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Qods-Brigaden in Iran

Soleimanis Auftrag

Analyse

Mythen ranken sich um die iranischen Qods-Brigaden. Aber kämpfen sie wirklich aktiv in Syrien und im Irak? Viel spricht dafür, dass wir unser Bild von der Eliteeinheit revidieren müssen.

Seiner schaurig-schönen Faszination erliegen seine ärgsten Feinde: Ein »Schattenkommandeur« sei Generalmajor Qassem Soleimani und der derzeit mächtigste Mann des Nahen Ostens, so hieß es vor einigen Monaten im Magazin The New Yorker. Die angelsächsische Presse hat einen neuen Rommel – einen gefährlichen, aber geachteten Gegenspieler des Westens, von dem selbst der berühmte US-General David Petraeus ganz begeistert reden soll.

 

Soleimani genießt Kultstatus wie seinerzeit der deutsche »Wüstenfuchs« – mittlerweile hat »Hadsch Qassem«, wie ihn seine Bewunderer nennen, eine eigene, wenngleich nicht offizielle Fanseite im Internet. Einer der Gründe: Es gibt wohl kaum eine militärische Einheit der Streitkräfte der Islamischen Republik Iran, die so viel Aufmerksamkeit erregt wie die von Soleimani befehligten »Qods-Truppen« (Niru-ye Qods) der Revolutionsgarden – benannt nach dem persisch arabischen Namen für Jerusalem: Qods oder arabisch Al-Quds.

 

Über die Qods ist trotz des großen Medienechos wenig bekannt. In der einschlägigen iranischen Presse werden sie oft als Grenzschutztruppe dargestellt, was aber zurückzuweisen ist. Zwar existiert ein Kommando Qods in der südlichen Provinz Kerman, und diesem wurden kürzlich zusätzliche Grenzsicherungsaufgaben übertragen. Es handelt sich aber nicht um die hier behandelte Qods-Truppe unter Soleimanis Führung.

 

Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Qods-Einheiten liegt nach wie vor im Dunkeln. Selbst gut recherchierte Artikel iranischer Autoren greifen oft auf Gerüchte und westliche Recherchearbeit zurück, anderen publizieren Papiere amerikanischer Think-Tanks, ohne auf ihre Quellen hinzuweisen. Der berühmte Politiker und ehemalige Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani hörte nach eigenem Bekunden erstmals am 15. September 1984 von der Gründung von 53 Qods-Bataillonen, verrät aber in seinen Memoiren nur, dass diese Einheiten aus ausgewählten Soldaten bestehen.

 

Da dies während des Iran-Irak-Krieges geschah, könnte man annehmen, dass das Nachbarland als Zielgebiet für die Eliteeinheit auserkoren war. Doch für Operationen im Irak gab es bereits auf irakisch-kurdischem Territorium ein Auslandseinsatzkommando namens Qarargah Ramazan, das militärische Aktivitäten der Iraner mit den irakischen Kurden koordinierte und schiitische Iraker, die sich den Iranern angeschlossen hatten, ausbilden und leiten sollte. Ein anderes Kommando war mit der Bekämpfung der oppositionellen Volksmudschaheddin auf irakischem Territorium betraut.

 

Qods musste also eine Aufgabe erfüllen, die über die rein militärische Koordination im Irak hinausging: als Nachfolgeorganisation der »Einheit zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen«. Die Gruppe hatte ein schwer zu kontrollierendes Eigenleben entwickelt und wurde unter anderem wegen ihrer Involvierung in den Iran-Kontra- Skandal 1988 aufgelöst: Damals hatte die CIA zur Finanzierung verdeckter Operationen in Mittelamerika Waffengeschäfte mit Iran abgewickelt – was für Washington und Teheran gleichermaßen peinlich war.

 

Phantom und ebenbürtiger Stratege: Die Amerikaner haben einen neuen Rommel

 

Tatsächlich wird die einschlägige Presse Irans nicht müde, den ideologischen Wert der Qods zu betonen: Die Gruppe sei gegründet worden, um gegen Israel und die USA zu kämpfen. Das entspricht im Prinzip dem Auftrag, den sich die Islamische Republik Iran selbst gegeben hat. Laut Verfassungsartikel 152-154 ist Iran zu einer revolutionären Außenpolitik verpflichtet.  Wahrscheinlich leiten die Qods ihr Mandat auch daraus ab – sie unterstehen wohl dem direkten Befehl des Revolutionsführers.

 

Am klarsten formulierte Khamenei dies in einer Rede vom 20. November 1989 vor Studenten der höchsten Bildungseinrichtung der Revolutionsgarden, der Emam-Hoseyn-Universität. Sein Vorgänger Khomeini habe die Bildung von »in der Bevölkerung verankerten Zellen« der iranischen Hezbollahi-Bewegung weltweit gewünscht und »eine der fruchtbringendsten Pflichten der Islamischen Revolution auf der Welt genannt. Fürderhin hat das Korps der Revolutionsgarden auch auf diesem Feld einen Auftrag«, erklärte Khamenei bezugnehmend auf die Qods.

 

Man wolle sich zwar nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, so Khamenei. Aber die revolutionären Kräfte könnten sich »nirgendwo auf der Welt von der Verantwortung drücken«. Kurz: Die Qods sollen mit möglichst geringen Mitteln möglichst effizient agieren und langfristig ideologisch-militärische Verbündete Irans schaffen. Dabei ist das militärische Element dem ideologischen untergeordnet, auch wenn es den Schwerpunkt der Aktivitäten bildet. Zudem leitet sich daraus das Operationsgebiet ab, das im Prinzip die eigene Kulturzone sein soll: die muslimischen, arabisch- und persischsprachigen Staaten.

 

Anders sieht es mit Operationen wie Anschlägen im westlichen Ausland aus, für die die Qods offensichtlich nicht geschaffen wurden. Federführend dürfte dabei das Geheimdienstministerium sein, auch wenn ein Einsatz von Kräften der Revolutionsgarden dabei möglich ist. Der genaue Zeitpunkt der offiziellen Erhöhung der Qods zu einer Teilstreitkraft der Revolutionsgarden ist schwer festzustellen: Plausibel wäre ein Zusammenhang mit der Beförderung Qassem Soleimanis in den militärischen Rang eines Generalmajors im Jahr 2009.

 

Genausowenig ist die Truppenstärke bekannt. Nehmen wir die Hauptaufgabe der Qods, Militärhilfe und Organisationsausbildung auf ideologisch-weltanschaulicher Grundlage, dann dürfte es sich eher um zahlenmäßig geringe Kräfte halten. Unter Brigadegeneral Ahmad Vahidi gehörten sie noch zu den Landstreitkräften der Garden, als Einheit zur »zur besonderen Verfügung«. Dass Khamenei die Qods zur Teilstreitkraft aufwertete, zeigt die hohe strategische Bedeutung von Auslandsoperationen für seine Politik.

 

Zweifelsfrei lässt sich der Einsatz der Qods im Jugoslawienkrieg während der 1990er Jahre belegen – damals als Lieferant für Waffen an bosnische Muslime und die kroatische Armee. Ein Einsatz in Afghanistan darf angenommen werden, vermutlich aber erst Ende der 1980er Jahre. Westliche Berichte über die Qods in Afghanistan beginnen dort nach dem Abzug der Sowjets 1989. Die afghanischen Taliban galten als ausgesprochene Feinde der Islamischen Republik: Dexter Filkins vom New Yorker behauptet, Soleimani habe die Alliierten 2001 bei der Eroberung der afghanischen Stadt Herat unterstützt – konkret: bei der Zielauswahl und der Koordination vor Ort. Spätere Berichte werfen den Qods aber auch Unterstützung einzelner Taliban-Gruppen gegen westliche Interessen vor.

 

Man stellt sich die Qods als schlagkräftige Divisionen vor – aber ihre Mission ist subtiler

 

Iranischen Quellen zufolge waren Kämpfer der Qods in den 1980er Jahren auch in Syrien und im Libanon aktiv. Bei der Gründung der libanesischen Schiiten-Milizen der Hizbullah spielten sie wohl keine Rolle, da diese damals bereits aufgestellt war, wohl aber bei deren Aufrüstung und Transformation. Der Libanon hat neben dem ideologischen Nutzen für Teheran auch einen ganz praktischen militärischen Aspekt: Ergebnisse des Waffeneinsatzes und taktische Erfahrungen gelangen über die Qods an die Revolutionsgarden. Schwer zu ergründen ist allerdings der Einsatz der Qods im derzeitigen Syrienkrieg.

 

Schon früh leistete Teheran Assad Waffenhilfe. Über das Ausmaß streiten sich die Gelehrten – im Westen ebenso wie in Iran. Noch im September 2012 erklärte der Kommandant der Revolutionsgarden General Mohammad Ali Jaafari, die Hilfe der Qods in Syrien sei weniger militärisch, sondern »intellektuell und konzeptionell«. Ein paar Monate später jedoch lobte der stellvertretende Kommandant der Qods, Brigadegeneral Esmail Qaani, die Iraner hätten das Blatt in Syrien militärisch gewendet. Inzwischen erklärte auch Qods-Kommandeur Soleimani, man wolle »Syrien bis zum Ende zu verteidigen«.

 

Westliche Medien berichteten, Iran habe schon zu Beginn des Krieges eine 4.000 Mann starke Truppe der Revolutionsgarden – oder der Qods – nach Damaskus gesandt. Diese Zahl mag übertrieben sein, an der Präsenz iranischer Kämpfer in Syrien konnte spätestens seit der Gefangennahme von 48 Iranern durch syrische Rebellen im August 2012 niemand mehr zweifeln. 2013 erbeuteten syrische Rebellen Filmmaterial über den Einsatz einer Gruppe iranischer Milizionäre ohne Distinktionsabzeichen.

 

Iranischen Quellen zufolge handelte es sich bei den gezeigten Personen um Esmail Haydari und Hadi Bagbani. Haydari wird mit dem Titel Sardar angesprochen, der Generälen der Pasdaran vorbehalten ist. An seinem Begräbnis nahmen später Hunderte Revolutionsgardisten teil, unter ihnen viele Obristen und Brigadegeneräle. Dass er zum Zeitpunkt seines Todes oder irgendwann früher Mitglied der Qods war, ist wahrscheinlich, aber nicht zweifelsfrei zu bestätigen.

 

Aber gemäß dem Auftrag Khameneis sollen die Qods »in der Bevölkerung verankerte Hezbollahi Zellen« aufbauen. Das heißt: örtliche Kräfte stärken und den Krieg »indigenisieren«. Beispiel dafür sollte offensichtlich die Brigade Abu l-Fadl Al-Abbas in Syrien sein. Eine Übersicht über die Truppe findet sich auf der radikalen iranischen Webseite Tasnimnews und ist auf den 14. Mai 2013 datiert. Die Qods werden nicht explizit genannt. Das irritiert. Andererseits spricht es für die gute Öffentlichkeitsarbeit der Iraner, die sich eben nicht leicht in die Karten schauen lassen.

 

Dem Bericht nach besteht die Gruppe aus drei verschiedenen Einheiten zum Schutz des Heiligtums der Zainab in Damaskus, das im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem Pilgerzentrum der Schiiten in Syrien geworden ist. Die Gruppe umfasst Schiiten aus Syrien, dem Libanon und dem Irak – meist Iraker, die 2006 im Süden Damaskus vor dem Bürgerkrieg im eigenen Land Zuflucht gefunden haben.

 

Das Badr-Korps hat viele seiner Angehörigen in Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparats untergebracht

 

Die Gruppe gliedert sich in mehrere landsmannschaftliche Einheiten. Über ihre Führungs- und Finanzstruktur ist nichts bekannt. Sie legt vor allem in ihrer Kommunikation mit Medien großen Wert darauf, als einheimischer Widerstand gegen ausländische Extremisten aufzutreten. Aber eine derartige Gruppe muss natürlich auch in Iran ihre Bewunderer haben, vor allem unter der iranischen Freiwilligenmiliz Bassidsch, die bekanntlich unter Führung der Revolutionsgarden steht. Eine offensichtlich von Bassidschis betriebene Seite nennt 101 iranische Freiwillige und 40 Gefallene in Syrien.

 

Bei letzteren dürfte es sich den Namen nach zu urteilen um Iraner und schiitische Araber aus der Region handeln. Die Gestalt dieser Abbas-Brigade erinnert sehr an Khameneis Auftrag für die Qods. Möglicherweise gestaltet sich das Engagement der Qods in der Region auch deutlich indirekter, als viele vermuten. Das zeigt das irakische Badr-Korps, das ursprünglich aus schiitischen Kämpfern gegen das Saddam-Regime im Irak bestand. Uniformen, Gehälter und strategische Planung kamen von den Iranern.

 

Nach Saddams Sturz wurden es von den US-Besatzern zwar offiziell aufgelöst. Das Badr-Korps hatte aber viele seiner Angehörigen in Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparats untergebracht. Im Oktober 2013 hieß es erstmals, dass Badr eine 1.500 Mann starke Truppe nach Syrien schicken wolle. Im Sommer 2014 überschlugen sich dann die Ereignisse: mit dem Aufstieg des »Islamischen Staats im Irak und in Syrien« (ISIS). Ende Juni 2014 war Badr-Chef Hadi al-Ameri erstmals nach Jahren wieder in Uniform zu sehen.

 

Anfang Juli hieß es, er sei von Premierminister Nuri al-Maliki zum Kommandanten im Kampf gegen ISIS in der Provinz Diyala ernannt worden. Die Mobilisierung der Badr fand also vor jener berühmten Fatwa statt, in der Großyatollah Ali al-Sistani die Schiiten nach der Eroberung Mossuls durch ISIS zur Selbstverteidigung aufrief und mit der angeblich eine Welle der Rekrutierung von Freiwilligen einsetzte. Viel spricht dafür, dass Kämpfer im Irak von Badr ausgebildet werden. Plant die irakische Führung die Gründung eines parallelen Milizsystems, ähnlich den Revolutionsgarden in Iran? Badr kämpft bereits gegen ISIS in Kirkuk und erlitt dort schwere Verluste.

 

Spielen die Qods nun eine Rolle im Kampf gegen ISIS? Womöglich nicht direkt. Über nachrichtendienstlich arbeitende Einheiten der Iraner im Ausland fließen keine Quellen. Die Nachrichtenagentur AP behauptete, dass ohne Soleimani und die Qods die Städte Samarra und Bagdad an ISIS gefallen wären, was Beifall in den iranischen Medien findet: Besseres hätte die Propagandaabteilung der Revolutionsgarden gar nicht schreiben können.

 

Die Qods haben ihren eigentlichen Auftrag schon erfüllt

 

Im Wall Street Journal hieß es, Qods-Truppen stünden im Irak. Grundlage dafür war jedoch eine Rede General Hoseyn Salamis, der nur betonte, die Revolutionsgarden könnten jeden Angriff auf Iran abwehren. Offizielle irakische Stellen erklären indes, die Verteidigung ruhe allein auf den Schultern der Volksmiliz. Abgesehen von der relativ unbedeutenden Frage, wie viele iranische  Agenten nun im Irak verblieben sind und wie viele davon den Qods angehören, ist die irakische Position einleuchtend. Seit Juni 2014 steht mit dem reaktivierten Badr-Korps eine Mannschaft bereit.

 

Die schiitisch-ideologische Indoktrination ist in den Kernelementen der Badr ohnehin vorhanden. Nichts steht der Entwicklung eigener regimetreuer Einheiten neben der Armee im Weg – nach iranischem Muster. Die Qods haben ihren eigentlichen Auftrag schon erfüllt: den Aufbau proiranischer Einheiten wie die Badr oder die libanesische Hizbullah. Solche Einheiten könnten sich – wie die Abbas-Brigade zeigt – auch in Syrien entwickeln. Damit sind die Qods keine allumfassenden, global aktiven Divisionen, wie man sie sich im Westen vorstellt.

 

Vielmehr sollten sie als erfahrene und schlagkräftige Ausbildungs- und Aufklärungseinheit verstanden werden, die in ihrer Kulturzone Wissen, Erfahrung und Ausbildung weitergibt und mit iranischen Interessen in Einklang bringt. Darüber hinaus sitzen die Qods an der richtigen hierarchischen Stelle: Soleimani hat Zugang zum Revolutionsführer – und kann daher Entscheidungen mitbestimmen. Folgt man dieser Lesart, dann wird die genaue Truppenzahl der Qods beinahe irrelevant. Freilich, den Lackmustest gegen ISIS muss das Qods-Modell im Nahen Osten erst noch bestehen. Ein Misserfolg würde die Iraner dazu zwingen, an konventionelle Lösungen zu denken, um ihre Sicherheitsinteressen in der Region durchzusetzen: mit Panzern und Infanterie.

Von: 
Walter Posch

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