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Sacharow-Preis für saudischen Blogger Raif Badawi

Der Preis der Stabilität

Kommentar

Der Sacharow-Preis an Raif Badawi als symbolische Stellungnahme schlägt sich in der Realpolitik kaum nieder. Dabei ist die bisherige Kooperation mit Saudi-Arabien nicht bloß moralisch fragwürdig, sondern ineffektiv, meint Tobias Simon.

Der saudische Blogger Raif Badawi erhält in diesem Jahr den Sacharow-Preis des Europaparlaments. Dieser wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich im besonderen Maße für die Menschenrechte eingesetzt haben. Badawi, der 2012 wegen regierungskritischer Äußerungen festgenommen wurde, verbüßt derzeit eine Haftstraße von zehn Jahren und wurde zu 1.000 Stockhieben verurteilt. Es ist höchst lobenswert, dass Badawi einen solch renommierten Preis erhält.

 

Jedoch ist es höchst beschämend, dass Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union durch seine Außenpolitik ein solches saudisches Regime legitimiert. Am 9. Januar 2015 kurz nach dem Freitagsgebet wurde Badawi in der saudischen Hafenstadt Dschidda mit Hand- und Fußfesseln einer Menschenmenge vorgeführt. Ihn erwarteten im Anschluss 50 Stockhiebe auf seine Beine und den Rücken. Obwohl er wortlos die Tortur über sich ergehen ließ, war sein Gesicht schmerzerfüllt. Wenige Tage später wurden die nächsten 50 Schläge wegen seines schlechten Gesundheitszustands ausgesetzt. Es folgten massive internationale Proteste, wodurch die Prügelstrafe seither ausgesetzt wurde. Zeit für Badawi, um sich gesundheitlich zu erholen.

 

Dennoch ist er weiterhin der Gefahr ausgesetzt, dass die nächste öffentliche Folter jederzeit stattfinden kann. Nach seiner Festnahme im Jahr 2012 begann ein jahrelanges juristisches Tauziehen. Mitte 2013 wurde er zunächst zu sieben Jahren und 600 Stockhieben verurteilt. Ende 2013 entschied das Berufungsgericht, den Fall erneut vor dem Strafgericht in Dschidda zu verhandeln. So wurde Badawi Mitte 2014 zu insgesamt zehn Jahren Haft, 1.000 Stockhieben und zu einer Million Saudi-Rial – umgerechnet etwa 240.000 Euro – verurteilt. Desweitern darf er nach Verbüßen der Haftstrafe weitere zehn Jahre nicht das Land verlassen. Im Juni 2015 bestätigte das Oberste Gericht Saudi-Arabiens dieses Gerichtsurteil.

 

Offiziell wurde er wegen »Apostasie« und »Beleidigung des Islams« verurteilt. Auslöser waren jedoch regierungskritische Beiträge auf seinem Blog. Laut Menschenrechtsorganisationen gab es bei dem Gerichtsverfahren Unregelmäßigkeiten. Badawi ist hierbei jedoch kein Einzelfall. Schon früher wurden Menschenrechtsaktivisten durch die Regierung eingeschüchtert und einige Fälle landeten vor den Gerichten. Diese Vorgehensweise wird in letzter Zeit vermehrt seitens des saudischen Regimes präferiert. Saudi-Arabiens weiße Weste tropft schon seit länger Zeit durch das ganze Blut, das an den Händen der Machthaber in Riad klebt.

 

Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen lassen keinen Zweifel an der desaströsen menschenrechtlichen Lage. Tägliche Schikane von regierungskritischen Personen, die Erzwingung der Einhaltung vermeintlicher religiöser Pflichten, Folter in Staatsgefängnissen und unmenschliche Bestrafungen inklusive der Todesstrafe sind an der Tagesordnung. Saudi-Arabien hat in diesem Jahr schon doppelt so viele Menschen wie die Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) enthauptet.

 

Ironischerweise geht Saudi-Arabien gegen den IS in Syrien und dem Irak vor, war aber an dessen Entstehung zumindest mittelbar beteiligt. Für die Bundesregierung wie auch andere westliche Staaten ist Saudi-Arabien vor allem ein wichtiger Verbündeter in der Region. Das Königreich ist einer der wenigen Staaten im Nahen und Mittleren Osten, der derzeit nicht im Chaos versinkt und somit ein bevorzugter Kooperationspartner sowohl im Bereich der Terrorbekämpfung als auch der Stabilisierung der Region ist.

 

So wundert es nicht, dass Saudi-Arabien schon seit längerer Zeit einer der Hauptabnehmer von deutschem Kriegsgerät ist. Allein 2014 wurden Güter mit einem Wert von insgesamt 47 Millionen Euro in das Königreich tatsächlich ausgeführt, der höchste Wert seit Jahren. Die genehmigten Exporte beliefen sich auf fast 209 Millionen Euro. Darunter befanden sich Flugkörper und Zündeinrichtungen, aber auch Kleinwaffen und Ortungsgeräte. 2014 schaffte es der Deal über 270 Leopard-2-Panzer in der Version A7+ in die Schlagzeilen. Dieser wurde dazu entwickelt, um Aufstände niederzuschlagen. Lediglich massiver öffentlicher Protest ließ die Bundesregierung ihre Entscheidung überdenken.

 

Jedoch verfolgt Saudi-Arabien seine eigene Agenda. Neben der Finanzierung und Unterstützung verschiedener extremistischer Bewegungen, versucht es den größer werdenden Einfluss Irans in der Region zurückzudrängen. Es lehnt den Atom-Deal mit dem Iran ab und geht seit geraumer Zeit militärisch gegen die von Teheran unterstützen Huthi-Rebellen im Jemen vor. Die Zielsetzung seitens Riad ist klar: Verhinderung der Stärkung des schiitischen Islams zugunsten der Sunniten. Die Bundesregierung setzt hier auf einen falschen Partner. E

 

inen Partner, der sich nicht für die Erreichung von Stabilität eignet. Das Credo, dass das Land »ein wichtiger Akteur« und ein Land »von strategischer Bedeutung« ist, wird nur in einer weiteren Gewaltspirale resultieren. Nicht nur in der Region, sondern vor allem auch im Land selbst. Die gravierende Menschenrechtssituation wird dabei unter den Teppich gekehrt. Sie wird auf dem Altar der Realpolitik, Stabilität und Waffengeschäften geopfert. Ein Opfer, das Raif Badawi und viele Andere täglich ausbaden müssen.

Von: 
Tobias Simon

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