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Der Krieg im Jemen und das bedrohte Kulturerbe des Landes

»Loch an Loch wie ein Schweizer Käse«

Interview
Kulturerbe im Jemen
Die Turmhäuser an den Klippen von Hajjara, auf halbem Weg zwischen Sanaa und Hodeidah. yeowatzup / lizensiert nach Creative-Commons-Lizenz

Der Krieg im Jemen ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern zerstört auch das kulturelle Erbe des Landes. Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle Sanaa am Deutschen Archäologischen Institut, über Antikenschutz in Kriegszeiten.

zenith: Frau Gerlach, wie steht es um das kulturelle Erbe des Jemen? Bewundern wir die jemenitische Baukunst bald nur noch in Ausstellungen und Katalogen?

Gerlach: Moscheen, Dammanlagen, Museen oder Heiligengräber – sämtliche historische Bauten des Jemen sind, sofern nicht bereits zerstört, in großer Gefahr. 2015 setzte die UNESCO die Altstädte von Sanaa, Zabid und Schibam auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturerbestätten. Außerdem listet die jemenitische Antikenbehörde 85 Dörfer, Städte oder Monumente auf, die betroffen sind. Das ist allerdings ein sehr lückenhaftes Bild – die Dunkelziffer der tatsächlichen Zerstörung liegt weitaus höher.

 

Wer und was ist für dieses Ausmaß der Zerstörung verantwortlich?
Diese Frage muss ich differenziert beantworten. Auf der einen Seite kämpfte der Jemen schon immer mit Naturkatastrophen. Starke Regenfälle greifen die historischen Bauten seit jeher an. Besonders die aus Lehm errichteten Häuser müssen regelmäßig gewartet werden, damit kein Wasser eindringt. Ich erinnere mich, wie 2012 nach starken Regenfällen mehrere Häuser in Sanaa einbrachen. Zudem mangelt es an angemessener Instandhaltung. Anstatt traditionellem Mörtel – gelöschter Kalk vermengt mit Lavagrus und bestrichen mit Hammelfett – wird bei vielen Häusern für die Dachabdeckung inzwischen ein schnell reißender Zementstrich verwendet. Das begünstigt Schäden bei starken Regenfällen.

 

…und auf der anderen Seite?
Nun tobt im Land ein Krieg, in dem Bombardements und Bodenkämpfe nicht nur unsagbares Leid hervorrufen, sondern auch ganze Landstriche verwüsten. Zudem sind die kulturerhaltenden Maßnahmen der Behörden auf ein Minimum beschränkt – die Mitarbeiter der jemenitischen Antiken- und Denkmalbehörden erhalten seit zwei Jahren keine Gehälter mehr. Außerdem können viele Schäden im Land nicht wissenschaftlich dokumentiert werden, da die Reise zu Fundplätzen – auch für unsere jemenitischen Kollegen – oft schlichtweg zu gefährlich ist.

 

»Die Luftangriffe der saudisch-geführten Militärallianz sind schätzungsweise für 70 Prozent der Zerstörung verantwortlich.«

 

Gilt das auch für Raubgräber?
Bereits vor Kriegsbeginn hatten wir mit Raubgrabungen zu kämpfen, die nun häufiger und systematischer werden. Die wirtschaftliche Not im Land ist groß; und es fehlen schlichtweg die Kontrollorgane. Loch an Loch, wie bei einem Schweizer Käse, werden Orte teils mit Bulldozern umgegraben. Was bleibt, gleicht oft einem Schlachtfeld. Und obendrein haben wir es nunmehr auch mit religiös motivierter Zerstörung zu tun. Im Wadi Hadramaut im Osten des Landes beobachten wir immer häufiger – wie auch in Syrien oder Irak – die mutwillige Vernichtung von Heiligengräbern, Moscheen und Museen durch wahhabitische Extremisten und Terrororganisationen wie den so genannten Islamischen Staat (IS) und Al-Qaida.

 

Das Deutsche Archäologische Institut war bis 2013 im Jemen. Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben Ihnen aus der Ferne?
Im Land ist es uns zurzeit nicht möglich, kulturerhaltende Maßnahmen durchzuführen. Allerdings stehen wir in täglichem Kontakt mit der jemenitischen Antikenbehörde. Deren Mitarbeiter schicken uns Handyfotos, die wir auswerten, archivieren und an die UNESCO weiterleiten. Mit Geldern des Auswärtigen Amtes führen wir weiterhin Projekte durch, die die Arbeit unserer Kollegen im Jemen unterstützen sollen. Dazu gehört ein Handbuch zum Umgang mit archäologischem Kulturgut, das ab Herbst auf Englisch und Arabisch online gestellt wird. Es wird der erste arabischsprachige Ratgeber in dieser Form sein. Außerdem arbeiten wir an AYDA, dem »Ancient Yemen Digital Atlas«, der bisher mehr als 3.500 archäologische Fundstellen und auch mögliche Zerstörungen dokumentiert. Und schließlich haben wir eine »Rote Liste« erstellt, die den Export von geraubten Kulturgütern eindämmen soll. Vor kurzem erst online gestellt, soll sie unter anderem Zollbeamten helfen, etwa Koranmanuskripte oder vorislamische Kunstobjekte zu identifizieren. Vom BKA und Interpol, die regelmäßig Antiquitätenmessen überwachen, erhalten wir Fotos von Fundstücken, deren Herkunft nicht eindeutig gesichert ist. Wir prüfen dann zusammen mit der Antikenbehörde im Jemen, ob die Gegenstände tatsächlich aus regulären Sammlungen stammen oder ob es sich um gestohlene Objekte aus Museen oder Raubgrabungen handelt.

 

Gibt es neben der nachträglichen Schadensbekämpfung Ansätze, die anhaltende Zerstörung durch den Krieg zu mindern?
Das Deutsche Archäologische Institut und internationale Fachkollegen schickten 2015 über die UNESCO eine Liste mit Koordinaten zu archäologischen Fundstätten nach Saudi-Arabien. Riad nahm das Dokument zur Kenntnis, meinte aber, dass man im Zweifelsfall keine Rücksicht darauf nehmen könne. So wurden beispielweise das Museum in Dhamar mit mehr als 12.500 Fundstücken oder die mehr als 2000 Jahre alte Nakrah-Tempelanlage in Baraqish inzwischen dem Erdboden gleichgemacht. Die Luftangriffe der saudisch-geführten Militärallianz sind schätzungsweise für 70 Prozent der Zerstörung verantwortlich.

 

»Unsere Außenstellen in Sanaa, Bagdad und Damaskus waren zwischenzeitlich geschlossen, wurden und werden aber nie aufgegeben.«

 

Wo bleibt der Aufschrei?
Der Jemen wird schon lange von der Weltöffentlichkeit stiefmütterlich behandelt. Das mag daran liegen, dass wir in Europa kaum Geflüchtete aus dem Jemen haben. Oder auch, dass es im Land kaum Bodenschätze und daher kaum wirtschaftliche Interessen anderer Länder gibt. Auch das geschichtliche und kulturelle Wissen über den Jemen ist in Europa sehr begrenzt. Darüber hinaus wird die Zerstörung durch Terrororganisationen – anders als im syrischen Palmyra oder im nordirakischen Nimrod – nicht öffentlichkeitswirksam zelebriert. Und so spielt sich das Leid der jemenitischen Bevölkerung weitgehend ungeachtet der internationalen Aufmerksamkeit ab.

 

Welche Hoffnung treibt Sie an?
Trotz aller Schwierigkeiten hoffen wir, durch unsere jetzige Arbeit unsere Kollegen im Jemen zu unterstützen und eine hilfreiche Grundlage für spätere Restaurationsmaßnahmen legen zu können. Wie auch immer eine Lösung des Konflikts aussieht – wir hoffen, so schnell wie möglich wieder unsere Arbeit vor Ort aufnehmen zu können. Es ist alles eine Frage der Zeit; als Archäologen versuchen wir, in größeren Dimensionen zu denken, auch wenn man sich das selbst gar nicht wünscht. Das Deutsche Archäologische Institut feiert im kommenden Jahr seinen 190. Geburtstag. In der Vergangenheit hat es schon oft seinen langen Atem bewiesen; unsere Außenstellen in Sanaa, Bagdad und Damaskus waren zwischenzeitlich geschlossen, wurden und werden aber nie aufgegeben.

 

Wie reagieren Sie auf Vorwürfe, kulturellen Erhalt über das Leid der jemenitischen Bevölkerung zu stellen?
Natürlich ist der Frieden im Land und das Ende der humanitären Katastrophe das wichtigste Ziel. Der Mensch steht immer an erster Stelle. Allerdings ist es uns Archäologen auch wichtig, das Andenken an »Arabia Felix« zu bewahren. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das Kulturerbe des Jemen – und damit auch das der Menschheit.

Von: 
Ulla Mundinger

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