Lesezeit: 8 Minuten
Die neue Kolumne von zenith-Chefredakteur Daniel Gerlach

Spättürkische Dekadenz

Essay
Chora
Ein Mosaik in der Chora-Kirche zeigt Theodor im Kaftan kniend vor Christus, wie er ihm ein Miniaturmodell des Kuppelbaus entgegenhält. Foto: Linus Werter

Warum der brave Theodor einen Turban trägt und der sonst nicht sonderlich bescheidene Tayyip ein Bauarbeiterhemd.

Neulich lobte ein Fernsehmoderator eine bekannte Berliner Politikerin für ihr vortreffliches Erscheinungsbild. Er finde es fantastisch, wenn Politiker auch Vorbilder in Sachen Eleganz sein könnten. Ich musste umgehend an Theodoros Metochites denken. Nicht etwa, weil ich fortwährend über die späte byzantinische Geschichte nachsinne, sondern weil ich zufällig am selben Tag etwas über Theodor (1270-1332) gelesen hatte.

 

Theodor war ein oströmischer Gentleman, der modische Akzente setzte. Ein prächtiges Mosaik in der Chora-Kirche im heutigen Istanbuler Stadtteil Fatih zeigt ihn im bestickten Kaftan mit einem auffällig hohen und gestreiften Turban auf dem Kopf. Er kniet dabei vor Christus und hält ihm ein Miniaturmodell des Kuppelbaus entgegen – ein untrüglicher Hinweis darauf, dass er, Theodor, dessen Restaurierung und kunstvolle Ausstattung, die heute als Inbegriff der spätbyzantinischen, »palaiologischen Renaissance« gilt, spendiert hatte.

 

Was nun den Turban anbelangt: Entweder irrt sich die Forschung, oder aber Theodor fiel mit seinem Look aus der Reihe der für gewöhnlich dreieckig behüteten Logotheten, der höchsten Staatsbeamten. Fand Theodor schon Gefallen an türkischer und mamlukischer Couture? Oder wollte er sich einmal als orientalischer Gelehrter, als Weiser aus dem Morgenland verewigt sehen?

 

Wir wissen es nicht. Allerdings war Theodor, der Chef der Staatskanzlei des byzantinischen Kaisers Andronikos II. Palaiologos (1259-1332), tatsächlich ein Universalgelehrter, der sich Mathematik und Astronomie widmete und auch als Dichter und eben Förderer der Kunst betätigte. Er war reich und für byzantinische Verhältnisse nur durchschnittlich korrupt. Was seine Regierungsbilanz anbelangt, so kommt es ganz darauf an, wen man fragt. So ist es ja meistens der Fall bei Politikern, die sich in teuren Anzügen ablichten lassen.

 

Theodor diente einem eher schwachen Kaiser. Seine Tochter Irene heiratete einen Neffen des Palaiologen, der, wie in Byzanz nicht unüblich, rebellierte und dem braven Logotheten Ärger ins Haus brachte. Als Kaiser Andronikos von seinem Enkel abgesetzt wurde, gab man dem Theodor am Ende noch die Schuld am schlechten Zustand des Imperiums. Nach längerem Exil durfte der Ex-Kanzler sich nun als Verfasser melancholischer Gedichte in jenes Kloster, dessen Kirche er so prächtig hatte dekorieren lassen, auf sein Altenteil zurückziehen.

 

Die Osmanen machten die Chora zur Moschee, die türkische Republik zu einem prächtigen Museum.

 

In der Chora prangt über allem der Christus Pantokrator (Anders als ihre lateinische Konkurrenz sahen die Byzantiner den Weltenherrscher nicht gern am Kreuz hängen; in ihren Kirchen, so auch in der Chora, sendet er meist gütig blickend einen Segensgruß auf uns herab und trägt dabei ebenfalls kein billiges Gewand). Das Auferstehungsfresko in der Seitenkapelle zeigt Christus dabei, wie er Adam und Eva und damit das Menschengeschlecht aus ihren Gräbern zieht. Eine ungeheuer dynamische Szene. Man hat den Eindruck, als könnten die beiden ihr Glück nicht fassen und müssten regelrecht nach oben gewuchtet werden. Etwas anderes kann man wohl auch von niemandem erwarten, der oder die Jahrtausende lang in einem Sarkophag herumgelegen hat.

 

Man nimmt an, dass Theodors Leichnam in der Chora-Kirche die letzte Ruhestätte fand und dort seit dem Jahr 1331 oder 1332 geduldig seiner Auferstehung harrt.

 

Ich habe die Chora-Kirche, in Istanbul besser bekannt als Kariye Cami, also »Kariye-Moschee«, vor etwa zehn Jahren besucht. Sie liegt etwas abseits der ausgetretenen Touristenpfade – zur Zeit der Grundsteinlegung im 11. Jahrhundert befand sie sich sogar außerhalb von Konstantinopel. Als Klosterkirche beherbergte sie zahlreiche prächtige Ikonen und Reliquien, welche die Mauern der oströmischen Hauptstadt schützen sollten. Die Osmanen machten die Chora zur Moschee, die türkische Republik zu einem prächtigen Museum.

 

Nach meinem Eindruck waren es vor allem Studienreisegruppen, die sich für eine Stunde in der Chora einfanden und Fotos von den Fresken und Mosaiken machten. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet der Moscheelogistik, vermute aber, dass sich die verschachtelte Kirche mit Parakklesion und Grabkapelle nur bedingt für das gemeinsame islamische Gebet eignet. Im nach dem Eroberer Konstantinopels benannten Stadtteil Fatih gibt es im Übrigen keinen Mangel an Gebetshäusern, wobei man fairerweise sagen muss, dass die Bewohner auch davon Gebrauch machen.

 

Wobei wir beim nachrichtlichen Anlass dieser Kolumne angekommen sind: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat das Kariye-Museum in der vergangenen Woche per Dekret wieder zur Moschee erklärt, nachdem ein Gerichtsbeschluss im vergangenen Jahr den Weg dazu bereitet hatte. Dem kulturgeschichtlich wohl bedeutendsten Wahrzeichen Istanbuls, der Basilika Hagia Sophia, war es wenige Wochen zuvor ebenso ergangen. Über die Motive – die eigene islamistisch angehauchte Fangemeinde zu beglücken, von schlechten Nachrichten ablenken, die Griechen, die sich als Nachfahren von Byzanz betrachten, abzuwatschen oder seinen in Gestalt des Istanbuler Bürgermeisters aufstrebenden Rivalen zu brüskieren – wurde hinreichend geschrieben.

 

Zu Textilien pflegt Erdoğan ganz offenbar ein taktisches Verhältnis. Zur Kunst hingegen überhaupt keines.

 

Die Umwidmung der Chora erregte weit weniger Aufsehen als jene der Hagia Sophia. Man kann mit einiger Sicherheit behaupten, dass selbst die meisten Istanbul-Touristen – Studiosus-Reisende sollten sich jetzt nicht angesprochen fühlen – noch nie von ihr gehört hatten. Außerdem geht es im östlichen Mittelmeer gerade um Gas und geopolitische Interessen, womöglich sogar um das Abwenden einer militärischen Eskalation zwischen Griechenland und der Türkei.

 

Das christlich-byzantinische Erbe scheint Erdoğan nur zu interessieren, wenn es sich als politisches Instrument gebrauchen lässt. Dabei versuchten selbst die osmanischen Sultane daran anzuknüpfen, um ihrem Titel als römische Kaiser zu entsprechen.

 

Als ich von Theodoros Metochites las, kam mir wiederum Erdoğan in den Sinn. Auch der setzt gerne modische Akzente, dergestalt, dass die Presse schon darüber spekulierte, ob er seine Sakkos selbst entwirft. Er kann sich auch dezent kleiden, um als Staatsmann ernst genommen zu werden. Sein politischer Instinkt ist beeindruckend; als stilsicher kann man ihn gleichwohl nicht bezeichnen. Ob er einmal – wie einst Theodor – als seiner Zeit entsprechend durchschnittlich korrupt gelten wird oder als der Mann, der die späte türkische Republik zugrunde richtete, werden die Historiker beurteilen.

 

Zu einer Ansprache an sein Gefolge in der AKP (oder AK-Partei), in der er die Umwidmung der Hagia Sophia als Geschenk zum diesjährigen Opferfest anpries, trug Erdoğan unter dem Tweed ein grobkariertes Hemd. Er wollte gegenüber diesem Publikum bescheiden aussehen, wie ein Vorarbeiter aus seinem Heimatstadtteil Kasımpaşa, der demnächst in Rente geht. Zu Textilien pflegt Erdoğan ganz offenbar ein taktisches Verhältnis. Zur Kunst hingegen überhaupt keines.

Von: 
Daniel Gerlach

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.