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Proteste in Kuwait

Kuwaits APO marschiert wieder

Feature

Zehntausende Kuwaitis protestieren weitgehend friedlich für ein demokratischeres Wahlrecht. Obwohl brutal, verzichten die Sicherheitskräfte auf tödliche Gewalt – ein Umsturz zeichnet sich nicht ab.

Es ist ein willkommene Abwechslung zum Schlachten in Syrien, in dem beide Kriegsparteien inzwischen ihre Unschuld verloren haben. Nachdem Neuwahlen und abermalige Parlamentsauflösungen das politische Leben Kuwaits seit Monaten lähmen, zieht es inzwischen immer mehr Bürger auf die Straße.

 

Die kurzzeitige Verhaftung des Oppositionschefs Musallem al-Barak hat sich für die Regierung zum Eigentor entwickelt – nachdem sich am Mittwoch hunderte Anhänger vor seinem Gefängnis in der Hauptstadt versammelten, wurde al-Barak tags darauf gegen eine Kaution entlassen. Der Politiker der Muslimbruderschaft hatte während einer Kundgebung Mitte Oktober, an der nach Aktivistenangaben mehrere zehntausend Menschen teilnahmen, vor einer zunehmend autokratischen Herrschaft Emir Scheich Sabah Al-Ahmad Al-Sabahs gewarnt.

 

Laut Verfassung kann der Emir von Kuwait nach Auflösung des Parlaments, was er am 7. Oktober tat, das Land durch Dekrete regieren. Obwohl das Verfassungsgericht die Wahlgesetzreform von 2006 für rechtens erklärte, wirft die Opposition der Regierung vor, Wahlbezirke nun per Dekret neu zuschneiden zu wollen.

 

Damit solle verhindert werden, dass die Muslimbruderschaft abermals wie im Februar 2012 die Parlamentswahlen gewinnt, so al-Barak. Diese Kritik war ihm und anderen Oppositionspolitikern als Majestätsbeleidigung ausgelegt worden. Obwohl das Innenministerium ein Versammlungsverbot aussprach, wollen sich an diesem Sonntag abermals Demonstranten zu einem Marsch durch die Hauptstadt versammeln.

 

Falah Bin Jamei, Kopf des einflussreichen Awazem-Clans, betonte, er wolle unter den gegenwärtigen Bedingungen die für den 1. Dezember angesetzte Neuwahl boykottieren. Der Awazem-Stamm umfasst rund 200.000 Menschen und stellt damit fast 20 Prozent der kuwaitischen Wahlberechtigten. Bin Jamei rief seine Mitbürger zu Protesten auf.

 

Schlingerkurs des Verfassungsgerichts

 

In den Augen der Regierung al-Sabahs wurden die Proteste jedoch nicht durch verfehlte Reformen und die grassierende Korruption verursacht, sondern von der ägyptischen Muslimbruderschaft initiiert. Auch in den umliegenden Golfstaaten gingen Behörden in den letzten Wochen massiv gegen Mitglieder von den Muslimbrüdern nahestehenden Organisationen vor – allein in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden 64 Menschen verhaftet.

 

Ob diese Linie weiter verfolgt wird, zeigt der kommende Gipfel des Golfkooperationsrats, auf dessen Agenda das Vorgehen gegen Islamisten steht. Verglichen mit den anderen Staaten des Nahen Ostens und auch mit den direkten Nachbarn, fällt dem politischen System Kuwaits aus einem Grund eine Sonderrolle zu: In keinem anderen Staat verfügt das Parlament über solch eine Fülle an Instrumenten, um politische Macht auszuüben und die Arbeit der Regierung zu kontrollieren.

 

Dies wurde direkt nach dem Wahlsieg der Islamisten im Februar deutlich, als teils langjährige Minister durch Untersuchungsausschüsse zum Rückzug gezwungen wurden. Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass dies für die rasche Auflösung des Parlaments mit verantwortlich war. Ein juristischer Formfehler bei der Auflösung des vorherigen Parlaments im Jahr zuvor – der bislang niemanden gestört hatte – war schnell durch das Verfassungsgericht, dass in diesem monatelangen Konflikt mal auf Seiten der Regierung, mal auf Seiten der Opposition stand, gefunden.

 

Ob die Wahlen kommenden Monat zur Farce verkommen, oder sich Opposition und Regierung auf faire Bedingungen einigen können, hängt auch vom Ablauf der morgigen Demonstrationen ab. Im Oktober setzte die Polizei noch Tränengas gegen Aktivisten ein und verhaftete mehrere frühere Parlamentarier. Schafft es die Opposition, abermals Zehntausende zu mobilisieren, könnte die Regierung zum Einknicken gezwungen werden

Von: 
Nils Metzger

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