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Vor der Stichwahl in Mali

Entscheidung im zweiten Wahlgang

Analyse

Die ehemaligen Weggefährten Ibrahim Boubacar Keita und Soumaila Cissé stehen sich in der Stichwahl um die malische Präsidentschaft gegenüber. Beide Kandidaten sind gut beraten, die Fehler des letzten Amtsinhabers zu vermeiden.

Am Sonntag, dem 28. Juli waren knapp sieben Millionen Malier aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Damit soll eine wichtige Etappe zur Rückkehr zur Demokratie genommen werden, denn Mali wird seit dem Militärputsch vom März 2012 von einer Übergangsregierung geführt. Erleichterung und Euphorie machten sich im Laufe des Sonntags in Bamako breit – eine enorme, nie dagewesene Wahlbeteiligung zeichnete sich schnell ab. Entgegen der Anschlagsdrohung islamistischer Gruppen verlief die Wahl friedlich.

 

Die Wahlbeteiligung, die traditionell mit circa 35 Prozent niedrig ist, lag diesmal im ersten Wahlgang bei 51,54 Prozent. Dies bringt das gestiegene Interesse vieler Malier zum Ausdruck und den Wunsch, sich in den politischen Prozess miteinzubringen. Wählen zu gehen war für viele diesmal oberste »Bürgerpflicht« und so zeigten viele von ihnen in den Wochen vor der Wahl stolz ihre neue biometrische Wahlkarte vor, die erstmals eingeführt wurde. Nach der Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses am 2. August ist klar, dass keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent erhalten hat.

 

Somit kommt es am 11. August zu einer Stichwahl zwischen dem ehemaligen Premierminister Ibrahim Boubacar Keita (kurz IBK), der knapp 40 Prozent der Stimmen erhalten hat, und Soumaila Cissé, ehemaliger Finanzminister und Vorsitzender der Kommission der westafrikanischen Währungsunion UEMOA, der knapp 20 Prozent auf sich vereinigen konnte. Dies ist keineswegs überraschend, galten doch beide als Favoriten.

 

Von politischen Weggefährten zu direkten Konkurrenten

 

Sowohl IBK als auch Cissé sind alte Bekannte in der malischen Politik und verkörpern keinen personellen Neuanfang. Das politische Establishment wird auch diese Wahl wieder unter sich ausmachen. Dabei stehen sich zwei politische Weggefährten gegenüber. Beide waren Gründungsmitglieder der aus dem Sturz der Diktatur hervorgegangen Partei ADEMA und hatten hochrangige Funktionen inne. Beide verließen die ADEMA, um im Jahr 2002 bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Damals lagen IBK und Cissé im ersten Wahlgang fast gleichauf, wobei Cissé in der anschließenden Stichwahl gegen den ehemaligen General und Anführer des demokratischen Umsturzes Amadou Toumani Touré (kurz ATT), der bis zu seinem erzwungenen Sturz durch die Putschisten 2012 malischer Präsident war, verlor.

 

2007 versucht IBK es erneut, Cissé hingegen konnte zu diesem Zeitpunkt nicht antreten, da er Vorsitzender der Kommission der westafrikanischen Währungsunion geworden war. 2007 konnte sich der amtierende Präsident ATT deutlich im ersten Wahlgang mit über 70 Prozent der Stimmen durchsetzen, IBK wurde mit 19,1 Prozent Zweiter. Bereits für die ursprünglich für das Frühjahr 2012 angesetzten Wahlen galt IBK als Favorit. Aufgrund seines konsequenten Auftretens während seiner Zeit als Premierminister genießt er ein hohes Ansehen in der Bevölkerung.

 

Zusätzliche Unterstützung erhält er von Seiten der Polizei, des Militärs sowie von wichtigen Teilen der organsierten Muslime. Cissés Vorteil liegt in der landesweiten Verankerung seiner Partei URD, die die zweitstärkste Fraktion im Parlament stellt. Die Zeit bis zum 11. August wird nun von Versuchen geprägt sein, die eigene Allianz zu erweitern. Cissé kann sich der Unterstützung des Anti-Putsch-Lagers sicher sein. Bereits im Vorfeld der Wahlen wurde die Vereinbarung getroffen, dass jede Partei mit einem eigenen Kandidaten antritt, in einem möglichen zweiten Wahlgang jedoch den Kandidaten der Allianz unterstützt.

 

Schaut man sich die Ergebnisse der einzelnen Kandidaten im ersten Durchgang an, fällt auf, dass das Anti-Putsch-Lager mit seinen Kandidaten zusammen genommen recht nahe an IBK herankommt. Für IBK wird es folglich in den nächsten Tagen darauf ankommen, weitere Unterstützer für seine Allianz zu gewinnen.

 

Ein letztes Kräftemessen zwischen dem Pro- und Anti-Putsch-Lager?

 

Auch wenn IBK sich nicht eindeutig einem der politischen Lager, die sich nach dem Putsch 2012 gebildet haben, zuordnen lässt, so ist er doch in den letzten 17 Monaten immer weiter in Richtung des Pro-Putsch-Lagers COPAM gerückt. Cissé hingegen ist mit seiner Partei fest im Anti-Putsch-Lager verankert. In den letzten Monaten war es recht still um die beiden Lager geworden, nachdem zuvor anhaltende Streitigkeiten zu einer monatelangen Blockade des politischen Systems geführt hatten. Mit dem Aufeinandertreffen von IBK und Cissé könnte es nun – vielleicht zum letzten Mal – zu einem offenen Kräftemessen zwischen diesen Lagern kommen. »Jetzt wird alles besser«, hört man in diesen Tagen häufiger in Bamako.

 

Die Erwartungen in der Bevölkerung sind riesig. Zunächst wird die dringlichste Aufgabe des neuen Präsidenten die Verhandlung eines endgültigen Friedensabkommens für den Norden sein. Ein vorläufiges Abkommen vom Juni sieht vor, dass spätestens 60 Tage nach der Bildung der neuen Regierung die Verhandlungen wieder aufgenommen werden müssen. Doch die Herausforderungen in Mali beschränken sich beileibe nicht auf die ungeklärte Lage im Norden beziehungsweise die Sicherheitslage. Entscheidend für eine diesmal nachhaltigere Verankerung der Demokratie wird vor allem die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme sein: So muss der demographischen Entwicklung Malis Rechnung getragen werden – die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahren, drei Viertel unter 35 Jahren alt.

 

Viele dieser jungen Menschen haben kaum berufliche Perspektiven, die Jugendarbeitslosigkeit auch unter den Hochschulabsolventen ist sehr hoch. Eine Reform des Bildungssektors und die Schaffung wirtschaftlicher Perspektiven sind dringend erforderlich, um dieses weiterhin hohe soziale Spannungspotential abzubauen und mehr soziale Gerechtigkeit zu erzeugen. Für die Bewältigung dieser diversen Herausforderungen wird der neue malische Präsident eine breite Koalition bilden müssen.

 

Dies stellt ihn vor die Herausforderung, nicht den Fehler des gestürzten Präsidenten ATT zu wiederholen, ein konsensuales System der Kooption zu etablieren, das so gut wie keine Opposition zulässt. Mali wird neben einer starken Regierung, die viele Akteure einbindet, auch eine starke Opposition benötigen, um der Kontrolle der Regierung nachzukommen und damit die demokratischen Mechanismen besser zu verankern.


Annette Lohmann,

leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.

Von: 
Annette Lohmann

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