Wie schiitisch, wie sunnitisch können Artefakte sein? Kunsthistoriker und Islamwissenschaftler kommen da zu ganz unterschiedlichen Interpretationen. Ein Rundgang durch Berliner Museum für Islamische Kunst mit Direktor Stefan Weber.
Sushi-Mihrab
In der islamischen Kunst findet die religiöse Prägung oft ihren Ausdruck in der Kalligrafie. In der Mitte steht hier das Glaubensbekenntnis, rechts davon Alis Name und links davon der des Propheten. Eigentlich müsste das genau umgekehrt sein. Was diese Verdrehung und der Zusatz wirklich zu bedeuten haben, darüber streiten sich noch heute die beiden großen Spezialisten zur Lüsterkeramik. Ist es schiitische Kunst? Wenn man es von rechts nach links liest, kommt nach dem Glaubensbekenntnis der Zusatz, der den Schiiten zu eigen ist. Ist es schiitische Kunst? Darüber sind sich die heutigen Spezialisten zur Lüsterkeramik uneinig. Die Gebetsnische stammt aber aus einer Zeit, in der die sunnitischen Seldschuken an der Macht waren. Lüsterkeramik wurde aber oft von Töpfermeistern aus Kashan gefertigt. Waren sie also diejenigen, die Kunst als schiitisch markierten? Aufgrund der Ästhetik können wir selten sagen, ob es sich um ein schiitisches oder sunnitisches Kunstwerk handelt, das kommt erst durch Inschriften, die zu einer religiösen Markierung werden. Im Vergleich dazu ist es im Christentum ganz anders: In einer Kirche kann man sofort erkennen, ob man in einem katholischen, evangelischen, orthodoxen oder armenischen Gotteshaus ist.
Ecke nach Geschmack
Eine typisch sunnitische Gebetsnische? Nein. Es ist ein Mihrab ganz nach dem Geschmack des 13. Jahrhunderts. Zwar war Konya eine sunnitische Stadt, doch die prägende ästhetische Idee waren die Mosaike aus Keramik. Diese Kunstform entstand im 11. und 12. Jahrhundert im im iranischen Kulturraum. Kunst, ob religiös oder nicht, wurde immer nach dem Geschmack der Zeit gestaltet. Allerdings finden sich in der explizit religiösen Kunst des Islam kaum figürliche Darstellungen.
Trennungen und Trends
Oft erkennen wir die konfessionellen Hintergründe der Kunst im Islam nur durch Inschriften. Manches lässt sich aber auch aus der Geschichte ablesen: Das Osmanische wie auch das Safawidische Reich haben auch die Kunstgeschichte der islamischen Welt geprägt: Im sunnitisch osmanischen Reich wurden Darstellungen von Mensch und Tier aus der Wandmalerei, Keramik und dem öffentlichen Raum weitgehend vermieden. Im Gegensatz dazu waren im schiitisch-iranischen Reich weiterhin Abbildungen deutlich verbreiteter. Aber auch hier waren abstrakte und naturelle Muster vertreten, vor allem im religiösen Kontext. Wie wir heute über islamische Kunst und Konfessionalismus denken, ist durch diese beiden Reiche geprägt worden. Mittlerweile ist die Kunst ein Zeichen von religiöser Identität und Machtansprüchen geworden. Das ist aber vielmehr ein Ergebnis jüngerer Entwicklungen als von strikten konfessionellen Traditionen.
Ist das zum Beten da?
Was wie eine Gebetsnische aussieht, ist eine typische Nische in einem Wohnhaus einer wohlhabenden Familie in Damaskus im 15. Jahrhundert. Vom Stil eines Kunstwerks lässt sich nicht auf die Konfession schließen. Diese Nische könnte in einem muslimischen wie einem christlichen, in einem jüdischen oder einem samaritanischen Haus gestanden haben. Letzteres ist hier der Fall, da sich in dem Muster samaritanische Inschriften finden. Die Deutungsunsicherheit zeigt, wie sehr gegenwärtige Denkstrukturen die Interpretation beeinflussen. Die Geschichte wird dann zum Supermarkt, bei dem sich jeder je nach Geschmack bedient.
Stuckwände aus Wohnungen und Palästen
Die Kalifenresidenz in Samarra spielt eine bedeutende Rolle in der Geschichte des sunnitischen und schiitischen Islams. Vom Abbasiden-Kalifen Al-Mutasim 833 gegründet, war Samarra Heimstatt philosophischer Schulen, Schauplatz einer Konterrevolution und birgt das Geheimnis des Verbleibs des »verborgenen« zwölften Imams. Die ersten Grabungen durch das Museum um 1911 markieren den Beginn der islamischen Archäologie als wissenschaftliche Disziplin. Was man dort fand, erklärt, wie aus der spätantiken und altmesopotamische Tradition kombiniert mit der Bildscheue des Islam, eine Kunstästhetik entstehen konnte: Naturelle und abstrakte Dekorelemente trafen den Geschmack der Zeit und verbreiteten sich als Stil der Epoche in andere islamische Regionen. Sunniten wie Schiiten haben viel im naturalistischen Stil verziert. Aber eher als eine konfessionelle Kunstsprache lassen sich hier lokale Traditionen beziehungsweise zeitliche Vorlieben erkennen. Nach dem abbasidischen abstrakten Stil von Samarra finden sich im damals schiitischen Ägypten oder sunnitischen Afghanistan und Zentralasien wieder vermehrt Abbildungen im 11. und 12. Jahrhundert.
Bilderverbot? Von wegen
China und der heutige Irak hatten ab dem 9. Jahrhundert vor allem eines gemeinsam: Geschmack. Anhand des erhaltenen Porzellans lässt sich erkennen: Was Mode war, kannte keine konfessionellen oder lokalen Grenzen. Solche Geschmacksformen haben sich durch den irakisch-chinesischen Austausch entwickelt und durch das Reich der Abbasiden verbreitet. Zudem: wo es Normen gibt, gibt es auch immer Abweichung. Wir stellen uns doch eigentlich vor, dass sich im Haus eines Kalifen keine Abbildungen von Menschen befanden. Irrtum! In Samarra, Fustat (dem heutigen Kairo), Cordoba und an anderen Orten wurden Wandmalereien, Stoffe, Lüsterkeramik, Schnitzereien und Skulpturen gefunden, die das Gegenteil belegen. Aus anderen Perioden sind uns Skulpturen von Tieren und Abbildungen von Tänzerinnen und Jagdszenen bekannt. Es gibt so viele Abweichungen, dass die Norm nicht so bindend war, wie wir uns das heute oft vorstellen.