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Superbowl in Kuwait

Schnürsenkel aus!

Feature

Burger, Dattelrum und ein Laptop für die Halbzeitshow: zenith-Autor Geoff Martin aus Kanada erlebte auf die kuwaitische Art, warum der Super Bowl ein globales Kulturereignis ist.

»Die Lichter gehen aus und der Underdog aus Baltimore als Sieger vom Platz.« Derlei schlagzeilenträchtige Kommentare zum Verlauf der Begegnung zwischen den Baltimore Ravens und den San Francisco 49ers würde man wohl kaum aus dem Munde eines Kuwaitis erwarten, der in Dischdascha und Sandalen gekleidet an der Corniche des Vorortes Salmiya in der Hauptstadt des Golf-Emirats flaniert. Zugegeben, American Football ist außerhalb Nordamerikas kein besonders populärer Sport – zumindest im Vergleich zum »richtigen« Fußball, der in allen (anderen) Teilen der Welt – und insbesondere auch im Nahen Osten – mit so viel Leidenschaft betrieben und geschaut wird.

 

Die Fans der frisch im Herbst 2012 gestarteten südasiatischen »Elite Football League of India« (EFLI) mögen protestieren, aber im Großen und Ganzen ist und bleibt American Football ein Sport der »Neuen Welt«. Aber nur weil man dem Sport nicht an jeder Ecke begegnet, heißt das nicht, dass es ihn hier nicht gibt. In Kuwait etwa bieten die unterschiedlichen Expat-Gemeinschaften allein schon perfekte Voraussetzungen für kulturelle Begegnungen der sportlichen Art – so wie jenes Ereignis, das den Ölarbeiter aus Texas, den Geschäftsmann aus Kerala, den Lehrer aus Cardiff gleichermaßen fasziniert und das sie mit ihren kuwaitischen Bekannten teilen. Insofern verfolgten auch meine kuwaitischen Freunde den diesjährigen Super Bowl XLVII nicht weniger enthusiastisch als die amerikanische TV-Nation in Kalifornien, Michigan oder North Dakota.

 

Nächtliche Schlemmerei wie beim Fastenbrechen

 

Na gut, ja, es gibt dann doch ein paar Unterschiede. Der Zeitunterschied von acht Stunden etwa macht das Ganze noch mehr zur Nachtveranstaltung als bereits in Deutschland. Für meine kuwaitischen Freunde keine große Rhythmusumstellung: Vor drei Uhr morgens gehen sie eigentlich nie ins Bett – Vorbereitung für den Ramadan, wie sie mir schmunzelnd versichern. Abgesehen vom wohl gleichen Nährwert (keiner) haben Super Bowl und Fastenbrechen aber in kulinarischer Hinsicht nur wenig gemein.

 

Dank Drive-In und Take-Out steht am »Super Bowl Sunday« in Kuwait-Stadt eine beachtliche Auswahl vor allem westlicher Fast-Food-Ketten zur Verfügung: von Cinnabon über Kentucky Fried Chicken, Subway bis hin zu Burger King. Nicht gerade das Beste, was Amerika zu bieten hat, aber zumindest kommt man (in der Regel) mit weniger Herzrasen und Bauchschmerzen davon als beim »Drei-Alarm-Chili«, das bei traditionellen Super-Bowl-Parties in den USA oft angerührt wird. Runtergespült wird meist mit nicht-alkoholischen Erfrischungsgetränken – für die Unverbesserlichen haben die »Rum-Renner« aus der Nachbarschaft aber auch selbst gebrannten Dattelrum parat.

 

Natürlich ist es nicht dasselbe Gefühl wie bei einer Super-Bowl-Party in Nordamerika, aber die Atmosphäre stimmt trotzdem. Ähnlich verhält es sich mit den Kommentaren zum Spiel selbst. Zunächst die Äußerlichkeiten: Wer welches Team mag, welche Trikots besser passen, die Geschichte mit den beiden Brüdern, die sich als Trainer im Finale gegenüber stehen. Die für Außenstehende oftmals kompliziert anmutenden Regeln dagegen stellen kein Problem für meine Mitgucker dar: Wer jemals Cricket gespielt hat, sagen sie, für den ist American Football ein Kinderspiel.

 

Die Zensur des kuwaitischen Fernsehens wird mühelos umschifft

 

Der wohl größte Unterschied betrifft die vom amerikanischen Fernsehvolk wohl am meisten herbeigesehnte Freizeitbeschäftigung während des Super Bowls – die eigens für das Event produzierten Werbespots. Diese werden in Kuwait allerdings meistens zensiert, ebenso wie die Halbzeitshow. Ein Problem? Kein Problem! Prompt greifen meine Freunde zum Laptop mit dem größten Bildschirm und im Handumdrehen wackelt Beyoncé Knowles via Stream auch in Kuwait-Stadt mit den Hüften, per Torrent-Download steht das Halbzeitspektakel auch in kürzester Zeit zur Wiederholung bereit.

 

Warum ist der Super Bowl hier nur so ein seltsam etabliertes Ereignis, mag sich der Außenstehende verwundert fragen. Zunächst kennen viele Kuwaitis durch Bildungsaustausch und Urlaubsreisen Nordamerika ziemlich gut und sind sich der kulturellen Besessenheit der Amerikaner (und Kanadier) mit Football wohl bewusst. Ein kuwaitischer Freund, der für ein Austauschsemester an die University of Lethbridge, Alberta, kam, konnte binnen kürzester Zeit über die taktischen Finessen des Footballs gelehrt referieren (wobei es bei unserem »Canadian Football« einen größeren Ball, ein kleineres Spielfeld und ein Down weniger gibt, aber das ist ein anderes Thema).

 

Ein anderer Grund, der Kuwait zur Fan-Oase für American Football am Golf macht, ist die eigene Nationalmannschaft, die zwar noch nicht den Sprung zu den (vom sportlichen Wert überschaubaren) »Weltmeisterschaften« geschafft hat, aber immerhin als erste und bisher einzige Mannschaft aus der Region in die »International Federation of American Football« (IFAF) aufgenommen wurde. Der andere große »amerikanische« Sport, Baseball, hingegen zieht im Vergleich zum American Football eindeutig den Kürzeren – für meine kuwaitischen Freunde ist er einfach zu quälend langsam. Für die »World Series« im Oktober werde ich sie wohl kaum begeistern können. Vielleicht ja für den »Stanley Cup«? Immerhin hat Kuwait auch eine Eishockey-Nationalmannschaft.

Von: 
Geoff Martin

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