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Pressefreiheit in Aserbaidschan

Hört endlich auf wegzusehen

Feature

Aserbaidschans führende Journalistin Khadija Ismayilova sitzt seit Freitag im Gefängnis. Während ihr in einem fingierten Verfahren der Prozess gemacht wird, wünscht sie sich, der Westen möge Aserbaidschan endlich die Stirn bieten.

Die vielfach ausgezeichnete Investigativ-Journalistin Khadija Ismayilova steht seit Freitag, dem 5. Dezember 2014, in Aserbaidschan vor Gericht. Die Anklage erinnert – wieder einmal – an sowjetische Zeiten: Ismayilova wird vorgeworfen, sie habe ihren Kollegen Tural Mustafayev mit einem Eifersuchtsdrama in den Selbstmord getrieben. Ein absurder Vorwurf, von Regierungsseite geschickt konstruiert und mit Hilfe der regimetreuen Presse breit gestreut.

 

Die Stoßrichtung ist nicht neu: Bereits vor einiger Zeit sollte Ismayilova mittels eines heimlich gefilmten Videos aus ihren Privaträumen zur Aufgabe ihrer Recherchen gedrängt werden – erfolglos. Ismayilova ging stattdessen mit den Aufnahmen an die Öffentlichkeit. Nun folgt der offizielle Versuch, die prominente Kritikerin zu diskreditieren und zum Schweigen zu bringen. Ihre Facebook-Seite ist bereits offline.

 

Ismayilova hatte in der Vergangenheit mehrfach Verbindungen hoher Regierungsmitglieder, inklusive der Familie von Präsident Ilham Aliyev, mit hochdotierten Offshore-Accounts und heimlichen Firmenimperien nachgewiesen. Noch wenige Tage vor ihrer Verhaftung am Freitag warf Ismayilova unter anderem dem mächtigen Vorsitzenden des Präsidentenapparats Ramiz Mehdiyev – nach dem Präsidenten der zweitwichtigste Mann in Aserbaidschan – und seiner Familie unlautere Geschäfte und Korruption vor.

 

Prompt holte Mehdiyev nun zum Gegenschlag aus und bezeichnete Ismayilova in einer langen, an den Kalten Krieg erinnernden Stellungnahme als »Staatsfeindin« und »Agentin des Westens«. Ismayilova, die als Freelancerin vor allem für Radio Free Europe/Radio Liberty arbeitet, sei Teil eines vor allem von den USA finanzierten Netzes aus internationalen Organisationen mit Sitz im Westen, die als »5. Kolonne« getarnt im Gewand von Menschenrechtsorganisationen ganze Staaten und ihre Politik unterwanderten und zu lenken versuchten.

 

»Mehdiyevs Stellungnahme ist eine Trendwende«, sagt Thomas de Waal vom US-amerikanischen Think Tank CEIP im Emailaustausch mit zenith, »der Text hätte auch direkt aus dem Kreml stammen können.« Die Wende in Richtung Moskau zeige, dass Aserbaidschans Regierung Russland als eine Art »Versicherung« gegen einen Regimewechsel nutze, so der Analyst weiter. »Putin und Aliyev möchten nichts in der Welt mehr vermeiden«, ist de Waal überzeugt und fügt hinzu: »Die westlichen Länder werden damit zu reinen Geschäftspartnern und Alliierten bei Sicherheitsarrangements.«

 

Mehdiyev, der schon zu Zeiten des alten Präsidenten Heydar Aliyev ein mächtiger Mann im Staat war, machte mit seinen Worten auch den kläglichen Versuch der Anklage zunichte, der Öffentlichkeit ein normales Strafverfahren vorzugaukeln: Wer würde nun noch Ali Hasanov Glauben schenken, ebenfalls ranghohes Mitglied des Präsidentenapparates, der behauptete, Ismayilovas Verfahren sei vollkommen unpolitisch und die Journalistin werde einzig aufgrund strafrechtlicher Gründe festgehalten?

 

Zahlreiche internationale Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch verurteilten Ismayilovas Verhaftung, auch die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit Dunja Mijatovic bezeichnete Ismayilovas Verhaftung als Teil der anhaltenden Repressionskampagne gegen sämtliche Formen der Regimekritik.

 

Ismayilova lehnt Geheimverhandlungen um ihre Freilassung ab

 

»Vielleicht ist es schwer zu verstehen, aber wir sind auch ein bisschen froh«, kommentiert Ismayilovas Kollege Emin Milli, Direktor des unabhängigen Medienkanals Meydan TV, die Ereignisse. »Es hätte schließlich auch schlimmer kommen können«, meint er und erinnert implizit an die ungeklärten Mordfälle an den Journalisten Elmar Huseynov (2005) und Rafiq Tagi (2011). Milli, einst selbst inhaftiert und heute im Exil in Deutschland, kennt das Risiko nur zu gut.

 

Auf seiner Facebook-Page ruft er deshalb dazu auf, den Wunsch der Kollegin zu respektieren, keine Geheimverhandlungen um ihre Freilassung zu führen. Ismayilova, entschlossene Gegnerin der Diplomatie hinter verschlossenen Türen, forderte via Facebook ihre Unterstützer bereits im Februar dazu auf, sich offen für Menschenrechte und die Einhaltung internationaler Abkommen einzusetzen. Wer sich nicht offen dafür einsetzen wolle oder könne, solle lieber gar nicht handeln, schrieb sie. B

 

ezeichnenderweise stoßen die Kontrahenten Mehdiyev und Ismayilova mit ihrer Kritik am Westen aus entgegengesetzten Richtungen in dasselbe Horn: Beide werfen dem Westen »doppelte Standards« in Bezug auf ihre Menschenrechtsarbeit vor. Während die Elite um Mehdiyev jedoch einzig um ihre Pfründe und Macht fürchtet, fordert Ismayilova die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich weniger ums Öl und mehr um die Einhaltung internationaler Abkommen zu kümmern. Hört endlich auf wegzusehen, ist ihre Devise. Dafür sitzt sie jetzt im Gefängnis.

Von: 
Sara Winter Sayilir

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