Hat der Nahe Osten eine »Revolution der Jugend« erlebt? Wir fragten Senioren aus unterschiedlichen Ländern der Region, wie sie die Ereignisse der letzten eineinhalb Jahre sehen und welchen Rat sie den jungen Menschen geben würden.
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Ich denke, dass es wundervoll begonnen hat. Es war friedlich, und die Jugend auf dem Tahrir-Platz wollte eigentlich nur Würde, Hoffnung und Gerechtigkeit. Christen und Muslime haben zusammen gebetet, und wir haben gehofft, dass es keine Probleme mehr zwischen den Religionen geben würde. Aber viele versuchen, die Revolution zu untergraben, und wir wissen derzeit nicht, in welche Richtung Ägypten geht.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Ja, ich habe an den Maspero-Protesten in Kairo teilgenommen. Beim ersten Mal ging ich im März 2011 dorthin, nachdem ich gehört hatte, dass Muslime Christen angegriffen hatten. Beim zweiten Mal, am 9. Oktober, war ich danach froh, dass mich Gott an diesem Tag nicht als Märtyrer zu sich genommen hat.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Ich bin sehr glücklich, dass mir der Herr die Möglichkeit gab, Schwester Emmanuelle kennenzulernen, weil sie mich zu meiner Arbeit mit den Zabbalin, den koptischen Müllsammlern, hier in Ezbet El Nakhl inspiriert hat.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Die jungen Demonstranten müssen die Revolution unbedingt fortsetzen. Wir hoffen sehr, dass diese gelingt und ein neues Ägypten entstehen kann. Sie dürfen niemals die Hoffnung und den Glauben verlieren. Sollte dies passieren, ist die Revolution vorbei. Sie sollten weiterhin friedlich demonstrieren und keine Gewalt einsetzen.
Adel Abd El Malek Ghali, 63,
Kairo (Ägypten), Allgemeinarzt
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Das interessiert mich nicht. Wir hatten unsere eigene Revolution, und das hat mir gereicht. Erst hatten wir bis 1963 Unruhen. Und dann noch mal ab 1991, ein ganzes Jahrzehnt lang. Auch jetzt ist es noch nicht ruhig, aber es geht schon. Ich habe die Nase voll von Revolutionen.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Also, als ich jung war, hatte ich andere Sorgen. Und heute interessiert es mich nicht.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Es war nicht ein Moment, sondern der Weg, der wichtig war. Das war damals als Frau gar nicht so einfach, den Weg an der Uni einzuschlagen und am Ende Schulleiterin zu werden. Und natürlich waren die Geburten meiner vier Kinder das Wichtigste für mich.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Ich würde den Jugendlichen heutzutage empfehlen, die Ärmel hochzukrempeln und für ihr Land zu arbeiten, anstatt faul auf der Haut herumzuliegen. Das würde ich empfehlen.
Asya Abdelatif, 74,
Algier (Algerien), Schulleiterin
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Der Begriff »Revolution der Jugend« ist meiner Meinung nach mit Vorsicht zu genießen. Sicherlich waren es die Jugendbewegungen, die im Januar 2011 zu den Protesten aufriefen und diese auch anführten. Ohne die Beteiligung der Masse wären die Demonstrationen jedoch bald vom Regime und den Sicherheitskräften aufgelöst worden. Schaut man sich die Bilder der Demonstrationen an, sieht man Junge, Alte, Analphabeten und Intellektuelle. Die überwältigende Beteiligung der unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Altergruppen war es, die bei den Protesten den Unterschied machte.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Ich bin glücklich, dass ich diesen Tag noch erleben durfte. Mein ganzes Leben träumte ich von diesem Moment – im Januar 2011 bin ich meinem Traum dann in den Straßen von Kairo begegnet. Ich gehöre zu den wenigen noch lebenden Personen, die sich an den Protesten 1968, 1972, 1975 und an den Brotaufständen 1977 beteiligten. Wegen letzterer verbrachte ich ein halbes Jahr im Gefängnis, wegen Aufstachelung der Massen. In der Anklageschrift stand lediglich: Er pflegt Gedichte gegen die Regierung zu schreiben. Fünfeinhalb Jahre meines Lebens war ich im Gefängnis, die meiste Zeit davon nur wegen meiner Tätigkeit als Schriftsteller. Nun habe ich an allen Protesten teilgenommen und war von Anfang an dabei. Als ich Anfang 2011 zu den Protesten ging, erwartete ich nicht, dass etwas Außergewöhnliches passieren würde. Es war ein Traum, die Leute auf dem Tahrir-Platz meine Lieder singen zu hören. Denn ich kämpfte gegen das Regime, ich kämpfte gegen Sadat – ich kämpfte gegen alle Arten von Korruption und Polizeistaaten.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Als Sadat 1978 Kairo verließ, um die Camp-David-Verträge zu unterschreiben, wurden viele politisch aktive Personen präventiv verhaftet. An diesem Tag reiste meine Frau für eine Herzoperation in die USA. Ich konnte sie nicht begleiten, da mir die Ausreise verboten war. Kurz nachdem sie das Land verließ, wurde ich verhaftet. Als ich wegen eines Hungerstreiks von der Zitadelle ins Tora-Gefängnis verlegt wurde, besuchte mich mein Anwalt mit einem Schreiben von dem Krankenhaus, in dem meine Frau operiert wurde. Darin stand: Wohin sollen wir den Körper Ihrer Frau schicken? Es war mein kürzester Gefängnisaufenthalt, nur eineinhalb Monate, aber eine sehr spezielle und harte Zeit. Nicht einmal für die Beerdigung wurde ich aus dem Gefängnis entlassen – ich unterschrieb nur die Papiere.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Ich würde es nicht wagen, irgendjemandem einen Ratschlag zu geben. Was ich gebe, das gebe ich durch meine Poesie und durch meine Lieder. Die jungen Aktivisten profitieren davon. Ich erzähle ihnen von ihrer Geschichte. Denn ohne Geschichte kann kein Plan für die Zukunft entwickelt werden.
Zein Elabdin Fouad, 70,
Kairo (Ägypten), Dichter
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Überall hat sich die Jugend erhoben, weil sie die Nase voll hat von der – ich entschuldige mich für den Ausdruck – Scheiße, die all die alten Männer über Jahre und Jahrzehnte fabriziert haben. In Marokko haben die Kinder normaler Leute keine Chancen auf ein gutes Leben, sie bekommen keine Arbeit und haben keine Perspektive, deswegen gingen und gehen sie auf die Straße. Endlich! Man muss ja nur zum Amt gehen, um zu sehen, wie sie mit armen Menschen umgehen. In diesem Land haben nur diejenigen, die sowieso alles besitzen, Zugang zu mehr Reichtum.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Nein, unsere Generation geht nicht demonstrieren. Ich habe aber für all die jungen Menschen gebetet.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Die Geburt meiner Kinder und dass es ihnen allen gut geht. Das ist für mich das Wichtigste in meinem Leben.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Sie sollen durchhalten, nicht aufgeben. Immerhin haben sie heutzutage die Möglichkeit, zu demonstrieren. In den bleiernen Jahren der Siebziger musste man nur einen Mucks von sich geben, um spurlos zu verschwinden. Jetzt sind sie von der Öffentlichkeit und von Gott geschützt. Auch dieser ganze Blödsinn mit Facebook und E-Mails und so spielt eine Rolle, aber am Ende ist es doch die Courage junger Menschen, die diese Revolutionen ausgelöst hat. Ich bete mit ihnen allen, vor allem in Ägypten, Tunesien, Syrien, im Jemen und in Bahrain habe ich mit ihnen gefiebert und habe manchmal geweint. Wie können diese Hunde mit der Zukunft unserer Völker nur so umgehen?! Ich rate deswegen all den jungen Revolutionären zur Geduld und wünsche ihnen mehr Durchhaltevermögen.
Latifa Elfakir, 58,
Meknes (Marokko), Hausfrau
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Die Menschen in Ägypten litten unter mangelnder Demokratie, Arbeitslosigkeit und der schlechten Gesundheitsversorgung. Wahlen fanden zwar statt, hatten aber stets den Sieg nur einer Partei zur Folge. Und dann machte Mubarak den Fehler, seinen Sohn Gamal als seinen Nachfolger zu nominieren. Eine Republik ist aber nicht vererbbar. Jetzt haben uns die Wahlen den ersten Schritt zur Demokratie gebracht. Die Menschen fühlen, dass sie jetzt Freiheit haben, die Zeitungen und das Fernsehen sind liberalisiert worden. Aber die Menschen auf dem Tahrir-Platz scheinen weder eine Ideologie noch ein Konzept zu haben. Ich bin der Meinung, dass der Militärrat bisher keine großen Fehler gemacht hat, und bin sicher, dass der Übergang zu einem neuen Präsidenten gelingen wird.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Nein, das habe ich nicht. Nur als am 28. Januar 2011 der Karnak-Tempel angegriffen wurde, habe ich mit etwa 50 weiteren Männern hier aus den Dörfern die Polizei unterstützt. Wir haben uns um den Tempel verteilt und sind Streife gegangen, weil wir gehört hatten, dass Übeltäter in den Tempel eindringen wollten, um Artefakte zu stehlen. Es kam zu Schießereien, und schließlich konnten wir vier Männer festnehmen und der Polizei übergeben.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Ich habe immer von einem freien und entwickelten Ägypten geträumt. 1952, als König Farouk vertrieben wurde, war ich neun Jahre alt und in der Schule. Ich kann mich an all die Entwicklungen erinnern, die verschiedenen Revolutionen und Präsidenten. Aber jetzt haben wir zum allerersten Mal viele Parteien. Schon seit 1992 hatte Mubarak nicht mehr wirklich die Zügel in der Hand. Er machte Industrielle zu Ministern, und Industrielle haben kein Herz. Sie haben sich alle nicht mehr um Ägypten gekümmert, sondern nur ihre eigenen Taschen und die ihrer Familien gefüllt.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Nehmt die Dinge mit Ruhe, seid nicht so in Eile, diskutiert alles aus und seid geduldig. Die meisten Ägypter sind nicht auf dem Tahrir- Platz, auch wenn sie mit vielem dort sympathisieren. Aber jetzt muss das Parlament die Sache in die Hand nehmen. Ägypten ist eine großartige Zivilisation, aber es muss von innen her neu aufgebaut werden. Dafür brauchen wir den Rat der Älteren und Alten. In unserem neuen Parlament sind alle Meinungen und Parteien, alle Extreme vertreten. Wenn sie alle das Beste für Ägypten tun, werden wir sie unterstützen. Wenn nicht, gibt es immer noch den Tahrir-Platz.
Saleh Shaalan Mahmoud, 68,
Luxor (Ägypten), Reiseführer
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Natürlich ist es eine Revolution der Jugendlichen – Jobs waren denen aber viel wichtiger als Demokratie. Das Problem ist, dass die Jugend von heute ja nicht mehr bereit ist, einfach irgendeine Arbeit anzunehmen: Wir haben damals einen Beruf erlernt und unser Leben mit Arbeit verbracht. Die Jugendlichen wollen anspruchsvolle, vornehme Funktionärsposten und sind nicht gewohnt, hart zu schuften – sie wollen lange schlafen, ab und zu mal einen trinken. Manche sind sogar bereit, dafür zu stehlen.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Ich bin zu alt zum Demonstrieren. Aber mein Laden liegt mitten in der Stadt, also habe ich alles mitbekommen: Die Proteste, die Schlägereien mit der Polente, die Tränengasgranaten. Am Anfang war ich ganz begeistert, aber manchmal vermisse ich die Ruhe, die wir unter Ben Ali hatten. Heute traut sich hier nach 18 Uhr ja keiner mehr auf die Straße.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Natürlich der 14. Januar 2011, als Ben Ali gestürzt wurde. Ich habe die französische Kolonialzeit erlebt, die Beys, Bourguiba und Ben Ali – aber es war immer ruhig hier. So einen Zirkus habe ich nie zuvor erlebt. Dann kamen die Plünderungen: Ich habe früher meinen Laden um 22 Uhr geschlossen, heute mach ich schon drei Stunden früher dicht. Ich verrammele meine Tür, schleiche ängstlich durch die Straßen und sehe zu, dass ich keine Wertsachen herumtrage. Überall lungern Banditen herum.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Nur die Arbeit kann sie retten! Sie sollen die Stellen annehmen, die zur Verfügung stehen: Maurer, Anstreicher, Kofferträger. Und nicht immer auf leichtverdientes Geld hoffen. Diese Sit-ins und dieses Theater müssen aufhören! Ich persönlich benutze übrigens weder Facebook noch das Internet – und ich halte viel von unserem letzten Übergangspräsidenten Beji Caid Essebsi. Diese islamistische Nahda- Partei, die die Macht hat, ist eine Bande von Lügnern, die unser Land noch ruinieren wird.
Moncef al-Turki, 67,
Tunis (Tunesien), Friseur
Mit 60 zähle ich körperlich ganz bestimmt nicht mehr zur Jugend – intellektuell fühle ich mich aber durchaus noch jung. Wenn von einer »Revolution der Jugend« gesprochen wird, ist aber natürlich etwas anderes damit gemeint: Niemand kann leugnen, dass die jungen Menschen die treibende Kraft hinter dieser Revolution waren. Ihr Enthusiasmus sowie die digitale Revolution haben eine neue Art der Kommunikation hervorgebracht. Wir Älteren mussten uns beispielsweise immer heimlich und von Angesicht zu Angesicht treffen, wenn wir politisch aktiv waren; heute können die Menschen mithilfe moderner Technologie sicher miteinander kommunizieren. Die sozialen Medien gaben der Revolution dadurch einen modernen Anstrich. Dennoch können wir nicht uneingeschränkt von einer Jugend-Revolution sprechen: Ja, es waren viele junge Menschen beteiligt, aber ebenso Angehörige anderer Altersgruppen. Selbst alte Männer mit weißen Bärten marschierten mit, und manche von ihnen starben sogar.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Die Revolution im Jemen kam nicht aus dem Nichts, zu ihren Vorläufern zählt etwa die sezessionistische »Bewegung des Südens«. Die wichtigsten Proteste – an denen auch ich teilnahm – waren diejenigen vor dem Sitz des Premierministers, die für gewöhnlich gewaltsam aufgelöst wurden. Diese Demonstrationen waren klein, und es war schwer, Leute zum Mitmachen zu bewegen. Heute ist das wesentlich einfacher. Der andere entscheidende Faktor war die Beteiligung von Frauen: Auch wenn die Frauen hier sozial unterdrückt sind, sind sie doch politisch gut unterrichtet. Was mich selbst betrifft, so muss ich zugeben, dass ich zwar in früheren Jahren aktiv an Protesten teilgenommen habe, im vergangenen Jahr aber kaum. Ich habe beispielsweise nicht an den Freitagsgebeten teilgenommen. Dafür bin ich mehrere Male zum Tahrir-Platz gegangen.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Es fällt mir schwer, mich da für etwas zu entscheiden. Eines der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben war, als ich Mitglied einer nationalistischen Organisation im Südjemen wurde. Ein anderes, als ich beschloss, Soziologie und Philosophie zu studieren. Ein drittes war, meine Frau zu wählen. Und die Geburt meines ersten Sohnes hatte auch große Auswirkungen auf mein Leben. Wenn ich aus all diesen das wichtigste Ereignis wählen müsste, würde ich schließlich und endlich sagen, es war die Wahl meiner Frau.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Ich gebe ungern Ratschläge; allerdings glaube ich, dass die Öffentlichkeit nur zu Überzeugungen kommen kann, wenn sie sich mit ihren eigenen Erfahrungen auseinandersetzt. Ich sehe Ratschläge daher eher als Bezugnahmen und Verweise denn als Weg, dem es zu folgen gilt.
Ahmed Al-Jabali, 60,
Sanaa (Jemen), Soziologe
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Die Revolutionen, die sich in der arabischen Welt ereigneten, haben mich nicht überrascht. Die Revolutionäre haben die letzte Klarheit für ihre Länder zerstört, das Chaos ist in den Ländern aufgekommen, und Diebstahl und Vergewaltigung haben sich ausgebreitet ... Es ist offensichtlich, dass die Revolution keine Volksrevolution ist und nicht alle von ihr überzeugt sind. Es ist noch zu früh für die Demokratie in diesen Ländern, die lange Zeit unter traditionellen Herrschaften gelebt haben.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Unter Umständen wäre mir die Teilnahme an den Protesten möglich: Wenn das in das Wohl meiner Heimat fließen würde, wäre ich bereit dafür. Allerdings lehne ich es ab, mich unter dem Schirm der Parteien zu beteiligen, denn ich glaube, dass diese nur für ihre eigenen Ziele arbeiten.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Das wichtigste Ereignis in meinem Leben war meine Teilnahme am Krieg von 1967 gegen Israel, der meiner Ansicht nach wegen des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser stattfand, der damals Palästina befreien wollte. Der Krieg endete damit, dass Syrien den Golan verlor, Jordanien das Westjordanland und Ägypten den Gaza-Streifen. Aus diesem Grund glaube ich auch, dass die Völker aus den Revolutionen nichts als Schaden haben werden.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Ich würde den jungen Leuten raten, genau nachzudenken, bevor sie auf die Straße gehen und rebellieren. Denn ich glaube, dass die Revolutionen ihren Interessen schaden und nicht ihren Vaterländern dienen.
Jamal Ahmad Sayayreh, 61,
Amman (Jordanien), Soldat im Ruhestand
Wie sehen Sie, was seit Januar 2011 in Ihrem Land und der Region geschehen ist?
Ich würde, was in Syrien passiert, als eine »Volksrevolution« bezeichnen. Wer sich die Zusammensetzung der Bewegung genau ansieht, wird nämlich feststellen, dass die gesamte Gesellschaft an ihr beteiligt ist – seien es Jugendliche oder Erwachsene, Frauen oder Teenager. Selbst die Kinder spielen eine Rolle. Ebenso sind die Armen und Benachteiligten vertreten; und auch die Mittelschicht unterstützt diese Revolution. In dieser frühen Phase können wir das, was wir im Guten oder Schlechten erreicht haben, noch nicht bewerten, doch jede Veränderung ist ein Schritt nach vorn. Am Ende zählt jedoch das Ergebnis, und dieses Ergebnis wird darüber entscheiden, wie viel wir von unseren Ambitionen verwirklicht haben. Jetzt ist es wichtig, dass wir unsere Prioritäten hinsichtlich der Zukunft unseres Landes festlegen.
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Ich habe noch nie an einer Demonstration teilgenommen. Aber ich erfülle meine Pflicht gegenüber meinem Land auf andere Weise: indem ich täglich Diskussionen führe, was dazu beiträgt, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Jugendlichen zu stärken, mit denen ich arbeite. Diese Gespräche, die ich teilweise in Ausübung meines Berufs als psychologische Expertin führe, helfen den Jugendlichen auch, ihre Rechte zu kennen.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Die großartigste Erfahrung in meinem Leben ist zweifellos die Herausforderung, die sich mir Tag für Tag in meinem Beruf stellt. Mein Ziel war und ist es, diejenigen zu verteidigen, deren Rechte täglich geschwächt und missachtet werden. Wenn der Mensch Unrecht erfährt, rebelliert er irgendwann. Aus diesem Grund rebelliert auch mein Volk.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Der Rat, den ich euch jungen Menschen geben möchte, lautet: Vereint eure Anschauungen, dann werdet ihr euer Ziel verwirklichen: einen zivilen, pluralistischen, demokratischen Staat.
Anonyma, 56,
Damaskus (Syrien), arbeitet als Psychologin in einer NGO mit Jugendlichen.
Gewiss handelt es sich in Libyen um eine Revolution der Jugend. Das gilt auch für die anderen Revolutionen im arabischen Raum. Auch wenn die Hauptbeweggründe grundlegende Menschenrechte waren – wie Freiheit, Gerechtigkeit, Würde oder Ehre –, die uns alle betreffen. Sie haben aber gerade bei Jugendlichen eine hohe Priorität. Wie kann ich einem Leben entgegenblicken, das mir keine Perspektive bietet? Der Tyrannei, die in Libyen herrschte, konnte nur noch mit Konfrontation begegnet werden. Auch nach der Tradition des Propheten sollten Jugendliche und junge Erwachsene die treibende Kraft einer Gesellschaft und ihrer Veränderungsprozesse sein. Was die Ereignisse in den letzten zwölf Monaten angeht, kann ich nicht mehr tun, als das Motto der Jugendrevolution in Libyen wiederzugeben: »Allah ist am größten, Allah ist am größten, Allah ist am größten ... und alles Lob gebührt Allah.«
Haben Sie sich selbst an Protesten beteiligt?
Ich habe während meiner Zeit als Lehramtsstudent in Tripolis zum ersten Mal an Protesten teilgenommen. Es ging uns Studenten darum, auf Missstände in der Verwaltung, die zunehmende Korruption und Misswirtschaft hinzuweisen. Zum zweiten Mal habe ich in meiner Heimatstadt Waddan demonstriert. Das war 1984, am achten Tag des Ramadan. Wir protestierten offen gegen das Regime und die Hinrichtung von Ismail Hasan Al-Senussi – einem der patriotischsten Söhne unserer Stadt. Er war Mitglied der »Nationalfront für die Rettung Libyens« und am Putschversuch von Bab al-Aziziya beteiligt. Wir haben uns damals den Truppen des Unterdrückers gestellt. Waddan wurde umzingelt, trotzdem waren wir auf den Straßen und protestierten gegen das Unrecht. Leider wurde Ismail an einen unbekannten Ort verschleppt und aller Wahrscheinlichkeit nach hingerichtet. Ein weiteres Mal sah ich mich gezwungen, offen zu protestieren, als Mitglieder des Revolutionskomitees Ismails Haus abreißen wollten. Als sie die Massen der Protestierenden sahen, hatten sie keine andere Wahl, als die Flucht zu ergreifen. Einige der Aufrührer und auch ich wurden daraufhin inhaftiert. Im letzten Jahr begannen wir etwa fünf Tage nach dem Beginn der Revolution vom 17. Februar auf einer Beerdigung offen zu protestieren und auf die Gräueltaten hinzuweisen, die sich zu der Zeit in Benghazi abspielten. Von diesem Tag an haben wir nicht mehr aufgehört zu protestieren, bis wir diesen bluthungrigen Mörder losgeworden sind.
Was war das wichtigste Ereignis in Ihrem Leben?
Meine wichtigsten Erlebnisse hatte ich während meiner Zeit als Lehrer. So war es immer wieder eine Herausforderung, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die richtigen Werte zu vermitteln, während der Lehrplan die stupiden, gesellschaftsvernichtenden und heuchlerischen Werte der Gaddafi-Doktrin vorgab. Die Unterschlagung öffentlicher Gelder wurde von vielen Schülern nicht als Straftat gesehen, sondern war eine Art Heldentat für sie. Die Gauner, die das taten, waren leider Vorbilder für einige Jugendliche. Als Lehrer mussten wir uns immer neuer und innovativer Lehrmethoden bedienen, um im Graubereich solchen Gedanken entgegenzuwirken, ohne verdächtig zu werden. Diese Erfahrungen waren für mich so wichtig, weil es dabei um Freiheit ging. Bei einem der Protestmärsche trug ein junger Mann ein Schild mit der simplen Aufschrift: »Ich verlange Freiheit«. Das Verlangen nach Freiheit hat dem Ganzen einen Sinn gegeben, ein Ziel, mit dem sich alle Leute identifizieren konnten. Jetzt gilt es, gemeinsam »Gutes zu gebieten und Schlechtes zu verbieten«, wie es im Koran heißt, um allen Chancen zu eröffnen und das menschliche Potenzial zu nutzen, das in der libyschen Gesellschaft schlummert.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Investiert in eure Bildung, lernt Sprachen und lest Bücher. Seid neugierig und setzt euch für Gerechtigkeit und eure Gesellschaft ein.
Belhaj Ahmad Abdelhadi Gharib, 61,
Waddan (Libyen), Oberstudienrat