicht so ganz falsch. Gezielte Tötungen und humanitäre Notlagen sind in vielen Städten Syriens an der Tagesordnung. Die Organisation verurteilt zwar die Gewalt, schafft es aber nicht, der Forderung nach Frieden den nötigen Nachdruck zu verleihen. Die Beobachtermission brachte auch keine klare Verbesserung der Lage.

 

Als die Truppen Gaddafis vor den Toren Benghazis standen und sich ein Massenmord abzeichnete, war es die Bitte der Arabischen Liga, welche die westlichen Mächte zur Intervention veranlasste. Im Bezug auf Syrien gibt sie sich deutlich zurückhaltender. Eine einfache Möglichkeit, Druck auf das Regime auszuüben wären wirtschaftliche Sanktionen. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat,  treffen diese die Zivilbevölkerung jedoch meist härter als die Regierung. Bliebe nur eine militärische Lösung, die trotz der prekären humanitären Lage aber unwahrscheinlich ist. Einerseits ist Syrien ein wichtiger Handelspartner Russlands, das im Moment verstärkte Präsenz in der Region zeigt. Andererseits ist die Frage, inwieweit ein Einsatz überhaupt wirtschaftlich machbar ist.

 

Alleine könnte die Arabische Liga die Intervention keineswegs durchführen. Syrien verfügt über eine hochgerüstete Armee. Zudem sind einige Mitgliedsstaaten durch ihre eigenen Revolutionen noch sehr fragil. Deswegen wäre die Hilfe der Westens vonnöten. Doch der ist momentan damit beschäftigt, nicht das zu verlieren, wonach sich die syrischen Demonstranten sehen: Wohlstand.

 

Assad scheint mit seinem Zick-Zack-Kurs aus marginalen Reformen und brutaler Repression vorerst durchzukommen

 

Als die NATO sich zum Angriff gegen Gaddafis Armee entschied, ging sie von einem kurzen Einsatz von vielleicht ein paar Wochen aus. Allerdings gestaltete sich der Schutz der Zivilisten schwieriger als gedacht und es vergingen Monate bis die Regierung endgültig gestürzt war. Zwischendurch drohten sogar die Bomben auszugehen. Letztlich war der Krieg gegen die kleine libysche Armee wirtschaftlich zu verkraften. Ihr syrisches Pendant ist jedoch ohne Reserve 400.000 Mann stark und deutlich besser ausgerüstet. Solch ein Konflikt ist nicht nur gefährlich, er ist auch teuer.

 

Schon seit 2007 stecken die USA und Europa nun in immer neuen wirtschaftlichen Problemen. Immobilienblase, Finanzkrise und Schuldenkrise haben dem vermeintlich reichen Westen schwer zugesetzt. Die Vereinigten Staaten sind durch zwei Kriege hochverschuldet und standen kurz vor einem Staatsbankrott, während die EU um die gemeinsame Währung und damit um das Überleben der Union kämpft. Es werden immer neue Sparpakete verabschiedet und selbst die einst scheinbar unantastbare US Army muss Kürzungen hinnehmen. Da scheint es nicht gerade naheliegend, sich jetzt in einen neuen Konflikt mit ungewissem Ausgang zu stürzen. Hinzu kommt, dass das Interesse an Syrien ohnehin nicht besonders groß ist. Das Land ist politisch relativ unbedeutend und verfügt über keine nennenswerten Rohstoffe, die Ölvorräte sind vernachlässigbar.

 

Nicht nur der Krieg an sich ist problematisch, sondern auch was danach passiert. Syrien ist, ähnlich wie der Irak und Afghanistan, ein Land mit vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen. Sollten nach einem Sturz Assads bürgerkriegsähnliche Zustände auftreten, könnte der Westen über Jahre hinweg in den Konflikt involviert werden. Angesichts der Kosten früherer Missionen wäre dies bei der Haushaltskonsolidierung nicht gerade förderlich.

 

Eine humanitäre Intervention ist zu diesem Zeitpunkt also eher unwahrscheinlich. Assad scheint mit seinem Zick-Zack-Kurs aus marginalen Reformen und brutaler Repression vorerst durchzukommen. Der Despot hält an seiner Macht fest und selbst ein härteres Vorgehen der Arabischen Liga wird ihn wohl kaum vom eingeschlagenen Weg abbringen. Zu desinteressiert zeigte er sich gegenüber den bisherigen Maßnahmen.

 

Der Westen hingegen ist momentan viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass ein Einschreiten möglich erscheint. Abgesehen von Verurteilungen der Gewalt und Sanktionen gegen Regierungsmitglieder wurde bis jetzt nichts unternommen. Ein militärischer Einsatz würde wesentlich mehr Aufwand und Kosten bedeuten, als die Intervention in Libyen. Nach dieser sprach Barack Obama von einer »geteilten Menschlichkeit«, die alle Nationen betrifft. Offensichtlich ist dafür mittlerweile das Geld ausgegangen.

Von: 
Oliver Imhof

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