Lesezeit: 7 Minuten
Saudischer Journalist Hamza Kashgari

Satanische Tweets

Analyse

Drei Tweets reichen, um Hamza Kashgari für vogelfrei zu erklären. Ohne viel Zutun wird der junge saudische Journalist zum Spielball in einem viel größeren gesellschaftlichen Konflikt.

Bis zum vergangenen Wochenende war Hamza Kashgari ein junger aufstrebender Journalist aus Saudi-Arabien. Obwohl erst 23 Jahre alt schrieb er regelmäßig eine eigene Kolumne in der Tageszeitung al-Bilad, auf Twitter scharte er eine illustre Fanschar um sich. Doch nun hat die Regierung sämtlichen Zeitungen verboten, Kashgaris Texte weiter zu veröffentlichen, tausende Facebook-User fordern seinen Tod und der junge Mann musste ins Exil nach Südostasien fliehen. Angeblich wurde er mittlerweile in Malaysia festgenommen, doch andere Quellen widersprechen diesen Meldungen. In jedem Fall befindet sich Hamza Kashgari in großer Gefahr. Was ist passiert?

 

Am Samstag, einen Tag vor dem Geburtstag Muhammads, philosophierte Kashgari auf Twitter öffentlich über die Person des Propheten. Dabei setzte er drei folgenschwere Tweets ab:

 

Tweet Nummer 1: »An deinem Geburtstag werde ich sagen, dass ich den Revolutionär in dir liebte, der mich immer inspirierte. Aber ich mag den Heiligenschein nicht. Ich bete dich nicht an.«

 

Tweet Nummer 2: »An deinem Geburtstag sehe ich dich, wohin immer ich mich wende. Ich werde sagen, dass ich Dinge an dir liebte, Dinge hasste und viele andere Dinge nicht verstand.«

 

Tweet Nummer 3: »An deinem Geburtstag werde ich mich nicht vor dir verbeugen, nicht deine Hand küssen. Ich werde sie schütteln wie ein Ebenbürtiger und dich so anlächeln wie du mich anlächelst. Und ich werde mit dir nur so sprechen wie mit einem Freund...Mehr nicht.«

 

Binnen weniger Minuten brach auf Twitter ein Sturm der Wut und Empörung über Hamza Kashgaris Äußerungen aus. Innerhalb von 24 Stunden beschäftigten sich fast 30.000 Tweets mit dem Thema. Viele forderten seinen Tod, bezeichneten den Journalisten als »lebenden Toten«. Einer versprach dem Mörder Kashgaris 10.000 Rial, umgerechnet etwa 2000 Euro.

 

Das Urteil ist schon längst gefallen

 

Nasser al-Omar, ein bekannter saudischer TV-Prediger, fing zu Beginn seiner jüngsten Sendung öffentlichkeitswirksam an zu weinen, weil er die Beleidigung des Propheten nicht ertrage. Kashgari sei ein Apostat und müsse vor ein Scharia-Gericht gestellt werden. Das Urteil lieferte Omar gleich mit: Natürlich sei Kashgari schuldig. Damit forderte der Religionsgelehrte indirekt, dass der junge Mann mit dem Schwert enthauptet werden soll, denn diese Strafe sieht die saudische Rechtsprechung üblicherweise für Apostaten vor.

 

Im Internet mobilisierten Omar und andere saudische Rechtsgelehrte ihre Anhänger. Sie riefen dazu auf, der Königsfamilie zu schreiben und die Verfolgung des Journalisten zu verlangen. Die Facebook-Gruppe »Das saudische Volk will die Bestrafung von Hamza Kashgari« zählt mittlerweile fast 10.000 Fans.

 

Und die Kampagne hat Erfolg: Zunächst verhängte Kultur- und Informationsminister Abd al-Aziz Khoja ein Berufs- und Publikationsverbot für den Mann aus Dschidda. Am Montag dann erließ das Königshaus ein Dekret, das die Verhaftung des Journalisten verlangt.

 

Da nützte es Kashgari wenig, dass er in der Zwischenzeit die umstrittenen Tweets gelöscht und sich ausführlich entschuldigt hatte. Seine Aussagen seien ein Fehler gewesen. Die Tragweite seiner Äußerungen habe er falsch eingeschätzt. Er hoffe, dass Gott ihm vergebe, erklärte der 23-Jährige.

 

Doch da war Kashgari längst zum Spielball im schwelenden Machtkampf zwischen konservativen Hardlinern und liberal-orientierten Reformern in Saudi-Arabien geworden. Dem wahhabitischen Establishment war der junge Journalist schon seit Monaten ein Dorn im Auge, weil er unter anderem in der Öffentlichkeit in kurzen Hosen posiert hatte und an Intellektuellen-Foren teilnahm, bei denen sich Frauen nach Ansicht der Konservativen unzüchtig kleideten, also zu viel Haar zeigten.

 

Idealer Sündenbock für die wahhabitischen Hardliner

 

Die konservativen Religionsgelehrten fürchten, dass der Wandel in den arabischen Gesellschaften auch Saudi-Arabien erfasst und die Jugend die Stellung der Geistlichen in der Gesellschaft in Frage stellt. Erst vor wenigen Wochen mussten sie eine Schlappe einstecken, als die Regierung trotz des Drucks der Hardliner Frauen erlaubte, als Verkäuferinnen in Dessous-Shops zu arbeiten.

 

Daher ist Hamza Kashgari nun für die wahhabitischen Gelehrten der ideale Sündenbock, an dem sie jetzt ihre Macht und ihr eigenes Mobilisierungspotential beweisen können. Ihnen gehen schon die zögerlichen Reformen der vergangenen Jahre zu weit und sie sehen den »islamischen Charakter der Gesellschaft gefährdet«. TV-Prediger Nasser al-Omar droht unverhohlen mit Gewalt: Wenn Leute wie Kashgari »sagen dürfen, was sie wollen«, dürfe sich Saudi-Arabien nicht wundern, wenn »unsere Söhne den gewaltsamen Weg des Jihad beschreiten«.

 

Dabei sind Kashgaris Ansichten im Grunde gar nicht soweit von der wahhabitischen Doktrin entfernt: Auch die saudischen Gelehrten lehnen die Verherrlichung des Propheten Muhammad als Bid’a, also eine unzulässige Neuerung in der islamischen Tradition, ab. Sein Geburtstagsfest, Mawlid al-Nabi, wird in Saudi-Arabien nicht gefeiert.

 

Der bekannte liberale saudische Blogger Fuad al-Farhan, der selbst mehrfach wegen seiner kritischen Veröffentlichungen verhaftet wurde, erklärte, der Zorn über Kashgaris Tweets seit weitaus höher als über die Muhammad-Karikaturen 2005. »So etwas hat es bislang nicht gegeben, das ist ein einzigartiger Fall. Wir haben jetzt unseren eigenen Salman Rushdie.«

Von: 
Christoph Sydow

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