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Damaskus - eine Stadt, eine Botschaft, ein Vermächtnis

Auf der Suche nach der städtischen Seele

Reportage
Auf der Suche nach der städtischen Seele
Handel auf dem Damaszener Hausberg Jebel Qasiun. Zwei junge Männer preisen Kartoffelchips, Popcorn, Zuckerwatte und andere Leckereien an. Foto: Gulliver Theis

Die kulturelle Vielfalt, ein Erbe von Jahrtausenden menschlicher Zivilisation, jubilieren die Reiseführer über Damaskus. Doch was, wenn man erspüren möchte, wie diese Stadt atmet? Was, wenn man sich an ihr Innerstes herantasten möchte?

Ich weiß nicht, ob es überhaupt irgendjemandem auch so geht. Aber ich kann es nicht ausstehen, überall auf der Welt als Touristin erkannt zu werden. Das ist mir peinlich. Mit dem Reiseführer tief in der Tasche verborgen, irre ich zielgerichtet durch fremde Straßen und versuche mir den Rudeltrieb und das Rumstehen vor Postkartenständern zu verkneifen. Blick nach vorne, Staunen im Vorbeigehen und nicht nach dem Weg fragen.

 

Das höchste Glück ist es, selbst angesprochen zu werden von Orientierungslosen mit Shorts und Sandalen. Hilfsbereit lächelnd ahmt man den örtlichen Akzent nach und schickt sie in irgendeine Richtung – und sei's die falsche. Die gelungene Maskerade und das Triumphgefühl ist es wert: Ich bin mit der Stadt verschmolzen, bin in den innersten Zirkel ihres Lebens eingedrungen. Ich gehöre dazu.

 

Selbst wenn ich nicht als Einheimische durchgehe, will ich mich wenigstens von den Touristenmassen abheben, will mir insgeheim cineastische Sätze im Kopf zurechtlegen dürfen wie: »Ich bin geschäftlich in der Stadt.«

 

Lackierte Mumien im Palast des Gouverneurs

 

Damaskus ist dahingehend eine harte Probe. Ich könnte genauso gut in Hawaihemd und Tropenhelm flanieren. Wäre nicht auffälliger. Ungewohnt, dass so viele mit mir sprechen wollen. Gemüsehändler schenken mir Kaugummi, als wäre ich acht Jahre alt. Manchmal bin ich sogar exotisches Beiwerk auf Erinnerungsfotos. Die Menschen, die unaufgefordert Kontakt suchen, die sind die schöne Seite des Phänomens.

 

Ein bisschen Lokalkolorit beim Smalltalk. Die andere Seite sind die Blicke und das obszöne Raunen im Vorbeigehen, die Gedanken, die dahinter stehen. Vielleicht bin ich paranoid. Doch trotzdem, warum diese Aufmerksamkeit? Das Problem ist nicht mein fremdländisches Gebaren. Schuld sind die anderen: die Scharen von Urlaubern, die nicht hierher kommen wollen, damit ich sie meiden kann. Und ich meine damit nicht die Shopping-Gäste aus den umliegenden Ländern, die sich hier mit Meterware eindecken, nicht die Individualreisenden und Sprachstudenten, sondern die mit den Wasserflaschen und den Camcordern, die, die einem Schirm hinterherlaufen oder einem Spazierstock.

 

Man kann dafür vernünftige Gründe finden: zum Beispiel Sicherheit. Der Nahe Osten gilt nun mal als Krisenherd, ob und wo es kracht, ist letztendlich egal. Und wenn ich schon bei einem Gemeinplatz bin, komme ich gleich zum nächsten: Nicht nur Damaskus, ganz Syrien platzt schier vor kulturhistorischen Schätzen, alten Gemäuern, die jahrhundertealte Geschichten vor sich hin grummeln. Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen enormen Aufschwung der Tourismusbranche bedeutete, wenn man neben jedem von ihnen ein Toilettenhäuschen aufstellen würde.

 

Ich darf trotzdem nicht behaupten, dass man sich mit uns Fremden keine Mühe gibt. Ein Besuch im Palast des Herrn Azm, Gouverneur von Damaskus während der Osmanenzeit, mag das bestätigen. Die Pracht springt ins Ange (nicht zu leugnen), doch interessanter sind die Puppen. In jedem Raum wird lebensgroß eine historische Alltagsszene nachgestellt: Kinder in der Koranschule, Mann bei der Ausübung traditioneller Handwerkskunst, Brautabend. Grotesk sehen sie schon aus, ein bisschen wie lackierte Mumien. Zehn Gehminuten weiter: die Omayyaden-Moschee. Was darin ist, lässt sich nachlesen. Außerdem komme ich mir immer so indiskret vor, wenn ich prosternierende Hintern begaffe.

 

Davor ist reinstes Theater vor der Kulisse steinerner Bögen, Überbleibsel des römischen Jupitertempels: Der Vorplatz zieht sich zusammen und spuckt Menschentrauben hervor, die sich zu Familiengruppen sortieren, auseinanderstreben und sich neu vermischen. Kinder scheuchen Tauben auf und umgekehrt. Jünglinge schlendern und halten Händchen, in Szene gesetzt durch funkelnde Farbpünktchen des Girlandenstandes, eines der letzten Ausläufer des Souk al-Hamidiyya, der den Platz in Blickrichtung begrenzt. Bete und kauf ein!

 

Der Vorplatz zieht sich zusammen und spuckt Menschentrauben hervor

 

Und durch seine Mitte zieht sich ein Trampelpfad. Den habe ich da reingetreten, zu meiner eigenen Sicherheit. Er erstreckt sich über vier Kilometer, an geheimen Wegmarkierungen vorbei bis zu den Taxiständen von Bab Tuma. Einmal erfragt verlasse ich ihn ungern, denn er ist mein rettender Strohhalm in der Orientierungslosigkeit. Selten bleibe ich stehen, doch trotzdem kennt man mich. »She's always alone«‚ sagen die Stimmen, an denen ich vorbeihusche. Ich glaube, ich gehe auffällig schnell.

 

Der Mangel an Orientierung ist buchstäblich und kein versteckter Hinweis auf die Lage der Nation oder auf meine Gemütsverfassung. Obwohl beides nicht auszuschließen ist. Es fängt bei der Beschilderung der Straßen an, die einfach nicht vorhanden ist. Man kann anhand der Konturen der Plätze und Straßen Standort und Himmelsrichtung ermitteln. Ansonsten hält man die Nase in den Wind oder lässt sich Hilfe anbieten. Und die Hilfsbereitschaft hier ist wunderlich. Ich muss nicht mehr tun als dazustehen und meinen Zielort zu nennen und schon werde ich durch düstere Seitengassen geleitet und durch menschenleere Gänge, in denen meine Schreie ungehört verhallen würden.

 

Doch dann sehe ich schon das Tageslicht und finde mich auf wundersame Weise an dem Ort wieder, den ich gesucht habe. Ansonsten ist der Fußmarsch die angenehmste Fortbewegungsart. Die Strecken des Minibusverkehrs werden durch Mundpropaganda verbreitet und sind nichts für Introvertierte. Wenn man in den Bus rein will, muss man auf die Straße springen und mit den Armen rudern. Und lauthals den Fahrer anschreien, wenn man wieder raus will. Manchmal habe ich mich an einer roten Ampel rausgeschlichen.

 

Ich könnte weitere markante Punkte nennen: riesenhafte Gebäude, sozialistische Vergangenheit, moderner Stillstand. Ich könnte von Internetcafés erzählen, die wie Maiglöckchen aus dem Boden sprießen. Unter Fantasienamen wie »as-salam4u«‚ »casanova-damas« oder »princess-of-love« suchen junge Männer Kontakt zur Außenwelt. Und wenn man ihnen über die Schulter schaut, kann man erahnen, wohin die Damaszener Frühlingsgefühle sich ihren Weg bahnen. Einzelheiten gehen mich nichts an.

 

Junge Männer suchen Kontakt zur Außenwelt

 

Es mag daran liegen, dass ich hier das Alien bin oder dass ich als Kind immer gehänselt wurde, aber ich verstehe die Leute nicht. Ich verstehe nicht, warum sie sich so verhalten, wie sie es tun, was sie mir sagen wollen und was sie von mir erwarten. Ich habe oft den Eindruck, dass sie mehr über mich wissen, als ich über sie. Aber das ist nicht ganz richtig. Manche haben vielleicht nur mehr Vorurteile. Manchmal wüsste ich aber gern, wie ich ihnen begegnen soll.

 

Ich brauche keine Faustregeln für Frauen in islamischen Ländern. Ich will keinen Mittelweg und ich will nicht überleben hier in Damaskus. Ich will die Seele auf einem Tablett, sie sezieren und darin lesen.

 

Aber die Seele dieser Stadt ist eine wabernde Masse pausenlos ratternder Köpfe. Eine Dunstglocke unzähliger Gedanken. Und man lernt sie nicht deuten, indem man alte Steine fotografiert oder billig einkauft. Leider auch nicht, indem man verbergen will, dass man fremd ist und verloren. Diese Seele findet man, wenn man in die Köpfe der Menschen schaut und versteht, was darin vorgeht. Leider hatte ich weder Spezialbrille noch Arztbesteck.


Dieser Artikel stammt aus der zenith-Ausgabe 3/2005.

Von: 
Kamila Klepacki

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