Antike Ingenieure erfanden ein System der Bewässerung, das einst die Sahara blühen ließ. Kann man mit diesem Wissen Oasen und Tierwelt retten?
Wer die Sahara besucht, dem scheint die Weite der Wüste beinahe unveränderlich. Dabei ist sie eigentlich ein Gradmesser des Wandels. Vor 11.000 Jahren, nach der letzten Eiszeit, bedeckten üppige Vegetation und Süßwasserseen diese heute karge Landschaft im Norden des afrikanischen Kontinents. Menschen, Tiere und Pflanzen hier haben sich immer wieder anpassen müssen. Der Klimawandel stellt die Wüstengebiete und ihre Einwohner vor neue Herausforderungen – die traditionellen Methoden zur Wasserbeschaffung stoßen an ihre Grenzen.
»Als Kinder hatten wir immer Wasser: zum Baden, Trinken, Waschen und auch als Abwassersystem. Leider ist unser Foggara vor fünf Jahren wegen des niedrigen Grundwasserspiegels ausgetrocknet«, erzählt Saleh Talbi. Der 39-Jährige lebt mit seiner Familie in der Oase Zawiat Kounta, hundert Kilometer entfernt von der Provinzhauptstadt Adrar. Hier, im Südosten Algeriens, 1.600 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Algier, sind die Menschen auf ein Netzwerk von Wasserzuläufen angewiesen.
In Nordafrika sind diese Anlagen unter dem Namen Foggara bekannt. Ihr Ursprung liegt in den Qanaten des iranischen Hochlands, bereits in der Antike gelangte die Kanaltechnologie wohl bis nach Ägypten. In den Oasen des heutigen Algerien ist sie ab dem 11. Jahrhundert verbürgt.
Bei dieser Methode wird eine Reihe von Brunnen gegraben, die mit einem unterirdischen Grundwasserleiter in einem höher gelegenen Gebiet verbunden sind. Das Grundwasser wird dann in tiefer gelegene Areale transportiert. Es dient dann vor allem als Trinkwasser und zur Bewässerung, insbesondere der in dieser Region verbreiten Dattelpalmen.
»Das Wasser aus den Foggaras ist sauberer als Leitungswasser«, findet Talbi. Daneben kommt dem System aus miteinander verbundenen Kanälen eine ökologische Bedeutung zu. Denn es dient nicht nur als Sanitär-System für die Menschen in der Region, sondern versorgt auch Teile der regionalen Fauna. Dazu zählen Fische, Zugvögel, aber auch Säugetiere, etwa die Dorkas-Gazelle.
Es ist eine hochspezialisierte Technologie, zugleich ein traditionelles Handwerk
Das hydraulische System der algerischen Foggaras ist an die aride Umgebung angepasst und minimiert den Wasserverlust beim Transport. Es ist eine hochspezialisierte Technologie, zugleich ein traditionelles Handwerk. Oft liegen Betrieb und Nutzung in den Händen der Kommunen – der gleiche Zugang zum Wasser bezeugt die gesellschaftliche Bedeutung der Wasserleitungen. Auch deswegen nahm die UNESCO die Foggara-Netzwerke Nordafrikas 2018 in die Liste des immateriellen Kulturerbes auf. Doch um den Zustand der Foggaras ist es nicht gut bestellt.
Etwa 15 Kilometer östlich von Adrar liegt Tamentit. Die Wüstenfeste, besser bekannt als Ksar, wurde aufwändig instand gesetzt und gehört zu den touristischen Highlights der Gegend. Die Burganlage aus dem 11. Jahrhundert bezeugt die historische Bedeutung des Ortes als Zwischenstation des Trans-Sahara-Handels mit strategischer Wasseranbindung.
»Von den 360 Foggara-Netzen in Tamentit transportieren nur noch drei trinkbares Wasser. Und selbst die werden wohl bald austrocknen«, beklagt Salaheddin Al-Idrisi. »Das würde das Ende der Oase bedeuten.« Er ist einer von mehreren jungen Adraris, die sich für den Erhalt der Kanal-Netzwerke einsetzen. Gemeinsam mit Freunden hat er die »Organisation zum Schutz der Foggaras in der Region Tamentit« gegründet. »Die Foggaras werden nicht mehr ausreichend gewartet – dabei setzt ihnen die Wüstenbildung zu, weil sich immer häufiger Sand in den Kanälen anhäuft«, berichtet Idrisi.
Auch in Tamentit tragen die Foggaras traditionell dazu bei, das lokale Ökosystem zu bewahren. 2002 fand das 129 Quadratkilometer großen Oasen-Areal Eingang in die Liste der Ramsar-Konvention über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung. Laut algerischer Statistikbehörde machten vergangenes Jahr 2.466 Wandervögel 13 unterschiedlicher Arten Station in Tamentit. 2018 waren noch 3.221 Exemplare aus zwanzig Arten gezählt worden.
Die Wasserknappheit bringt auch das Sozialgefüge rund um die kostbare Ressource ins Wanken
»Hier lebten einst viele Tierarten, die uns heute nicht mehr begegnen«, erinnert sich ein älterer Dorfbewohner. »In den Foggaras waren verschiedene Fischarten zuhause, etwa Barben und Kärpflinge. Sie schwammen morgens zum Auslauf des Foggaras, um nach Nahrung zu suchen, denn dort wachsen die Pflanzen«, erzählt Mohamed. »Wir mussten oft freche Kinder zurechtweisen, die versuchten, diese Fische zu fangen, indem sie Chlorwasser in Brunnen einleiteten. Die Fische flüchteten in Richtung des Ausflusses, dann konnte man sie mit bloßen Händen erwischen.«
Das Versiegen der Foggaras sorgt für Engpässe – einige Dattelbauern sind deshalb dazu übergegangen, ihre Haine über zusätzliche Pumpen zu bewässern. Doch dafür werden immer tiefere Bodenschichten angezapft. Das Wasser weist zudem mitunter einen zu hohen Salzgehalt auf und eignet sich deshalb nicht zur Bewässerung. Dabei sind in Adrars Oasengebieten Touat, Gourara und Tidikelt mehr als 47.000 Landwirte auf das Wasser aus den Foggaras angwiesen, rund 30 Millionen Dattelpalmen können in der Wüste dank der Kanalbewässerung kultiviert werden.
Die Wasserknappheit bringt auch das Sozialgefüge rund um die kostbare Ressource ins Wanken. Bei den Behörden häufen sich Beschwerden von Landwirten, die sich benachteiligt fühlen, weil andere Berufsgenossen mit Pumpen und Brunnen den Wasserstand der Foggaras zusätzlich schröpfen.
Algeriens Nationale Agentur für Wasserressourcen (ANRH) ist sich der Problematik bewusst, verweist aber auf die rechtlichen Vorgaben. »Foggaras schützen unsere Oasen vor der Wüstenbildung, denn die Palmenhaine bilden eine Art Windschutz gegen Sandstürme und Erosion«, sagt ANRH-Direktor Lansari Taha. Auf Nachfrage heißt es, dass amtliche Genehmigungen für Brunnengrabungen in unmittelbarer Nähe der Foggaras in der Regel nicht erteilt würden.
Von den 1.890 Foggaras in der Region sind nur noch 330 in betriebsfähigem Zustand und führen Wasser
Je mehr Foggaras versiegen, desto mehr Wissen um Wartung und Betrieb geht verloren – und so ein Teil der kulturellen Identität der Oasengesellschaften der Sahara. Dazu gehören Berufsbilder, die sonst Fachexpertise und Gemeinschaftssinn vereinten. Etwa der Keyal, dessen Aufgabe es ist, das Wasser gerecht unter den Bauern der Oase aufzuteilen. Oder der Neffad, der dafür verantwortlich ist, den Wasserfluss von den Quellen in die Oase zu überwachen. Gemeinsame jährliche Wartungsarbeiten an den Foggaras waren in diesen Gemeinschaften überdies ein wichtiges soziales Ereignis und dienten auch dazu, das Wissen um Betrieb und Aufrechterhaltung der Kanäle weiterzugeben.
Von den 1.890 Foggaras in der Region sind nur noch 330 in betriebsfähigem Zustand und führen Wasser. Der Rest ist durch Sandablagerungen und Überbauung verfallen. Die Errichtung neuer Gebäude gefährdet wegen der notwendigen Bohrarbeiten oft die Integrität der Bausubstanz. Zudem überschneiden sich neu verlegte Abwasserleitungen mit dem historischen Kanalnetzwerk.
»Viele Foggaras sind vom Einsturz bedroht«, sagt Khawla Guerrout. »Und zu den Hauptursachen gehört die Urbanisierung der Oasensiedlungen«. Die Hydrologin arbeitet für das Foggara-Observatorium, das an der Entwicklung von Methoden zur Erhaltung des traditionellen hydraulischen Netzwerks arbeitet.
Dessen Direktor sieht die größten Überlebenschancen für die Foggaras darin, sie mittels moderner Technologien zu verbessern. »Etwa mit Spezialkameras, mit denen wir die unterirdischen Kanäle überwachen können«, schlägt Youcef Boutadara vor. »Und Schaufelbagger, die abgelagerten Sand und Schlamm entfernen. Für solche Aufgabe lernen wir gerade neue Mitarbeiter an.«
Hanane Bettache ist Journalistin aus Algerien und Geschäftsführerin der Aqwas Media Agency.