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Zensur im ägyptischen Film

Zwischen den Zeilen gegen die Zensoren

Feature

Künstlerische Dokumentarfilme haben es selten leicht. Gerade in Ägypten werden Filmemachern enge Grenzen gesetzt – doch die junge Szene sprüht vor Kreativität. Auf dem Leipziger DOK-Festival gaben einige Regisseure Einblick in ihr Werk.

Die Bilder haben eine rohe, raue Wucht, die das Publikum nicht mehr loslässt. »El Gort« folgt zwei jungen tunesischen Arbeitern, die für einen Hungerlohn Heu stapeln und verladen. Jahrelang, ohne Aussicht auf eine Zukunft. Der Film des tunesischen Regisseurs Hamza Ouni feierte auf dem Leipziger DOK-Festival im November 2014 seine Deutschlandpremiere. Und wie: Ouni erhielt von der Festivaljury den Talent-Award-Nachwuchspreis.

 

Der junge Regisseur ist Alumni von »Doc Campus MENA«, eines Trainings- und Netzwerkprogramms des Vereins »Documentary Campus«. Wer für ein solches Programm ausgewählt wird, hat eine große Hürde genommen – denn dokumentarisches Filmen in der arabischen Welt ist häufig ein ermüdendes, anstrengendes und teures Unterfangen. Das sagt zum Beispiel Ahmed Nour aus Kairo. Nour war mit »Moug / Waves« im Wettbewerb des DOK Leipzig vertreten.

 

Sein Film ist ein Porträt seiner Generation: In fünf »Wellen« erzählt Nour, wie sich der Funken der ägyptischen Revolution in seiner Heimatstadt Suez entzündet hat. Der junge Regisseur wählt dabei einen gemischten Ansatz: Poetische Sequenzen wechseln sich mit dokumentarischen ab, reale Szenen treffen auf Animationen, die an Ari Folmans »Waltz with Bashir« erinnern. Die angebliche Prophezeiung, dass Mubarak sein Ende in Suez finden werde, trifft in Ahmed Nours Erzählung zu.

 

Dokumentarisches Filmen ist nicht nur in der arabischen Welt stets auch ein politischer Akt. Künstlerisch kreative Dokumentarfilme sind zum Beispiel in Ägypten auf offiziellem Weg nur umsetzbar, wenn die Aussagen des Films dem staatlichen Filmverständnis nicht widersprechen. Sprich: Man benötigt eine Menge offizieller Genehmigungen. Die sind häufig teuer und nur nach langwierigen Anfragen zu bekommen.

 

Filmt man ohne sie, kann es Probleme geben: von den offiziellen Sicherheitskräften, von den inoffiziellen Beamten, von normalen Menschen, die glauben, ihrer Bürgerpflicht nachkommen zu müssen. »Das ist schlimmer als vor der Revolution«, sagt der junge Filmemacher Mohamed Siam. »Wenn du auf der Straße filmst, ist das größte Problem, dass du keine Ahnung hast, was auf dich zukommt: Ob die Leute geschmiert werden wollen oder wollen, dass du nach Hause gehst, oder ob sie vorhaben, dich einfach nur zu nerven.«

 

Natürlich gibt es Mittel und Wege, die Einschränkungen zu umgehen. Die ägyptischen Künstler haben lange Erfahrungen darin gesammelt, erfinderisch zu sein und zwischen den Zeilen zu arbeiten. Willkürliche Regeln machen es paradoxerweise sogar einfacher, sie zu umgehen, meint die Filmexpertin und Regisseurin Viola Shafik. »Diese Wege suchen sich die Filmemacher natürlich.« Mit der beginnenden Revolution von 2011 habe die Szene neue Energie gewonnen, erklärt Shafik. »Da ist etwas in Bewegung geraten, das Interesse und kreative Kraft weckt fürs Dokumentarische.«

 

Dazu trage auch der »Digital Turn« bei: Filmische Produktionsmittel sind mittlerweile weitaus billiger als früher, durch das Internet können sich die Filmemacher weiterbilden und erhalten direktes Feedback. Die Dokumentarfilmszene ist insgesamt im Aufwind – ein hoffnungsvolles Zeichen für die Gesellschaft. Das arabische Wort für Hoffnung ist »Amal«, so hat Mohamed Siam sein aktuelles Filmvorhaben genannt.

 

»Amal« handelt von einem rebellischen jungen Mädchen, das sich in einem der am stärksten von Männern dominierten Bereichen Ägyptens durchsetzen will: als Mitglied der Ultras, der organisierten, teils stark politischen Fußballfans. Auf den »Leipzig Networking Days« stellte Siam sein Projekt einer Jury aus Fachleuten des Filmgeschäfts vor. Nun hofft er, dass sich interessierte Geldgeber bei ihm melden. Ebenfalls in Leipzig dabei war Marouan Omara. Omara hatte das Publikum zuletzt mit »Crop« überrascht, einem Dokumentarfilm aus dem Inneren eines der indirekten Machtzentren Ägyptens – der staatlichen Zeitung Al-Ahram.

 

Einst setzte Ägyptens Filmindustrie Maßstäbe, heute regiert Mittelmäßigkeit

 

Der junge Regisseur hat das Sprechen in Anspielungen verinnerlicht, wenn es sein muss. »Als Künstler muss ich nicht unbedingt losziehen und laut schreien, dass ich gegen die Armee bin.« Omaras neues Filmprojekt heißt »Dream Away«. Wie Ahmed Nour mit »Moug« und Mohamed Siam in »Amal« greift auch Omaras Film einen Aspekt auf, der seine Generation konstituiert: Sharm el-Sheikh, als Stadt ein Symbol für aufeinanderprallende Werte- und Lebensvorstellungen.

 

Manche der jungen Ägypter, die auf der Suche nach Arbeit in Sharm landen, kommen in der Stadt ihrem Traum vom unabhängigen Leben ein Stück näher. Andere fügen sich mangels besserer Jobs moralischen Standards, wegen derer sie sich vor ihren Familien schämen. Beide Filmemacher sind froh, Teil eines der wenigen internationalen Förderprogramme zu sein. Vor allem von den persönlichen Kontakten und Netzwerken profitieren die jungen Regisseure ungemein.

 

Doch ausländische Unterstützung zu bekommen, ist in Ägypten nicht ungefährlich. Per neuem Gesetz behält sich der Staat vor, Künstler zu bestrafen, deren Projekte in irgendeiner Weise die Sicherheit des Landes berühren. Auch im Vergleich zu anderen arabischen Ländern steht das Land am Nil schlecht da, erklärt Filmexpertin Viola Shafik: »Diese Repressalien, die betreffen eigentlich nur noch Ägypten. Die Regierung ist wirklich nervös.« Siam ergänzt: »Es ist traurig, dass es in anderen arabischen Ländern, die wir für viel stärker rückwärtsgewandt gehalten haben, sehr viel weniger kompliziert ist als hier.«

 

Vor allem vor dem Hintergrund, dass die ägyptische Filmindustrie einst Maßstäbe für die gesamte Region setzte. Aber eben nur in dem Staat genehmen Formen. »Es regiert die Mittelmäßigkeit.«, urteilt Shafik über den derzeitigen Stand der ägyptischen Filmbranche. Dabei gibt es in Ägypten viele sehr talentierte junge Filmemacher. Zum Beispiel Nadine Salib: Mit »Mother of the Unborn«, ihrer ersten Produktion in Spielfilmlänge, hat die 30-Jährige soeben einen Preis für den besten Dokumentarfilm auf dem Abu Dhabi Film Festival gewonnen.


Christopher Resch arbeitet von Leipzig aus als freier Journalist u.a. zu Kunst und Kultur der arabischen Welt.

Von: 
Christopher Resch

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