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Wahlen in Kasachstan

Aller guten Dinge sind drei

Analyse

Für die Präsidentenpartei »Nur Otan« wird es gesellig im Parlament: Bei der Wahl am Sonntag haben zwei weitere Parteien den Einzug ins »Mazhlis« geschafft. Die Pluralismusoffensive beeindruckt Beobachter jedoch nicht.

Mit Jubel und viel Konfetti wurde Nursultan Nasarbajew am Sonntagabend von seiner Partei im Eispalast in Astana empfangen. Kurz zuvor wurde das vorläufige Wahlergebnis bekannt gegeben: 81 Prozent für »Nur Otan«, zu deutsch: »Strahlendes Vaterland«. Doch Zeit, den Wahlerfolg zu genießen, gab Nasarbajew seinen Anhängern nicht: »Im neuen Parlament werden drei Parteien sitzen«, sagte er im mahnenden Tonfall. »Das bedeutet, dass wir noch stärker werden, die Qualität unserer Arbeit steigern müssen.«

 

Tatsächlich mag es für »Nur Otan« ein wenig ungewohnt sein, nicht mehr die alleinige Hausmacht im Parlament zu haben, nachdem bei den letzten Parlamentswahlen 2007 keine andere Partei die 7-Prozent-Hürde nahm. In der Legislaturperiode zuvor hatte die Opposition zumindest noch einen Sitz. Doch in der neuen Konstellation im Parlament, dem »Mazhlis«, sind politische Ringkämpfe auch weiterhin nicht zu erwarten.

 

Die Partei »Ak Zhol«, künftig mit acht Sitzen vertreten, wurde zwar als genuine Oppositionspartei 2002 von Aussteigern aus dem »System Nasarbajew« gegründet. Unter ihrem Langzeitvorsitzenden Alikhan Baimenow – früherer Leiter der Präsidialadministration – hat sie sich jedoch zunehmend zum kleinen Bruder von »Nur Otan« entwickelt, der insbesondere die Interessen der Unternehmen im Blick hat. Während sich die tatsächliche Opposition von »Ak Zhol« löste und sich heute in der Partei »OSDP-Azat« wiederfindet, hat sich die wirtschaftliche Ausrichtung der Partei verstärkt.

 

Baimenow wurde im Herbst 2011 von Azat Peruaschew abgelöst, der eigens für dieses Amt sein Parteibuch an »Nur Otan« zurück gab und seinen Posten als Vorsitzender der Wirtschaftskammer verließ. »›Ak Zhol‹ spielt keine politische Rolle und wird das parlamentarische System nicht verändern. ›Ak Zhol‹, nur ein Schatten von ›Nur Otan‹, sitzt nun vor allem im Parlament, um die Beziehung der Regierung zu kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken. Ein Flirt der Regierung mit der Mittelschicht«, sagt Tolganay Umbetalijewa vom »Zentrum für Demokratieentwicklung« in Almaty.

 

Der Einzug von »Ak Zhol« ins Parlament galt bereits als sicher, denn 2009 wurde ein Gesetz erlassen, demzufolge bei der nächsten Wahl die zweitplatzierte Partei zwei Sitze bekommt, auch wenn sie an der 7 Prozent-Hürde scheitert. Beobachter werteten diesen Erlass als Schmeicheleinheit für die OSZE – schließlich wollte Astana den Vorsitz der Organisation übernehmen. Dies gelang Kasachstan als erste ehemalige Sowjetrepublik 2010 auch.

 

In Kasachstan gibt es keine Zufälle

 

Der Einzug der Kommunistischen Volkspartei Kasachstans (KVPK), die 7,2 Prozent erreichte, kam dagegen einigermaßen überraschend – zumindest wenn man davon ausgeht, dass in einem autoritären System nichts dem Zufall überlassen wird. »Schon im Vorhinein gab es Überlegungen von Experten, dass es auch eine dritte Partei geben könnte. Nasarbajew will sein Image gegenüber dem Westen aufpolieren und daher den Eindruck eines Mehrparteiensystems erwecken«, sagt Viola von Cramon von Bündnis 90/Die Grünen, die als Wahlbeobachterin der OSZE-Mission in Almaty war.

 

Nasarbajew stünde vor dem Problem, der Welt einerseits ein Ideal von Politik zeigen zu wollen, in dem es keine Konfrontationen gebe, meint Umbetalijewa: »Andererseits betrachtet er die Opposition aber nicht als politischen Gegner, sondern als Feind.« Weil sie sein System nicht unterstütze, unterstelle er der Opposition grundsätzlich, der Gesellschaft nur schaden zu wollen. Umbetalijewa glaubt, dass der Einzug der KVPK eine Entscheidung in letzter Minute gewesen sei: »Es war klar, dass ›Ak Zhol‹ nicht als eigenständige Kraft gesehen würde. Es brauchte deshalb noch eine Partei, die sich ideologisch von ›Nur Otan‹ und ›Ak Zhol‹ unterscheidet, zugleich aber loyal und kontrollierbar ist. Diese Rolle erfüllt die KVPK ganz ausgezeichnet.«

 

Der Politologe Talgat Ismagambetow erklärt dagegen gegenüber dem »Institute for War and Peace Reporting«, dass den Kommunisten eine sehr gute Wahlkampagne gelungen sei. »Der Parteivorsitzende Wladislaw Kosarew hat in seinen TV-Auftritten eine passable Performance abgegeben.

 

Mit der Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, erging es den KVPK besser als anderen Alternativen zur Präsidentenpartei, die die Medien im Vorfeld zum Urnengang dominiert hatte, wie die OSZE kritisierte. Ohnehin war der Wahlkampf sehr kurz, denn erst Mitte November 2011 bat das Parlament Nasarbajew um Auflösung. Offizielle Begründung aus Astana: Man wolle verhindern, dass der Wahlkampf mit einem erwarteten globalen Wirtschaftsabschwung kollidiere. Der Termin wurde um ein halbes Jahr vorgezogen – aus Sicht der Opposition jedoch nur, um deren Wahlkampfvorbereitungen zu unterlaufen. Andere Beobachter meinen, dass die derzeitigen Minustemperaturen das Risiko von Anti-Nasarbajew-Demonstrationen für das Regime minimieren. 

 

Echter Pluralismus nie geplant

 

Angetreten sind letztlich sieben Parteien, nur eine davon – die »OSDP-Azat« (1,6 Prozent) – steht in wirklicher Opposition zu »Nur Otan«. Andere Kontrahenten wie »ALGA« wurden nicht zugelassen. »Wirklich perfide war jedoch, dass Parteien erst registriert worden sind und wir Beobachter zunächst eine tatsächliche Pluralisierung annahmen«, so von Cramon. »Einige von ihnen wurden dann aber  nachträglich deregistriert«. Die kasachischen Grünen, »Rukhaniat«, waren von diesem Winkelzug ebenfalls betroffen. Die OSZE gibt zudem zu bedenken, dass eine Reihe von Kandidaten aufgrund angeblicher Ungereimtheiten in ihren Steuererklärungen kurz vor den Wahlen aus dem Rennen gezogen worden waren, ohne  überhaupt informiert zu werden. Etwa 200 Mitglieder der Opposition demonstrierten gestern in Almaty gegen die Wahlergebnisse.

 

»Wenn Kasachstan ernsthaft das Ziel verfolgt, die Zahl der Parteien im Parlament zu erhöhen, dann hätte die Regierung mehr als nur eine echte Oppositionspartei zulassen müssen«, so João Soares, Leiter der Mission der Kurzzeitwahlbeobachter. Die OSZE bescheinigt Kasachstan deutliche Verbesserung im technischen Ablauf der Wahlen und lobt einige Gesetzesänderungen. Wie bei jeder Abstimmung in Kasachstan lautet das Urteil der OSZE am Ende jedoch: Die Wahlen verliefen nicht nach demokratischen Prinzipien.

 

Die Wahlbeteiligung wurde im Vorhinein von Beobachtern zum eigentlichen Maßstab erklärt. Gegenüber Al-Jazeera erklärte der russische Kolumnist Pavel Felgenbauer: »Die Zahl der abgegebenen Stimmen ist für die Legitimation des Regimes weit wichtiger als das Wahlergebnis von ›Nur Otan‹.« Aus Astana heißt es, 75 Prozent der Bürger hätten gewählt. Viele halten das für übertrieben und verweisen auf Informationen, denen zufolge die Wahlbeteiligung in den Großstädten Almaty und Astana bei 25 und 21 Prozent lag. In beiden Städten leben zusammen bereits ein Drittel der Bewohner des Steppenreiches.

 

Wahlen im Ausnahmezustand

 

Die Parlamentswahl stand im Schatten der blutigen Eskalation eines Streiks in Zhanaouzen am Kaspischen Meer. Während des 20. Jubiläums des Unabhängigkeitstages vor einem Monat kam es zu Zusammenstößen von streikenden Ölarbeitern und den Sicherheitskräften. Offiziell starben dabei 17 Menschen. Der Ausnahmezustand, den Nasarbajew im Anschluss verhängte, hält bis heute an. Das Verfassungsgericht hatte zunächst entschieden, dass unter diesen Umständen in der Stadt keine Parlamentswahl stattfinden dürfe. Nasarbajew spielte sich anschließend als Retter der Demokratie auf und widersprach dem Gericht – für ihn ein riskanter Schritt, sah man während der Unruhen doch auch Plakate von ›Nur Otan‹ in Flammen aufgehen.

 

»Das Verfassungsgericht konnte das Veto des Präsidenten nicht überwinden«, hieß es in den staatlichen Medien. So liefen die Einwohner auf ihrem Weg zur Urne zwar an jeder Ecke Sicherheitskräften über den Weg, »in den Wahllokalen jedoch war keine Polizei«, hob Margarita Assenowa von der US-Beobachtermission hervor. Spekulationen über erneute Aufstände bewahrheiteten sich nicht. »Knapp 70 Prozent der Menschen in Zhanaouzen haben für ›Nur Otan‹ gestimmt. Sie zeigten damit, dass einfache Menschen und Ölarbeiter für die Ereignisse keine Verantwortung tragen«, verkündete Nasarbajew. Damit knüpfte er an seine These an, dass aus dem Westen finanzierte »Hooligans« die gewaltsamen Zusammenstöße provoziert hätten, nicht aber die kasachischen Ölarbeiter. In Nasarbajews Welt gibt es eben keine Konflikte.

 

Keine Revolution, aber ein radikaler Machtwechsel?

 

In Nasarbajews Welt gilt zudem offenbar die Annahme, das Staatsoberhaupt sei unsterblich. Seit Jahren wird in Kasachstan ungeduldig spekuliert, wer den heute 71-jährigen Präsidenten ablösen wird. Eine angebliche Krebserkrankung hat die Debatte kürzlich noch einmal angeheizt. Es gab Gerüchte, Nasarbajew würde am Wahltag seinen Nachfolger benennen. Als sicherer Kandidat galt sein Schwiegersohn Timur Kulibajew.

 

Nasarbajews Berater Yerkhmurat Yertysbaev hatte im April 2011 in einem Interview beschrieben, wie Kulibajews Weg an die Staatsspitze verlaufen soll: Über den Vorsitz bei einer Business-Partei, die es bei den nächsten Wahlen ins Parlament schaffen würde. Diese Partei sitzt nun im »Mazhlis«, Kulibajew jedoch wurde nach den Ereignissen in Zhanaouzen von seinem Schwiegervater überraschend aus dem Verkehr gezogen.

 

In der Nachfolgefrage steht man nun wieder bei null. »Kasachstan ist auf einen Mann zugeschnitten. Wer nach Nasarbajew übernehmen wird, interessiert in Kasachstan sicher mehr als das Ergebnis der Parlamentswahlen«, sagt Zentralasien-Expertin Beate Eschment gegenüber dem Standard.

 

Umbetalijewa glaubt jedoch, dass die Nachfolgefrage immer weniger relevant sein wird: »Jeden Tag wächst die Enttäuschung in der Bevölkerung über den Präsidenten und seine Politik. Immer weniger Kasachen glauben, dass sich unser Land unter diesen Bedingungen entwickeln kann.« Der Verlauf der Parlamentswahl habe gezeigt, dass die Stimmung in der Bevölkerung weitgehend ignoriert werde. »Damit hat diese Wahl neue Mechanismen und Szenarien für die Zukunft Kasachstans zu Tage gefördert. Ich glaube nicht an eine Revolution, aber an einen Machtwechsel mit radikaleren Zügen, in dem die gesamte politische Elite zusammen mit Nasarbajew gehen muss.«

Von: 
Ivonne Bollow

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