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Strom und Wasser in Jordanien

»Jordanien muss auf höherwertige Industrie setzen«

Interview

Der frühere jordanische Handelsminister und Vizepremier Jawad Anani über Wasserknappheit und Stromausfälle, erfolgreiche Privatisierungen und ausgediente Freihandelszonen.

zenith: Sie sind seit Jahrzehnten in der jordanischen Wirtschaftspolitik aktiv und haben auch die Energieversorgung mitgeprägt, die an chronischem Ressourcenmangel leidet. Was kann unternommen werden, um die Energieversorgung in Jordanien zu verbessern?

Jawad Anani: Die Solarenergie ist stark ausbaufähig. Jordanien plant, bis 2020 17 Prozent des Stroms aus Solarzellen zu gewinnen. Viele Leute schätzen das Potential viel höher, und das derzeitige Ziel für 2020 als zu bescheiden ein. Ein Expertenteam, zum Beispiel aus Deutschland, könnte unser Potential unabhängig einschätzen. Denn es existiert ein Interessenkonflikt zwischen den verschiedenen Akteuren: Die Solarenergie-Befürworter versuchen, sich durchzusetzen, doch die Energieunternehmen wollen nicht zu viele Nutzer und Produzenten von Solarstrom, weil sie dadurch ihre besten Kunden verlieren werden. Deshalb haben sie das Stromnetz auf traditionelle Stromquellen ausgerichtet, beispielsweise auf Gaskraftwerke. Doch auf die Instabilität von Solar- und Windenergie ist das Netz nicht eingerichtet, deshalb muss zuerst ein paralleles, »grünes« Stromnetz eingerichtet werden, die Infrastruktur ist also kostenintensiv. Wir wollen uns so stark wie möglich auf saubere Energie einstellen.

 

Das wäre natürlich zunächst nur eine Ergänzung zu konventionellen Energiequellen.

Jordanien verfügt über große Ölschiefervorkommen, um die 50 Milliarden Tonnen. Wir experimentieren in diesem Zusammenhang mit drei Technologien: Erstens, die Direct-Burning-Technologie, wie sie in Estland verwendet wird; zweitens die Ground-Melting-Technologie, mit der Shell experimentiert, und drittens Destillation. Es gibt Pläne, ein Direct-Burning-Kraftwerk mit einer Kapazität von 450 Megawatt zu bauen. Gleichzeitig erkunden wir mögliche Gasvorkommen. Unglücklicherweise hat BP, das eine Explorationskonzession für Erdgas in Jordanien hatte, seine Aktivitäten hier eingestellt und nach Aserbaidschan verlegt. Stattdessen hat eine jordanische Energiefirma nun die Rechte erhalten. Zusätzlich ist ein langer Prozess im Gang, durch den wir zum Kernenergieproduzenten werden könnten – vielleicht ab 2020.

 


Jawad Anani

ist Mitglied des jordanischen Senats. Er war u.a. Außen- und Handelsminister, Vizepremier, Chef des jordanischen Königlichen Hofs, koordinierte den jordanisch-israelischen Friedensprozess und war in Privatisierungsmaßnahmen und bei der Einrichtung von Freihandelszonen federführend.


 

Das bedeutet, das Jordanien kurzfristig weiter von Energieimporten abhängen wird, hauptsächlich Erdgas.

Wir müssen Erdgas einkaufen, und momentan ist israelisches Gas am billigsten – die Transportkosten sind minimal, und die Israelis waren sehr daran interessiert, mit uns ins Geschäft zu kommen. Bedauerlicherweise kommt es von Zeit zu Zeit zu Zwischenfällen – am 10. März hat ein idiotischer, schießwütiger israelischer Grenzsoldat einen jordanischen Richter erschossen. Zumindest kurzfristig kann so etwas unsere Projekte abwürgen.

 

Wie bewerten Sie die in diesem Zusammenhang erhobene Forderung aus dem jordanischen Parlament, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen?

Wir müssen dieser Situation mit großer Vorsicht begegnen – und das macht Jordanien schon seit 50 oder 60 Jahren so. Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Regierung in der Stimmung ist, den Friedensvertrag aufzuheben.

 

Im Dezember 2013 haben sich Jordanien und Israel auf den Totes-Meer-Kanal geeinigt, durch den Meerwasserentsalzung, Energiegewinnung und die Rettung des Toten Meeres vor dem Austrocknen kombiniert werden sollen. Wird das Megaprojekt Jordaniens Wasser- und Stromprobleme lösen?

Was im Dezember beschlossen wurde, ist nicht das anfängliche Megaprojekt. Die Verwirklichung hat sich zu lange hingezogen, das Projekt wurde deshalb aufgegeben. Die Wasserkraft, die durch den Höhenunterschied von 400 Metern zwischen Rotem und Totem Meer produziert werden sollte, ist im aktuellen Deal nicht mehr enthalten. Das bedeutet, dass die zukünftige Entsalzung Energie verbrauchen wird. Letztlich wird nur das Wasserprojekt umgesetzt werden. 130 bis 140 Millionen Kubikmeter Meerwasser aus dem Roten Meer werden in Zukunft jährlich im Jordantal entsalzt. Ein Teil des Süßwassers wird dann an Israel verkauft. Die Israelis werden von uns im Süden Wasser erhalten uns dafür im Norden Wasser aus dem See Genezareth zurückgeben. Es ist ein Tauschgeschäft, das sowohl ihnen als auch uns den Transport zwischen Norden und Süden erspart. Zusätzliche 20 Millionen Kubikmeter werden in die Palästinensergebiete transportiert. Der Rest, etwa 100 Millionen Kubikmeter, verbleiben in Jordanien. Das Projekt wird etwa 1,2 Milliarden Dollar kosten. Die bei der Entsalzung zurückbleibende Sole wird ins Tote Meer geleitet. Studien zufolge kann das Tote Meer bis zu 400 Millionen Kubikmeter Sole aufnehmen, ohne seine momentane Beschaffenheit zu schädigen. Das Projekt sieht auch keinen Kanal mehr vor, sondern eine Pipeline. Für zukünftige Erweiterungen können einfach zusätzliche Pipelines parallel zur ersten gebaut werden.

 

Sie begleiten seit den 1970er Jahren die Privatisierung der jordanischen Wirtschaft. Wie bewerten Sie diesen Prozess im Rückblick?

Die Privatisierung als Idee kam 1987 auf, doch wir haben sie bereits Mitte der 1970er bei den Telekommunikationsfirmen angewandt. Insgesamt gab es erfolgreiche und weniger erfolgreiche Projekte. Die Privatisierung war weder als Desinvestition, also Veräußerung von Vermögensgütern ins Ausland, noch als Ausverkauf an den Privatsektor angelegt. Stattdessen haben wir eine Neubewertung der Arbeitsteilung in der Ökonomie zwischen Regierung und Privatsektor unternommen. Nach dem Ölboom 1973 erhielt Jordanien so viel Unterstützung, dass die Regierung zu expandieren und viele Wirtschaftssektoren zu kontrollieren begann. Es wurden Hotels, Produktionsanlagen und so weiter gebaut. Irgendwann mussten wir uns fragen, wie sehr die Regierung den Privatsektor vom Markt verdrängen darf. Wir haben sehr sorgfältig geplant und zuerst die Hauptbereiche festgelegt, die privatisiert werden sollten. Einer davon war Royal Jordanian, die staatliche jordanische Fluggesellschaft, die ein Verlustgeschäft war.

 

Wie gingen Sie bei der Privatisierung vor?

Zunächst fanden wir heraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für Privatisierungen gar nicht existierten. Ein Gesetz musste erlassen werden, um es dem Staat zu erlauben, Vermögenswerte an private Firmen zu verkaufen. Wir haben Royal Jordanian selbst nie verkauft, dafür aber einzelne Sparten, zum Beispiel Hotels und die Rechte, Duty-Free-Bereiche zu betreiben. Wir beschlossen, die Regierung als Partner im Unternehmen zu belassen, zumindest für einige Zeit. Wir setzten das Unternehmen unter Druck, sich zu restrukturieren und sich zu begrenzen. Und plötzlich wurde es profitabel, ob Sie es glauben oder nicht. Jetzt ist Royal Jordanian zurück im Geschäft. Einige Staatsunternehmen wurden kommerzialisiert, so dass Vermögen, Verbindlichkeiten, Profite und Verluste am Jahresende klar wurden. Wir haben furchtbare Zustände vorgefunden. Neben Royal Jordanian fuhren ein staatliches Kommunikationsunternehmen und Ammans öffentlicher Personennahverkehr große Verluste ein. Sie waren hoch subventioniert, der Großteil der Ausgaben wurde durch Regierungstransfers gedeckt.

 

»Wenn die ägyptischen Pipelines auf dem Sinai nicht attackiert worden wären, hätten wir dieses Problem nicht«

 

Welchen Weg schlug dann Abdallah II. ein, der seinem Vater Hussein 1999 auf den Thron folgte?

Als Abdallah II. an die Macht kam, verließ ich die Regierung. Er war sehr stark auf den Immobiliensektor fokussiert – den Libanesen, etwa der Hariri-Familie, wurde erstklassiges Land überlassen, doch letztendlich brachten sie kaum Geld mit. Sie verbesserten die Infrastruktur und verkauften das Land an reiche Geschäftsleute aus Kuwait oder vom Golf, oder wollten Hochhäuser in Amman bauen. Jetzt stehen wir da und wissen nicht, wie wir mit den Infrastrukturanforderungen für diese Projekte umgehen sollen. Es wurden einige Fehler gemacht. Viele Leute begannen auch, misstrauisch zu werden, unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen. Wer beaufsichtigte die Unternehmen, die Kaliwerke beispielsweise? Ich persönlich hätte sie nicht verkauft. Sie waren nicht als öffentliche Unternehmen gegründet worden, sondern als inter-arabische Kooperation, die den arabischen Regierungen gehörte. Woher kamen also diese Privatisierungsvorhaben und Pläne, die Regierungsanteile zu verkaufen? Ganz ähnlich wurden Regierungsanteile in der Ölindustrie verkauft, aber die Regierung hätte mindestens 25 Prozent halten sollen.

 

Einige der privatisierten Unternehmen, etwa die Stromproduzenten, sind heute immer noch nicht profitabel.

Das einzige Energieunternehmen, das privatisiert wurde, war der Stromnetzbetreiber im Umland von Irbid und Amman. Der Rest der jordanischen Stromproduzenten war in öffentlicher Hand, da der Privatsektor nicht in Gegenden mit geringem Stromverbrauch investieren würde. Der Netzbetreiber wurde also privatisiert und ein Minimalprofit garantiert. Seit die Erdgaslieferungen aus Ägypten unterbrochen sind, müssen die Energieproduzenten allerdings Diesel verwenden. Die Kalkulationen basierten jedoch auf Gas, weshalb die Unternehmen Geld verlieren. Jeden Tag fahren sie ein Minus von 5 Millionen Dollar ein, der Gesamtverlust bis 2017 wird auf 8 Milliarden Dollar geschätzt, selbst bei den derzeit steigenden Strompreisen. Das war Pech. Wenn die ägyptischen Pipelines auf dem Sinai nicht attackiert worden wären, hätten wir dieses Problem nicht. Außerdem hatte sich die Regierung zurückgelehnt und keine Alternativszenarien durchgespielt. Jetzt werden zwei Gasverladehäfen in Aqaba geöffnet, um Gas vom internationalen Markt kaufen zu können.

 

Hat denn die Einrichtung von Freihandelszonen, den sogenannten »Qualifying Industrial Zones« (QIZ), den jordanischen Export angekurbelt?

Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Israel, als die USA mit uns zufrieden sein konnten, begannen wir QIZs einzurichten. Die ursprüngliche Idee hatte Industrieareale an der Grenze zwischen der Westbank und Israel vorgesehen. Palästinensische Arbeiter hätten so in den Fabriken arbeiten können, ohne nach Israel zu kommen. Die Waren aus diesen Industriezonen wären zollfrei auf den amerikanischen Markt gekommen. Doch zwischen den Israelis und Palästinensern hat es nie funktioniert. Die Israelis waren aber weiterhin daran interessiert, Teile ihrer Textilindustrie zu verschieben, da diese seit langem auf die geringen Arbeitskosten in Galiläa, dem Norden Israels, angewiesen war, wo viele arabische Israelis leben. Als diese Arbeiter teurer wurden, verloren sie ihren Preisvorteil, weshalb Israel als günstige und naheliegende Alternative Jordanien in Betracht zog – und wir starteten die Industriezone in Irbid. Die Israelis haben sie später als Abstellgleis für defizitäre Industriezweige aufgefasst, weshalb wir dieses Projekt aufgaben und neu verhandelt haben. Doch die QIZs sind inzwischen bedeutungslos geworden, da wir ein Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnet haben. Davon profitieren wir sehr stark, unser Export in die USA hat sich verzehnfacht.

 

»Wir sollten uns aus der traditionellen Bekleidungsindustrie zurückziehen«

 

Interessanterweise haben diese Wachstumsraten sich kaum auf den jordanischen Arbeitsmarkt ausgewirkt. Besonders in den QIZs stagniert die Zahl der beschäftigten Jordanier, obwohl Wirtschaft und Beschäftigung dort boomen. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Ich war damals nicht Teil der Regierung und bin mit den getroffenen Maßnahmen nicht einverstanden. Viele Unternehmen waren der Meinung, dass Jordaniens Freihandelskapazitäten mit den USA noch nicht ausgeschöpft waren. Deshalb gestattete die Regierung internationalen Unternehmen, ihre Fabriken aus Pakistan, China oder anderswo nach Jordanien zu verpflanzen, damit sie von unseren Freihandelsmöglichkeiten profitieren können. Natürlich lief es darauf hinaus, dass wir den Unternehmen die Fabrikhallen vermieten und ihnen Strom in Rechnung stellen – doch sie stellten unsere Arbeitskräfte nicht ein, da sie ihre eigenen, günstigeren Arbeiter einfach aus ihren eigenen Ländern mitbrachten.

 

Was kann vor diesem Hintergrund unternommen werden, um den jordanischen Arbeitsmarkt zu entspannen?

Die Situation ist nicht so schlimm wie bisher, aber insgesamt glaube ich, dass wir uns aus der traditionellen Bekleidungsindustrie zurückziehen sollten. Das ist eine nomadisierende Industrie, die dem Billiglohn überall hinterherzieht. Wir werden sehr bald nicht mehr in der Lage sein, mit afrikanischen Ländern zu konkurrieren, dem nächsten großen Markt für billige Arbeit. Schon jetzt müssen wir mit Bangladesch konkurrieren. Stattdessen müssen wir auf höherwertige Industrie setzen.

 

Würden Sie, wenn Sie gefragt werden würden, diese Prioritäten als Premierminister setzen?

Ich würde diese Position gerne übernehmen. Als ich Chef des Königlichen Hofs wurde, bot man mir den Posten an, doch ich lehnte ab, weil ich die Zeit nicht für die beste hielt, um Premierminister zu sein. Aber inzwischen sieht das anders aus, auch weil unsere Grundprobleme ökonomischer Art sind, und ich meine Erfahrung und meine Vision gerne für ein erfolgreiches Jordanien einsetzen würde. Ich befürworte ein neues Paradigma: Nicht mehr von Beschränkungen aus denken, sondern vielmehr fragen, wie wir diese Beschränkungen loswerden können.

 

Als Premier müssten sie auch eine Position zum Syrienkrieg vertreten, wie sieht diese denn zurzeit aus?

Wir sind gegen das syrische Regime und das Blutvergießen. Wir sind der Ansicht, dass das Regime die aktuelle Situation hätte vermeiden können, wenn es stärker mit seinem Volk fühlen würde, und das sagen wir auch so. Andererseits wollen wir uns auch nicht gegen Syrien aussprechen oder die Einheit des Volkes oder Territoriums noch weiter gefährden. Das führt uns dazu, dem syrischen Regime kritisch gegenüberzustehen, ohne jedoch direkte Schritte zu unternehmen, uns Syrien zum Feind zu machen. Trotzdem wird dann und wann von syrischer Seite der Vorwurf laut, dass wir Waffen und Hilfe für die Rebellen schmuggeln, oder dass jordanisches Territorium dafür genutzt wird. Wir können dem Regime im Gegenzug vorwerfen, dass Teile seiner Spionage- und Geheimdienste als Flüchtlinge nach Jordanien kommen. Es ist eine knifflige Situation. Da wir nicht wissen können, was in Syrien passieren wird, müssen wir damit rechnen, das Regime noch eine lange Zeit am Hals zu haben. Wir halten uns also besser alle Optionen offen.

Von: 
Vinzenz Hokema

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