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Libyen lockt Investoren

Wettlauf um den Wüstenstaat

Reportage
Wettlauf um den Wüstenstaat
Wintershall-Anlagen in der libyschen Wüste: Das Unternehmen ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv. Wintershall

Wirtschaftsvertreter aus aller Welt geben sich in Libyen die Klinke in die Hand. Nie hat sich ein Regime so schnell rehabilitieren können wie hier. Auch Deutschland mischt kräftig mit. Doch wirklich privatisiert ist in Libyen bislang nur der Staat.

Im Festsaal des Hamburger Luxushotels Atlantic herrscht reges Treiben. Libysche Wirtschaftsvertreter sind gekommen, um hier Geschäfte einzufädeln, insgesamt 120, etwas weniger als erhofft. Eifrig werden Hände geschüttelt und Arme auf Schultern gelegt. Berührungsängste haben weder die Libyer noch ihre potenziellen deutschen Geschäftspartner.

 

Auf dem »Deutsch-Libyschen Wirtschaftsforum« debattieren sie über Energie, Finanzwesen und Anlagentechnik, in erster Linie über Energie. Für Deutschland heißt das vor allem: Öl. Libyen verfügt über die größten Ölreserven Afrikas. Es spricht Abdarrahman Algamudi, Vertreter der libyschen Investitionsbehörde: »Abgesehen vom Ölsektor investiert Deutschland hier weniger als Malta«, klagt der Mann mit den pechschwarz gefärbten Haaren, »deutsche Firmen interessieren sich nur dafür, wie sie billig Energie fördern können.«

 

Franzosen, Amerikaner oder Chinesen, alle umgarnen den einstigen Pariastaat Libyen. Dessen neue Strategie sieht die Privatisierung seiner Wirtschaft vor. Auch die Deutschen sind eifrig bemüht, hier weiter Fuß zu fassen. Immerhin zehn Prozent der deutschen Ölimporte stammen schon jetzt aus Libyen. Damit machen sie den Wüstenstaat zum drittgrößten deutschen Öllieferanten hinter Norwegen und Russland. Dies soll weiter ausgebaut werden, um die Abhängigkeit vom russischen Öl zu verringern. Im Jahr 2020 werde ebenso viel Öl aus dem Maghreb nach Europa fließen wie aus Russland, schätzt der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs.

 

Seitdem vor fünf Jahren die Sanktionen aufgehoben wurden, hat ein Wettlauf nach Libyen eingesetzt, den weder die kalte Vergangenheit noch die nach wie vor fest verankerte Diktatur hemmt. Und wenn doch jemand Skrupel hat, dann machen die Chinesen das Geschäft, wie überall in Afrika. An der letzten libyschen Bieterrunde für neue potenzielle Ölfelder im Oktober 2007 nahmen alle großen Ölfirmen der Welt teil. Nach 20 Jahren der Abwesenheit drängen auch amerikanische Firmen zurück auf die Ölfelder ihres einstigen Erzfeindes. Für die USA ist WTO-Beitrittskandidat Libyen gegenwärtig der am schnellsten wachsende Exportmarkt.

 

Hauptsache, die Bezahlung stimmt

 

Bislang fördert Libyen 95 Prozent seines Erdöls aus dem Sirte-Becken in Zentrallibyen. Andere Regionen in der Wüste oder auch im Golf von Sirte werden gerade erforscht. »Mindestens zwei Drittel unseres Öls sind noch gar nicht gefunden«, vermutet Ahmed Ghaber, Planungssekretär der staatlichen Ölfirma NOC, im Gespräch mit zenith. Wer dieses Öl später an die Oberfläche pumpen wird, ist ihm dabei ganz egal. »Natürlich« seien auch die Amerikaner willkommen, Hauptsache, es werde gut gezahlt: »In the end, it is just business.«

 

Noch ist Italien, die ehemalige Kolonialmacht, Libyens größter Handelspartner. Seit 2004 verbindet eine Pipeline die Stadt Mellitah mit Sizilien. Die 500 Kilometer lange »Greenstream«-Leitung pumpt jährlich acht Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Italien. Bisher ist das allerdings weniger als ein Zehntel dessen, was alleine Deutschland im Jahr verbraucht.

 

Am 4. Februar nun gab der Energiekonzern BP bekannt, dass Libyens Regierung ein Erschließungsabkommen für Erdgas im Umfang von mehr als 600 Millionen Euro ratifiziert hat. Damit kehrt BP nach Libyen zurück, nachdem Muammar al-Gaddhafi 1974 sämtliche Besitztümer der Firma verstaatlichen ließ. Die Höhe dieser Summe, die allein für die Erforschung von Gasquellen gezahlt wurde, deutet an, dass BP nicht so bald damit rechnet, wieder ausgewiesen zu werden. Das schon im letzten Sommer verhandelte Abkommen erlaubt BP, auf einer Fläche von insgesamt 55 000 Quadratkilometern – das entspricht etwa der Größe Kroatiens – Erdgas zu erschließen und zu fördern. Sollte die Exploration den Erwartungen entsprechen, könnte Libyen obendrein zu einem wichtigen Erdgaslieferanten Europas aufsteigen.

 

Wie begehrt der Wüstenstaat ist, zeigt sich an den Vertragsbedingungen, die die ausländischen Energiekonzerne akzeptieren: BP zahlte allein für seinen Vertragsabschluss knapp 250 Millionen Euro Provision und wird zusätzlich fast 80 Prozent seiner zukünftigen Produktionserlöse an die staatliche NOC abtreten. Auch das russische Unternehmen Gasprom hat sich im Dezember 2007 ein Filetstück im Gadames-Becken nahe der algerischen Grenze gesichert. Gasprom erwartet dort neben Gas auch mindestens 20 Millionen Tonnen Öl. Die Vertragsbedingungen für die Russen sind dabei noch schlechter als für BP: Insgesamt 90 Prozent der Fördermenge muss Gasprom dem libyschen Staat überlassen.

 

Libyen ist 2003 rasant und herzlich in den Kreis der lauteren Mächte aufgenommen worden, auch wenn die Führungsmannschaft unter Muammar al-Gaddhafi nicht gewechselt hat. Im Januar 2008 übernahm Libyen sogar die Präsidentschaft im UN-Weltsicherheitsrat – der Institution, unter deren Sanktionspolitik es selbst fast 20 Jahre lang stand.

 

Dem Terrorismus schwor Gaddhafi öffentlichkeitswirksam ab. Verantwortung wurde übernommen für die Anschläge auf die Berliner Diskothek Labelle 1986 und für Lockerbie 1988. Zu guter Letzt wurde 2003 das rudimentäre, wiewohl geheime Atomprogramm aufgegeben. Statt zwielichtiger Gesellen liefert nun Frankreich die Atomausrüstung und stattet das libysche Militär nebenbei noch mit modernsten Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Panzerfahrzeugen und allerhand anderem Kriegswerkzeug aus. Die Sanktionen hatten Libyens Militärmacht zu einem Papiertiger werden lassen. Das wird sich nun ändern, denn die Zusammenarbeit ist langfristig angelegt. Rüstungsgeschäfte mit Frankreich wurden bereits vor der Amtsübernahme Nicolas Sarkozys unter gebracht.

 

Libyen ist liquide, die Erdöleinnahmen haben sich zwischen 2003 und 2007 von fast zehn Milliarden Euro auf 46 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Premierminister Baghdadi Mahmudi verkündete jüngst, mehr als 70 Milliarden Euro stünden dem Staat für Investitionen im Inland zur Verfügung. Investitionsmöglichkeiten finden sich überall, denn Infrastruktur, Anlagentechnik und Bausubstanz stammen überwiegend noch aus den 1970er Jahren. Um die Erneuerung der Leitstände der Ölanlagen und Pipelines etwa bewirbt sich der deutsche Industriegigant MAN-Ferrostaal. Die BASF-Tochter Wintershall ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv und für sämtliches Öl, das nach Deutschland fließt, verantwortlich. Seit 2003 nun ersteigerte auch die RWE Dea AG im Sirte-Becken, im Kufra-Becken und auf dem Cyrenaica-Plateau insgesamt sechs Konzessionen für Exploration und Förderung von Erdöl, das ab 2009 sprudeln soll.

 

Die Qualität des dünnen, leicht zu raffinierenden Erdöls ist bekannt. Aber auch die Bedingungen etwa für Solarenergie könnten kaum besser sein: Sonnenschein fast das ganze Jahr über und vielerorts fester Untergrund bieten ideale Voraussetzungen für großflächige Solarparks. Hervorragende Aussichten hat überdies die Windkraft an der 1700 Kilometer langen Küste Libyens, rechnete jüngst die deutsche Windenergiefirma CUBE vor: Am Standort Dernah möchte das Unternehmen Strom zum Preis von dreieinhalb Cent die Kilowattstunde erzeugen – bei vergleichbaren Anlagen in Deutschland liegt er mehr als doppelt so hoch.

 

Einschätzungen machen die Runde, Chinesen gelten als bescheiden, aber kalt, Franzosen seien kommunikativ - und mit den Deutschen habe kein Araber Probleme. Leider seien die aber arrogant und wollen immer alles geregelt wissen: »Die Deutschen müssen flexibler werden, wenn sie hier ernsthaft etwas erreichen wollen«, sagt Hakim Nagah, Berater und Repräsentant des Libyan Business Council, nach eigener Aussage Anlaufstelle für ausländische Investoren.

 

Öl, Wind und Sonne - und bald auch noch Atomkraft

 

Privatisierung? Libyan Business Council? »Was ist das, was wollen die?«, fragt Abdarrahman Algamudi tonlos. Dann grinst der Politiker: »Ich kenne diese Leute nicht. Wer hier allein entscheidet, das sind wir.« Keine ausländische Firma darf in Libyen ohne einheimisches Partnerunternehmen aktiv werden. Ohnehin kommt solch eine Partnerschaft auch nur dann zustande, wenn das ausländische Unternehmen bereit ist, mindestens eine Million Euro zu investieren, im Ölsektor gar drei Millionen. Diese Politik zieht große Joint Ventures oder ausländische Staatsbetriebe an.

 

So sind es die Chinesen, die Libyens seit 1969 stillgelegte Eisenbahn reaktivieren: Zunächst geht es von der Hafenstadt Al Khoms zu einer Eisenbahnschwellenfabrik, anschließend plant man ein Teilstück nach Tripolis. Wirklich privatisiert ist in Libyen bislang nur der Staat. »Wer persönlich Politikerhände schütteln kann, hat einen kaum schlagbaren Wettbewerbsvorteil«, sagt ein deutscher Unternehmer, der sich beklagt, in Libyen werde bei Bauaufträgen gern auch mal die letzte Rate unter den Tisch fallen gelassen. Rechtssicherheit: keine. Bis zum Ende des Jahres 2007 müssen alle ausländischen Investoren Altforderungen eingereicht haben, verfugten die libyschen Finanzbehörden zuletzt einigermaßen willkürlich. Schwierige Ausgangsbedingungen für Investoren und Gläubiger, die im islamischen Libyen ohnehin keine Zinsen erheben dürfen.

 

Dabei hätte Libyen durchaus Bedarf, die Privatisierung zu beschleunigen. Noch immer hängen über 60 Prozent der Staatserlöse am Erdöl und Erdgas. Sogar Ölstaaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait konnten ihre Wirtschaft weiter diversifizieren. Verarbeitendes Gewerbe macht in Libyen weit weniger als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Dennoch arbeiten im Ölsektor selbst kaum drei Prozent der Libyer – ganz im Gegensatz zum ausschweifenden öffentlichen Sektor, der mehr als die Hälfte aller libyschen Werktätigen beschäftigt.

 

Als Triebkraft der Privatisierung gilt der älteste Gaddhafi-Sohn Saif al-Islam, der zunehmend auch Sprachrohr des Regimes zu sein scheint. Bereits 2005 ließ er in Tripolis einen Ableger der Harvard School of Business einrichten. Und vor allem sei er es gewesen, der den Vater überzeugt habe, die Marktwirtschaft einzuführen, sagt der junge Gaddhafi jedenfalls selbst. Privatisierungen allerdings begrüßt in Libyen lange nicht jeder.

 

Weder de-facto-Staatschef Muammar al-Gaddhafi noch dessen Sohn Saif al-Islam bekleiden ein offizielles politisches Amt. Auch der Allgemeine Volkskongress, das Parlament, besitzt gewissen Einfluss. Nach 40 Jahren der Staatswirtschaft hegen diese Politiker und vor allem die 800 000 Staatsbediensteten – bei knapp sechs Millionen Einwohnern – gewisse Vorbehalte gegen Privatisierung und Wettbewerb.

 

Privatisierung und Dezentralisierung kommen langsam voran

 

Langfristig scheinen die Tage der Vetternwirtschaft dennoch gezählt zu sein. Schon seit einem Jahr plant Premierminister Baghdadi Mahmudi, etwa 400 000 Staatsbedienstete zu entlassen, die im Gegenzug großzügige Finanzhilfen zur Gründung eigener Firmen erhalten sollen. Doch in Libyen ist bislang wenig so kompliziert, wie eine Firma zu gründen. Libyens Staatsbanken sitzen auf riesigen Geldmengen, die aufgrund restriktiver Handelsgesetze und nie endender Regulierungswut kaum einen Weg zu privaten Investoren finden. Die ersten Schritte hin zu einer Privatisierung des Bankwesens sollen das nun erleichtern. So kaufte die französische BNP Paribas im Sommer 2007 die Mehrheitsanteile an der staatlichen Sahara-Bank.

 

Im März 2007 eröffnete eine Börse in der heruntergekommenen Hafenstadt Bengasi, etwa 1000 Kilometer östlich von Tripolis. Diese Maßnahme sollte wahrscheinlich die ebenfalls notwendige Dezentralisierung vorantreiben. Und der US-Investmentfonds Colony Capital übernahm schließlich die Mehrheitsanteile des Ölkonzerns Tamoil. Damit entscheiden nun auch Amerikaner, wie mit Libyens Ölreserven umgegangen wird.

 

Politische Stabilität, nicht zuletzt erkauft durch ein nach wie vor repressives Regime, und die geografische Nähe zu Europa machen Libyen zu einem begehrten Partner. Über Bruder oder Paria entscheiden andere Dinge. Verhandlungen über ein Doppelsteuerabkommen zwischen Libyen und Deutschland stehen kurz vor dem Abschluss. Der Wettlauf um den Wüstenstaat hat gerade erst begonnen.


Dieser Artikel stammt aus der zenith-Ausgabe 1/2008.

Von: 
Jochen Stahnke

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