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Ahmad Chalabi

Mann der Reserve

Portrait

Er verhalf der Bush-Administration zu einem Krieg und verpasste dann seine Chance, Iraks Regierungschef zu werden. Nun taucht Ahmad Chalabi wieder auf – in einem Flüchtlingslager bei Mossul. Was das zu bedeuten hat?

Gerade noch saß der Manager des Flüchtlingslagers auf einem Campingstuhl vor seinem Container und sprach in sein Mobiltelefon. Doch ein Blick die Piste hinunter zur Asphaltstraße alarmiert Ali Ibrahim Barzan: Eine Kolonne schwarzer Geländewagen, begleitet von einer Polizeieskorte, bahnt sich ihren Weg zum Camp Khazair zwischen Mossul und Erbil im Nordirak. Barzan springt auf. Unangekündigter und offensichtlich hoher Besuch ist im Anmarsch. Ist es der Gouverneur der Provinz?
 Es sind über 40 Grad. Der Staub legt sich nur langsam. Das Atmen fällt schwer.

 

Der Mann, der einem der gepanzerten Kolosse mit abgedunkelten Scheiben entsteigt, ist noch eine Nummer größer als der Provinzgouverneur, der ihn begleitet. Gekleidet in ein blaues Sakko, mit vornehmer Blässe und schütterem Haar, erscheint ein Schwergewicht der irakischen Politik. Sofort wird er von seinen Sicherheitsleuten aus Männern in dunklen Anzügen mit Kalaschnikows umringt. Der »Oppositionspolitiker« Ahmad Chalabi ist aus Bagdad angereist.
Der Moment ist günstig: An politischem Kalkül hat es dem fast 70-Jährigen nie gefehlt. 

 

Chalabi, der in England zur Schule ging und in den USA studierte, wurde von den Neokonservativen um den einstigen US-Präsidenten George Bush hofiert. Vor dem Einmarsch der Koalition 2003 in den Irak fraß ihm die US-Presse, darunter auch die New York Times, buchstäblich aus der Hand. Chalabi half, gezielt Gerüchte zu streuen: über perverse Sexpraktiken Saddam Husseins und angebliche Treffen des Diktators mit Terrorchef Bin Laden.

 

Der Mann, von dem sich Washington gern verführen ließ

 

Sein größter Coup gelang ihm, als er der CIA angeblich Dokumente über vermeintliche Massenvernichtungswaffen in Saddams Arsenal andrehte.

 Seine Verstrickungen hat Chalabi in der Vergangenheit weder bestätigt, noch gänzlich von der Hand gewiesen. Schließlich gehört auch eine Menge Mut und Können dazu, die Regierung einer Weltmacht hinters Licht zu führen. Allerdings bemerken kritische Beobachter, dass die amerikanische Regierung unter Bush dringend einen auch nur halbwegs belastbaren Grund suchte, um gegen Hussein loszuschlagen. 

 
Chalabi und seine Helfer kamen der damaligen US-Regierung gelegen. Die Massenvernichtungswaffen wurden nie gefunden. Chalabi wollte Ministerpräsident werden, hatte aber seine Hand überreizt und fiel dann auch in Washington in Ungnade. Nun, da die irakische Zentralregierung des Ministerpräsident Nuri al-Maliki angesichts der aktuellen Krise ums Überleben kämpft, fällt der Name Chalabi erneut im Zusammenhang mit dem höchsten Regierungsamt. Sein Besuch im Flüchtlingslager im Nordirak ist kein altruistischer Akt – ein Indiz dafür, dass die Karten in Bagdad neu gemischt werden.
 
 

»Die irakische Armee trifft keine Schuld!«

 
 
Chalabis Tour durch den Staub des Übergangslagers Khazair ist eine medienwirksame Maßnahme. Chalabi eilt von Zelt zu Zelt und hört sich die Klagen der Flüchtlinge an. Er bleibt nie lange genug stehen, um zu sehr in Beschlag genommen zu werden. Eine Frau mit schwarzem Kopftuch namens Sara aus Tikrit, dem Heimatort des ehemaligen Diktators Hussein, klagt, ihre Kinder seien krank. Es gebe einen Arzt, aber der könne nicht helfen. Eine andere Frau erklärt, sie sei aus Mossul geflohen. Sie habe elf Kinder und keine Milch für die Kleinsten. Es gebe keinen Strom und kein Gas.
 
»Nur Sie und Gott, können uns helfen«, ruft sie Chalabi nach.

 Chalabi versucht, in Bewegung zu bleiben. Die Menschentraube, die ihn umringt, wächst. Es wird enger, lauter und staubiger. Er ruft die Menschen auf, dankbar zu sein, für das, was die Regionalregierung des kurdischen Autonomiegebietes hier leiste: »Die Leute arbeiten hart, um euch zu helfen.« Übereinstimmend berichten die Flüchtlinge, darunter auch ein ehemaliges Mitglied der Republikanischen Garde, dass sie nicht auf der Flucht vor ISIS seien, sondern vor den Gegenschlägen der irakischen Armee.


 
Zurück bei den Fahrzeugen, stellt sich Chalabi den Fragen der Journalisten: Was die ISIS-Extremisten angehe, sagt er, so seien sie nur wenige und könnten in kurzer Zeit besiegt werden. Wie das ohne Streitkräfte gehen solle? »Die irakische Armee besteht aus mutigen Leuten. Es ist nicht ihre Schuld, dass dieser Zusammenbruch geschah. Es ist die Schuld einer inkompetenten und korrupten Führung.« Chalabi taucht ins Innere eines Geländewagens ab.
 
Die Kolonne setzt sich in Bewegung. Wieder hüllt Staub die Zelte auf der glühenden Ebene ein. Der Hieb gegen Maliki war platziert. Aber nur drei Tage später ist aus Bagdad zu hören, dass Chalabi jetzt in die Rolle des Vermittlers rückt: Er wolle, so heißt es, zwischen den verschiedenen schiitischen Parteien und Maliki verhandeln. Einige amerikanische Medien bringen ihn gar als potenziellen Nachfolger des Premiers ins Spiel.
Von: 
John Dyfed Loesche

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