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Aserbaidschan und das Geschäft Fussball

Anstoß Aliyev

Feature
von Leo Wigger
Aserbaidschan und das Geschäft Fußball
Ilham Aliyev und Recep Tayyip Erdoğan bei einer Parade anlässlich des 100. Jubiläums der Befreiung Bakus 2018. President.az

Welche politische Bedeutung der Fußball in und für Aserbaidschan hat und was der EM-Austragungsort Baku mit dem Karabach-Krieg zu tun hat.

Zum Anpfiff des EM-Gruppenspiels Türkei-Wales heute Abend in Baku wird ein ganz besonderer Gast auf der Ehrentribüne erwartet: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der gerade für einen Staatsbesuch in Aserbaidschan weilt. Rund sieben Monate nach dem Karabach-Krieg, in dem Aserbaidschan dank türkischer Hilfe große Gebiete von armenischen Kräften zurückerobern konnte, beschwören Ankara und Baku öffentlich ihre enge Freundschaft unter dem Motto »Eine Nation – zwei Staaten«.

 

Der einträchtige Stadionbesuch soll den feierlichen Höhepunkt der offiziellen Visite bilden. Vor der Partie gaben beide Staatschefs in der Stadt Shusha (armenisch: Shushi) – martialisch vor einer Ruinenlandschaft in Szene gesetzt – die Unterzeichnung einer gemeinsamen Deklaration bekannt.

 

Die alte Handelsstadt Shusha ist ein traditionelles Zentrum Karabachs und spielt in der Erinnerung vieler Armenier und Aserbaidschaner eine besondere Rolle. Bis letzten Herbst stand sie unter armenischer Kontrolle. Ihre Eroberung entschied den jüngsten Karabach-Krieg zugunsten Bakus.

 

Der Stadionbesuch sei vor diesem Hintergrund »ekelhaft«, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Viola von Cramon gegenüber zenith. Erdogan nutze Fußball als »Projektionsfläche für Kriegsgeheule«, das die Region destabilisiere und Armenier erniedrige.

 

Sportgroßereignisse als Teil einer sogenannten Kaviar-Diplomatie

 

Dabei weckt Fußballdiplomatie im Südkaukasus eigentlich andere Assoziationen. Es erinnert an den zarten Annäherungsprozess zwischen Armenien und der Türkei 2008, als der damalige türkische Staatspräsident Abdullah Gül zusammen mit seinem armenischen Amtskollegen Serzh Sargsyan ein Fußballspiel zwischen beiden Ländern in Jerewan besuchte. Mit dem Besuch war damals die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den beiden Staaten verbunden, deren gemeinsame Grenze seit dem ersten Karabach-Krieg 1993 geschlossen ist. Doch auf aserbaidschanischen Druck kam die Initiative damals zum Erliegen.

 

Bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft finden nun insgesamt vier Partien in Baku statt. Die Regierung des durch Erdgas reich gewordenen 10-Millionen-Einwohnerstaates am Kaspischen Meer warb in letzter Zeit vermehrt um Sportgroßereignisse als Teil einer sogenannten Kaviar-Diplomatie, die der Devise internationales Renommee gegen Geld folgt. Erst vor wenigen Tagen machte die Formel 1 Station in Baku. Im Jahr 2019 war Aserbaidschans Hauptstadt Austragungsort des Finales der Europa League zwischen dem FC Chelsea und Arsenal London.

 

Dabei kritisieren Menschenrechtsorganisationen seit Jahren eklatante Menschenrechtsverletzungen im Land. Beim Stand der Pressefreiheit gehört Aserbaidschan laut eines Rankings von Reporter ohne Grenzen weltweit zu den Schlusslichtern. Die Vergabe von EM-Partien nach Baku galt deswegen als umstritten, zumal die aserbaidschanische Fußballnationalmannschaft sich noch nie für ein großes Turnier qualifizieren konnte.

 

Ihre beste Zeit hatte die Mannschaft unter dem ehemaligen Bundestrainer Berti Vogts (2008-2014), als sie bis auf Platz 73 in der Weltrangliste vordringen konnte (heute steht das Team auf Rang 110), ehe Vogts hinwarf. Vogts sitzt bis heute im Kuratorium des Deutsch-Aserbaidschanischen Forums, eines umstrittenen Lobbyvereins mit Nähe zum Aliyev-Regime.

 

Armenischstämmige Journalisten berichteten in den sozialen Medien von Problemen bei der Akkreditierung für die EM

 

»Die UEFA gibt kein gutes Bild ab«, findet von Cramon, die sich seit langem mit Sportlobbyismus und Osteuropa beschäftigt. UEFA-Präsident Aleksander Čeferin bekannte jüngst immerhin, dass die Menschrechtslage in Baku »ein Problem« sei, nur um einzuwenden, dass dies auch in anderen europäischen Ländern der Fall wäre. Welche anderen Staaten er damit meinte, behielt Čeferin jedoch für sich.

 

Bekannte armenische oder armenischstämmige Journalisten wie Karen Rafayelyan und Nobel Arustamyan berichteten in den sozialen Medien von Problemen bei der Akkreditierung für die EM. Ihre Zulassung erhielten sie erst auf internationalen Druck. Viele Beobachter vermuten, dass Baku die Akkreditierung armenischer Journalisten gezielt verhindern wollte.

 

Nach welchen Kriterien die UEFA die Spiele nach Baku vergab, möchte sie auf Anfrage nicht offenlegen. Gut möglich, dass dabei auch die Partnerschaft mit SOCAR eine Rolle spielte. Bis vor kurzem gehörte der aserbaidschanische Ölkonzern SOCAR zu den Hauptsponsoren der EM. SOCAR-Präsident Rovnag Abdullayev gilt als Vertrauter von Staatspräsident Ilham Aliyev und ist zudem Präsident des aserbaidschanischen Fußballverbandes.

 

Im Februar verschwand SOCAR plötzlich von der Liste der EM-Sponsoren

 

Die UEFA gibt gegenüber zenith an, dass sie Sponsoringverträge mit einzelnen Unternehmen und nicht mit Nationalstaaten abschließe. Wie genau sie diese Trennung im Falle von Staatsunternehmen wie SOCAR sicherstellt, dazu äußert sich der europäische Fußballverband jedoch nicht. SOCAR untersteht durch die Azerbaijan Investment Holding der direkten Weisungsbefugnis des Staatspräsidenten.

 

Im Februar verschwand SOCAR plötzlich von der Liste der EM-Sponsoren. Zu den Gründen hüllen sich beide Seiten offiziell in Schweigen. Ob es an vermeintlich kriegstreiberischen Social-Media-Posts im Herbst lag, wie oftmals vermutet, oder doch eher an einer strategischen Neuaufstellung des Ölkonzerns, bleibt somit im Dunkeln.

 

Im vergangenen November verurteilte die UEFA den aserbaidschanischen Serienmeister Qarabağ Futbol Klubu zu einer Geldstrafe, nachdem der Medienbeauftragte des Vereins, Nurlan Ibragimov, in den sozialen Medien dazu aufgerufen hatte, alle Armenier, alt und jung, ohne Ausnahme zu töten.

 

Der ursprünglich 1951 gegründete Club war bis zum ersten Karabach-Krieg in der Stadt Agdam beheimatet, die an der Grenze zu Bergkarabach liegt. Armenische Kräfte nahmen damals weite Teile der Nachbarregionen ein und vertrieben bis zu eine Million Aserbaidschaner. Die 30.000-Einwohner-Stadt Agdam wurde zum Geisterort im militärischen Sperrgebiet. Der Verein musste ins Exil nach Baku umsiedeln. Seitdem gilt der Verein auch als politisches Symbol. Unter anderem mit türkischem Knowhow soll Agdam nun als »Smart City« wiederaufgebaut werden. Qarabağ FK könnte mittelfristig in das zerstörte Imarat-Stadion zurückkehren.

 

»Ich habe von vielen walisischen Fans gehört, wie wohl sie sich in Baku fühlen«

 

Fußball könnte in dieser aufgeheizten Gemengelage durchaus eine positive Rolle spielen, glaubt von Cramon. Doch was wirklich gefordert sei, seien »aufrichtige Versöhnungsangebote, keine Kriegsrhetorik«.

 

Der schottisch-aserbaidschanische Journalist Fuad Alakbarov steht nicht im Ruf ein Kriegstreiber zu sein. Alakbarov ist ein weltweit gefragter Fußallfachmann, Fotograf und politischer Kommentator. Sein Lieblingsclub in Deutschland ist der FC St. Pauli. Auch er glaubt, dass durch Fankontakte eine Verständigung möglich sei: »Ich habe von vielen walisischen Fans gehört, wie wohl sie sich in Baku fühlen«, berichtet er im Gespräch mit zenith. Aserbaidschan sei, trotz der bisher überschaubaren sportlichen Erfolge, in positivem Sinne fußballverrückt.

 

Von Cramon erinnert an die Debatte rund um die WM 2018 in Russland. Ursprünglich habe bei ihr die Skepsis überwogen, doch während des Turniers sei tatsächlich ein Fenster für Begegnungen entstanden. Die entscheidende Frage ist nur, wer am Ende mehr profitiert: der Dialog oder die Diktatoren.

Von: 
Leo Wigger

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