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Musterfarm

Wer geschwind sät

Feature
Gelbe Tomaten
Foto: Sunnica Rose

In der Bekaa-Ebene im Libanon bilden Europäer und syrische Aktivisten Männer und Frauen aus Flüchtlingslagern zu ­Biobauern aus. Die ökologische Landwirtschaft setzt auf selbstbestimmte Landwirte und fordert das Monopol des syrischen Regimes heraus.

An einem Samstag, etwas abseits der trostlosen Schnellstraße zwischen Schtura und Baalbek, genießt eine kleine Gruppe ein Mittagessen am Feldrand nahe einer Bauruine im Schatten einer weißen Abdeckplane. Einige sind vom nahe gelegenen Flüchtlingslager gekommen, andere aus den gehobenen Stadtteilen Beiruts. Es sind Landwirte, Agraringenieure, Bäcker und Mitarbeiter der lokalen Non-Profit-Organisationen. Die Diskussion ist lebhaft und dreht sich um frisch gebackenes Brot: Was ist besser, Roggen oder Weizen? Iranisches Naan oder französisches Baguette? Am Ende gewinnt das Roggenbrot.

Später lauschen die Anwesenden einer mehrstündigen, auf Arabisch vorgetragenen Präsentation über Bio­brot­technik eines US-amerikanischen Bäckermeisters, der einen Biobetrieb in Beirut führt. Das Treffen, die Vorträge, der Austausch sind Teil eines Programms des Biobauernhofs in Saadnayel in der fruchtbaren Bekaa-Ebene. Die Veranstaltungsreihe wurde im April 2017 vom französischen Geschwisterpaar Ferdinand und Zoé Beau mit Unterstützung der libanesischen NGO »Sawa« ins Leben gerufen. Die Biofarm ist mittlerweile selbst als NGO registriert unter dem Namen »Bouzourna Jouzourna« – zu Deutsch: »Unsere Samen, unsere Wurzeln«.

Eigentlich begann das Projekt bereits 2014, als Agraringenieur Ferdinand Beau in Saadnayel, etwa 70 Kilometer von Damaskus entfernt, auf einem Landstück in Besitz der Jesuiten einen biologischen Gemüsegarten entwarf. Zu dem Zeitpunkt machte die Belagerung von Jarmuk Schlagzeilen, einem Palästinenserlager südlich von Damaskus, das zeitweise vom IS eingenommen wurde. Die Bilder und Geschichten von Armut und Hungersnot im Kriegsgebiet nahm Ferdinand zum Anlass, darüber nachzudenken, wie man die Landwirtschaft weiterentwickeln und möglichst ertragreiche und nahrhafte Erzeugnisse nach Syrien importieren könnte.

»In instabilen Zeiten ist es besonders schwer, an typische Komponenten der modernen Landwirtschaft zu kommen, wie etwa verbessertes Saatgut, Pestizide, Düngemittel oder Kraftstoff«, sagt der 27-jährige Agraringenieur. »Das ist unabdingbar, um Hunger und Krankheiten einzudämmen.« Ohnehin stünden syrischen Bauern nur kleine Flächen zur Verfügung. »Und wenn die Menschen schon nicht über hinreichend Equipment verfügen, dann müssen sie sich mit neuen, nützlichen und besonders umweltschonenden Techniken vertraut machen.« Er meint: die ökologische Landwirtschaft.

Sechs Monate später ging er zurück nach Frankreich, um mit seiner Schwester durch das Land zu reisen und 1.500 kleine Beutel alter Saatgutsorten von Landwirten einzusammeln. Dieses Saatgut wird von bereits blühenden Pflanzen eingesammelt und über mehrere Jahre hinweg benutzt. Und es ist nicht offiziell als unterscheidbar, stabil oder einheitlich anerkannt, so wie es der EU-Norm entsprechen würde. »Wir glauben, dass Saatgut ein Gemeingut ist, das über Generationen hinweg von Landwirten durch Selektion geschaffen wurde«, argumentiert Ferdinand. Er und Zoé sind über 4.000 Kilometer mit ihrem Wagen bis zur türkischen Grenze zu Syrien gefahren, wo sie Aktivisten getroffen haben, die das Saatgut ins Land schmuggelten. Aus diesem Treffen ist ein Solidaritätsnetzwerk entstanden, das schließlich europäische und syrische Aktivisten zusammengebracht hat.

Um die alten Saatgutsorten weiter zu erhalten, haben Ferdinand Beau und seine 29-jährige Schwester beschlossen, sich in der Bekaa-Ebene niederzulassen und ihren eigenen biologischen Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen. Mithilfe von Walid Abu Ahmad, einem syrischen Bauern, der vor dem Krieg fünf Hektar Weizenanbaufläche in der Nähe von Aleppo besessen hatte, pflanzten sie unterschiedliche Obst- und Gemüsesorten, darunter Tomaten, Melonen und Bohnen – auf einem kleinen Stück Land. Die Erzeugnisse werden an die Anwohner verkauft und das Saatgut gesammelt und in den Flüchtlingslagern verteilt.

Nach Angaben der UN halten sich derzeit offiziell eine Million syrische Geflüchtete im Libanon auf. Libanesische Behörden beziffern die Anzahl meist auf knapp zwei Millionen.

Außerdem wurde eine Landwirtschaftsschule eröffnet, in der Männer und Frauen aus den Lagern zu Biolandwirten ausgebildet werden. »Ich lerne gerne«, erzählt der 28-jährige Sahar Muhammad aus Damaskus, der hier seit fünf Jahren mit seinen neun Geschwistern und seinen Eltern in einem Flüchtlingslager lebt. Er berichtet von Misshandlungen der libanesischen Polizei gegenüber den Flüchtlingen, von Krankheiten, Hunger und hygienisch furchtbaren Bedingungen im Camp. Die Ausbildung macht ihm Mut, sagt er, und sie lässt ihn neue Träume verfolgen: »Eines Tages möchte ich nach Neuseeland gehen und dort in der Landwirtschaft arbeiten.«

»Um die alten Saatgut­sorten zu erhalten, greifen wir Ideen aus dem Libanon, Syrien und Europa auf«, erklärt Walid Abu Ahmad. Für ihn ist diese Art der Landwirtschaft in der Region, die erst seit 50 Jahren chemische Düngemittel kennt, nichts Neues. Allerdings räumt er ein, dass er von den Produktionsmethoden der ökologischen Landwirtschaft zum ersten Mal etwas gehört habe, als er Ferdinand und Zoé kennenlernte. »Ich wusste nur, dass Baladiyeh-Gemüse – ein arabisches Wort für lokale Agrarprodukte – besser war«, sagt er.

Und er erinnert sich, dass die syrischen Geflüchteten im nahe gelegenen Lager die in Saadnayel angewandten Techniken zunächst »komisch« fanden. »Die Menschen haben nicht verstanden, wie wir es ohne Düngemittel geschafft haben. Wir benutzen traditionelle Techniken wie zum Beispiel den Boden mit Stroh zu schützen.« Walid Abu Ahmad teilt seine Erkenntnisse auch per WhatsApp mit seiner Familie zu Hause in Syrien. »Sie schicken mir Bilder von ihren kranken Pflanzen und ich schicke ihnen Rezepte für Biopestizide, die beispielsweise mit Knoblauch zubereitet werden. Das ist billiger als chemische Produkte«, erklärt der 32-Jährige stolz.

Samen
1.500 kleine Beutel alter Saatgutsorten hat der französische Agraringenieur Ferdinand Beau gesammelt. Nun will er auch die von Monokultur bedrohten Kulturpflanzen Syriens bewahren und verbreiten.

So wie Ferdinand Beau und der Rest des Saadnayel-­Teams hofft auch Walid Abu Ahmad, dass eine geringere Kontrolle der syrischen Regierung – wer sie in Zukunft auch immer stellt – über die Landwirtschaft ein größeres Bewusstsein für biologische Anbautechniken unter Landwirten schaffen wird. »Wir wollen schon während des Krieges mehr Menschen mit Kompetenz im Bereich biologischer Landwirtschaft ausstatten. Dann können sie nach Kriegsende der Regierung gegenübertreten und sagen: ›Wir brauchen eure Hilfe nicht!‹«

Auch im benachbarten Irak litt die Landwirtschaft nicht nur unter den unmittelbaren Kriegsfolgen, sondern auch unter den Bedingungen der Nachkriegsordnung.

Bénédicte Bonzi hat im Jahr 2015 solche Missstände für ihre Masterarbeit über das Verschwinden von Landwirtschaftsgemeinschaften in Irakisch-­Kurdistan erforscht. »Bereits vor der US-­amerikanischen Invasion haben kurdische Bauern unter Saddam Husseins Agrarreformen gelitten«, sagt die Doktorandin an der französischen Hoch­schule für Sozialwissenschaften (EHESS).

Doch nach dem Krieg habe sich die Lage weiter verschlechtert. »Einige wenige Landbesitzer, die enge Beziehungen zu den Amerikanern unterhielten, verdienen Geld an einem Pseudo-Wiederaufbau der Region. Sie behaupten zwar, die Böden wieder urbar zu machen und dafür zu sorgen, dass die Landwirte auf dem Land bleiben. Aber vor Ort sieht man, wie es wirklich aussieht: Die Bauern sind in die Stadt gezogen und kommen nicht wieder.« Bénédicte Bonzi sieht darin eine Gefahr für die Ernährungssicherheit großer Teile der Bevölkerung.

Wie im Irak war auch die syrische Agrarpolitik vor dem Krieg stark zentralisiert. Der Saatgutmarkt wurde offiziell von der Regierung kontrolliert. Nach Angaben des »Nationalen Programms für Ernährungssicherheit in der Syrischen Arabischen Republik«, das vom Nationalen Zentrum für Landwirtschaftspolitik verfasst und von der Welternährungsorganisation (FAO) finanziert wurde, »trägt die Landwirtschaft in Syrien rund 20–25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und ist die wichtigste Beschäftigungsgrundlage und Haupteinnahmequelle für 47 Prozent der Bevölkerung«. Bis 2006 »hat Syrien sich mit den meisten Erzeugnissen, wie Weizen, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst, selbst versorgt«, erklärt der Bericht.

Der französische Forscher Pierre Blanc argumentiert indes in seinem Buch »The Near East: Power, Land and Water«, dass trotz der Bedeutung, die das syrische Regime der Landwirtschaft zuschreibt, diese Branche bereits vor der Revolution 2011 in Schwierigkeiten steckte: »Gefahren durch den Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, dadurch steigende Wassernutzung für andere Zwecke, die schwindende relative – auch politische – Bedeutung der syrischen Landwirte, die Wasserprojekte der Nachbarländer.« All diese Faktoren bedrohten damals schon die landwirtschaftliche Grundlage in Syrien.

Um die alten Saatgutsorten weiter zu erhalten, haben Ferdinand und Zoé Beau beschlossen, sich in der Bekaa-Ebene niederzulassen

Pierre Blanc zufolge bedeuteten Dürreperioden und Agrarreformen das Aus für die staatseigenen Landwirtschaftsbetriebe und führten ab Anfang 2000 zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Landwirte, die dadurch von ihrem Land vertrieben wurden. »Die Unsicherheit ihrer Lebens- und Arbeitsgrundlage belastet Syriens Landwirte enorm. Müsste man den syrischen Volksaufstand nicht, nebst allen anderen Gründen, auch als indirekte Folge des Versagens der Baath-Partei in der Agrarwirtschaft sehen?«

Salvatore Ceccarelli hat 30 Jahre lang in Syrien für das »Internationale Zentrum für Landwirtschaftsforschung in Trockengebieten« (ICARDA) gearbeitet, eine Forschungseinrichtung der »Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung«. Die Zweigstelle des Forschungsverbundes in der Nähe von Aleppo musste im Laufe des Krieges schließlich ihre Tätigkeit einstellen. Als Leiter des Züchtungsprogramms für Gerste hatte er eng mit Landwirten im ganzen Land zusammengearbeitet. 2003 erhielt er vom syrischen Landwirtschaftsministerium die Genehmigung, sein Forschungsprojekt von elf auf 24 Dörfer auszuweiten. Dadurch konnte er jedes Jahr über 200 Feldversuche im ganzen Land durchführen.

 

Zoe
Zoé Beau auf der Musterfarm in Saadnayel: Die Betreiber des Landwirtschaftsprojekts bauen nicht nur alte Kultursorten an, sondern geben syrischen Bauern auch Seminare in biologischer Landwirtschaft.

2008 setzte der Staat der Partnerschaft jedoch unvermittelt ein Ende. »Die Regierung hatte herausgefunden, dass die Landwirte, die mit mir zusammenarbeiteten, ihre eigenen Saatgutsorten ausgewählt, vermehrt und an Berufskollegen verkauft hatten.« Nach syrischem Recht durften Landwirte Saatgut nur von der »Allgemeinen Organisation für Saatgutvermehrung« (GOSM) – der einzigen staatlich lizensierten Behörde – erwerben. Ceccarelli sieht in dem Tauschhandel eine verständliche Reaktion der Landwirte auf die strukturelle Schieflage des staatlichen Verteilungssystems. »Nur 40 Prozent des Weizensaatguts und zehn Prozent des Gerstensaatguts im Land kamen über die offiziellen Kanäle. Der Rest wurde unter den Landwirten getauscht. Im Fall der Gerste bedeutete das, dass 90 Prozent des Saatguts von den syrischen Behörden gar nicht registriert wurde.«

Seiner Meinung nach versuchte die syrische Regierung – angelehnt an EU-Standards –, ein Modell durchzudrücken, durch das nur eine geringe Anzahl intensiv getesteter Sorten ausgegeben wurde. »Das konnte nicht funktionieren. Die syrischen Landwirte bauten noch sehr alte Sorten an, die gut an die Böden, das Klima und ihre Nutzung angepasst waren. Und sie verstanden ihr Handwerk. In dieser Region der Welt kann die Landwirtschaft auf eine 10.000 Jahre alte Tradition zurückblicken.«

Ceccarelli glaubt, dass es dem Ministerium missfiel, dass er den Landwirten mehr Kontrolle über den Saatgutverkehr ermöglicht hatte. »Sie warfen mir vor, dass ich die Ausbreitung von Pflanzenkrankheiten vorantreiben würde, obwohl ICARDA-­Phytopathologen meine Methoden getestet und abgesegnet hatten. Außerdem haben sie bemängelt, dass das von mir benutzte Saatgut nicht einheitlich genug gewesen sei. Aber das war nicht nötig. Denn in Syrien wird Gerste meist an Tiere verfüttert.«

Csaba Gaspar, Leiter des OECD-­Programms für Agrar­politik und -systeme, ist da anderer Meinung. Zertifiziertes Saatgut sei oft mit einer höheren Qualität verbunden, erklärt er gegenüber zenith. »Der informelle Saatgutbereich ist weniger reguliert und kann Saatgut von modernen Hightech-Pflanzen, die eine wichtige Rolle für steigende Ernteerträge und Ernährungssicherheit spielen, möglicherweise den Zugang versperren.«

Die Vor- und Nachteile der ökologischen Landwirtschaft führen schnell in eine politische Debatte. Salvatore Ceccarelli etwa führt an, dass »neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass der Grund für die weltweite Verbreitung von Fettleibigkeit und Diabetes in schlechter Ernährung in Zusammenhang mit einer einheitlichen Landwirtschaft liegt«.

Wie die zukünftige Agrarpolitik Syriens aussieht, wird jenseits aller Forschung allerdings erheblich davon abhängen, wer den Krieg gewinnt und damit die Richtung in der Landwirtschaft vorgibt.

Von: 
Sunniva Rose
Fotografien von: 
Sunniva Rose

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