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UN-Abstimmung über Palästina

Wir fordern die Anerkennung

Kommentar

Deutschland hat die Chance und die Verantwortung, bei der UN-Abstimmung über einen unabhängigen Staat Palästina im Herbst mit Ja zu stimmen, meint Botschafter a.D. Gerhard Fulda.

Der kürzliche Besuch von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Washington hat auch in Deutschland kritische Beobachter aufgerüttelt, weil er die Aussichtslosigkeit der bisherigen Friedensbemühungen für den Nahen Osten deutlich gemacht hat. Deshalb haben jetzt 32 ehemalige deutsche Diplomaten einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin und an den Bundesminister des Auswärtigen geschrieben. Sie fordern eine Ja-Stimme Deutschlands bei der im Herbst bevorstehenden Entscheidung der Vereinten Nationen über die Aufnahme eines Staates Palästina. Der Text wird hier dokumentiert.

 

Frau Merkel hatte beim letzten Besuch Premierminister Netanjahus in Berlin erklärt: »Deutschland wird keiner einseitigen Anerkennung eines Palästinensischen Staates zustimmen.« Diese Position wurde bis heute weder begründet noch öffentlich diskutiert. Die früheren Botschafter und Generalkonsuln glauben, angesichts der verhärteten Position Israels ist dieser Schritt zur Zeit das einzige Mittel, wieder Bewegung in die Diskussion zu bringen.

 

Jetzt schlägt die Stunde der Europäer

 

Für die neuerliche Initiative gibt es gute Gründe. Erst wenn die israelischen Wähler erkennen, dass die Welt die unnachgiebige Haltung der Regierung Netanjahu nicht mehr hinnimmt, besteht die Aussicht auf einen Neubeginn. Zu lange haben die westlichen Länder in diplomatischen Formeln nur gemahnt, während Israel einseitig gehandelt hat. In den USA blockieren sich der Kongress und der Präsident gegenseitig. Deshalb ist dies die Stunde der Europäer.

 

Israel will nicht über Fragen verhandeln, die die Palästinenser als essentiell ansehen. Diese aber fordern zu Recht, dass alle strittigen Themen behandelt werden müssten. Letztlich war es das Ausklammern zentraler Streitpunkte, was den Osloer Vereinbarungen aus den 1990er Jahren die Nachhaltigkeit versagte. Mit jedem weiteren Siedlungsbau demonstriert Israel seine wirkliche Absicht, seriöse Verhandlungen verhindern zu wollen.

 

Es hilft inzwischen nicht mehr, jeweils beide Seiten zu Verhandlungen aufzurufen. Wenn die Regierung Netanjahu nicht bemerken will, dass selbst ihre besten Freunde die Geduld verlieren, dann muss jetzt ein unübersehbares Zeichen gesetzt werden.

 

Enthaltung ist keine Option

 

Die gemeinsame Anerkennung eines sich als unabhängig erklärenden Staates Palästina durch alle Mitglieder der Europäischen Union ist das beste gegenwärtig zur Verfügung stehende Mittel, eine solche Signalwirkung zu entfalten. Wer ernsthaft Verhandlungen will, muss deshalb in New York Ja  sagen. Eine Enthaltung wäre kein Ausweg: im Ergebnis wirkte sie wie ein Nein – zudem muss Deutschland als potentielles ständiges Mitglied des Sicherheitsrats darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, unsere Haltung sei, wenn es kritisch wird, die Enthaltung.

 

Niemand wird erwarten, dass sich Israel nach einer Aufnahme Palästinas in die UN sich militärisch ohne weiteres aus dem neuen Staat zurückziehen wird. Natürlich geht das nur mit Verhandlungen. Als Mitglied des Quartetts ist Deutschland ganz nahe an einem aktiven Friedensprozess beteiligt. Im Rahmen dieser Gespräche können wir all unseren Verpflichtungen gerecht werden, die sich berechtigterweise aus unserer unbestreitbaren historischen Verantwortung für die Existenz und Sicherheit Israels ergeben. Aus dieser Verantwortung lässt sich aber keine Verpflichtung herleiten, eine Regierung Israels bei der Annexion palästinensischer Gebiete zu unterstützen.

 

Der öffentliche Protest ehemaliger Diplomaten und Politiker gegen die Hinnahme einer solchen Politik ist in den letzten anderthalb Jahren immer deutlicher geworden. Zuerst hatten 24 ehemalige deutsche Diplomaten die Forderung unterzeichnet, notfalls auch Druck auf Israel auszuüben. Dann haben 24 »Elder Statesmen«, unter ihnen Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt, ausführlich für jede einzelne von Israel unbeachtet gelassene Forderung der EU konkrete Sanktionen vorgeschlagen. Anfang Juni 2011 haben dann wiederum 24 noch politisch aktive ehemalige europäische Außenminister und Regierungschefs ganz konkret gefordert, erstens die Hamas an Verhandlungen zu beteiligen und zweitens die Anerkennung Israels nicht als Vorleistung für den Beginn von Verhandlungen zu verlangen, sondern als deren Ziel.

 

All diese Aufrufe sind in der deutschen Öffentlichkeit fast untergegangen. Die Unterzeichner wollen dazu beitragen, dass auch in sensiblen Fragen künftig einer demokratischen Tradition entsprechend, verantwortungsvoll und öffentlich diskutiert wird.

 

Der Autor dieses Textes ist einer der Unterzeichner und Mitverfasser des offenen Briefes. Dennoch ist dies allein seine persönliche Meinungsäußerung.

Von: 
Gerhard Fulda

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