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Ein Jahr Boykott von Saudi-Arabien, Bahrain und Co. gegen Katar

Glücklich ohne Golf-Korsett

Kommentar
Ein Jahr Boykott gegen Katar
​Ein Mann und ein Mädchen füttern Tauben in Doha, der Hauptstadt von Katar. Der Wirtschaftsboykott gegen das Emirat jährte sich am 5. Juni 2018 zum ersten Mal. Foto: Stian Overdahl

Der Boykott einiger Golfstaaten gegen Katar jährt sich im Juni zum ersten Mal. Sein Ziel hat er verfehlt, weil das Emirat aus der Not eine Tugend macht.

Als vor einem Jahr das selbst ernannte »Anti-Terror-Quartett« seine Botschafter aus Doha abzog und gleichzeitig eine Land-, Luft- und Seeblockade gegen Katar verhängte, hätte wahrscheinlich niemand gedacht, dass ein Jahr später die Fronten noch genauso verhärtet sein würden. Mit dem Rücken zur Wand zeigte Katar sich jedoch widerstandsfähig, vor allem, weil man in Doha mit der Krise innovativ umging. Trotz hoher finanzieller und wirtschaftlicher Kosten hat das Emirat aus der Not eine Tugend gemacht. Was als Maßnahme begann, um Katar sowohl regional als auch international zu isolieren, hat das Gegenteil erreicht. Heute, ein Jahr später, scheint Katar dem Westen mehr zugeneigt denn je.

 

Während die Blockadestaaten weiter durch unbegründete Anschuldigungen und irrwitzige Initiativen ihre Glaubwürdigkeit unterminieren, wurde in Katar eine Reformwelle ausgelöst, die das Emirat politisch, sozial und wirtschaftlich von seinen Nachbarn abgrenzt. Katar hat begriffen, dass man sich die Nähe zu den USA und den Europäern damit erkaufen kann, in dem man sich einem politischen, sozialen, wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Liberalismus verschreibt, während gleichzeitig in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) politische und soziale Repressionen an der Tagesordnung sind – autoritäre Unterdrückung, über die auch die temporäre Brot-und- Spiele-Taktik im Königreich nicht hinwegtäuschen kann.

 

Dabei hatte die Krise mit einer medialen Großoffensive vor allem seitens Saudi-Arabiens und der VAE begonnen. Die beiden Kronprinzen aus Riad und Abu Dhabi wollten Donald Trump und den Neokonservativen in Washington zeigen, dass sie mit dem Westen an einem Strang ziehen; besonders im Bereich der Terrorismusbekämpfung und der Eindämmung eines dämonisierten Irans. Gleichzeitig ging es aber auch darum, die Errungenschaften des Arabischen Frühlings zu annullieren, wenngleich diese, das muss man eingestehen, oftmals im Chaos des Umbruchs untergingen.

 

Katars Regierung zeigt sich verhandlungsbereit

 

Die Paranoia beider Kronprinzen vor jeglicher Form freier Zivilgesellschaft und islamistischem Engagement, brachte Katar auf ihre Terror-Liste. Katars weitreichende Förderung von islamistischer und säkularer Zivilgesellschaft während des Arabischen Frühlings, Katars polarisierendes Sprachrohr Al-Jazeera und die finanzielle Unterstützung von Oppositionsgruppen in Libyen und Syrien, wenn auch mit der Zustimmung des Westens, machte Doha zum Dorn im Auge der Revisionisten in Benghazi, Kairo, Riad und Abu Dhabi. Gleichzeitig erhoffte man sich, dass diese Narrative eine breite Resonanz in den konservativen Kreisen Washingtons und Europas finden würden.

 

Obwohl man die unerfahrene Regierung Trump anfänglich auf seine Seite ziehen konnte, waren die Argumente der Blockadestaaten so löchrig, dass selbst das für seinen Simplicissimus an der Spitze bekannte Weiße Haus die völlig unsinnige Krise nicht weiter mittragen konnte. Katars Charmeoffensive vornehmlich in Washington tat ihr Übriges. Während die Rhetorik Abu Dhabis und Riads immer aggressiver wurde, zeigte sich Katars Regierung verhandlungsbereit mit den Nachbarn, die aktiv und rhetorisch versucht hatten, den Emir zu stürzen. Neben Milliardenaufträgen für Amerikas Rüstungsindustrie und liberaleren Nutzungsbestimmungen für den amerikanischen Stützpunkt Al-Udeid in Katar, konnte Doha mit handfesten Reformen punkten.

 

Den beispiellosen Eingriff der Blockadestaaten in den regionalen Freihandel, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen einschränkt, stellt Katar eine Politik der Öffnung und ein geschäftsfreundliches Klima entgegen. Katar brachte fundamentale Reformen des Arbeits- und Aufenthaltsrechts auf den Weg. Ausländische Unternehmer, Investoren und Arbeitnehmer sind nicht mehr länger an einen lokalen Sponsor gebunden und werden aktiv durch Steuererleichterungen vom Staat unterstützt. Katar versucht aktiv, Unternehmen anzulocken, die dem Land sowohl helfen, über die Auswirkungen der Blockade hinwegzukommen, als auch die Zeit nach dem Öl einzuleiten.

 

In Katar hat sich ein neuer Optimismus ausgebreitet. Das Verhältnis zwischen Herrscherfamilie und Bevölkerung ist so eng wie noch nie in der jungen Geschichte des Landes. Manche wagen sogar über Demokratisierung nachzudenken, nachdem Emir Tamim Al Thani in einer Ansprache öffentlich Parlamentswahlen ankündigte. Die Aufbruchsstimmung der letzten zwölf Monate hat euphorisiert. Trotz hoher staatlicher Ausgaben, um die Blockade zu umgehen, wuchs Katars Wirtschaft weiter. Neue Partnerschaften zwischen Menschen, Unternehmen und Ländern sind möglich geworden, die vorher oft dem Veto anderer GCC Länder unterlagen.

 

Der Gedanke, dass Katar nun als Insel existieren muss, abgekappt von den direkten Verbindungen zu den Nachbarn, bereitet den wenigsten Kataris Sorgen. Ganz im Gegenteil, der Gedanke, dass man ohne die absurden Kompromisse mit den Blockadestaaten besser dran ist, überwiegt. Der Ausnahmezustand ist einer gewissen Normalität gewichen und der Einsicht, dass für die eigene Souveränität kein Preis zu hoch ist. Deswegen ist es momentan schwer vorstellbar, dass die vielen Vermittlungsversuche lokaler und internationaler Partner in absehbarer Zeit Früchte tragen werden. Beide Seiten können mit dem Status quo leben – Katar sogar wohl noch mehr als Saudi-Arabien.


Dr. Andreas Krieg ist Assistenzprofessor für Internationale Sicherheit am Londoner King’s College.

Von: 
Andreas Krieg

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