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Ovadia Josef und die sephardischen Juden

Die graue Eminenz der sephardischen Juden

Nachruf

Ovadia Josef war das spirituelle Oberhaupt der orthodox-sephardischen Schas-Partei. Er war geschickter Strippenzieher in Israels Innenpolitik – und für seine verbalen Ausfälle gefürchtet. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.

Seine Anhänger nannten ihn »unseren Meister«, seine Gegner betrachteten ihn als »jüdischen Ajatollah« – Ovadia Josef spaltete Israel. Er war der spiritus rector der Schas-Partei (zu Deutsch: »Sephardische Tora-Wächter«), Sprachrohr derjenigen Israelis, die vor zwei Generationen aus den arabischen Anrainerstaaten in den Staat zwischen Mittelmeer und Jordan eingewandert waren. Der Sohn eines Bagdader Händlers war eine theologische Ausnahmeerscheinung.

 

Er wird bereits mit 20 Jahren Rabbiner und hat von 1968 bis 1973 das Amt des sephardischen Oberrabbiners in Israel inne. Josef gilt lange als liberal, als Vertreter der Hillel-Schule innerhalb der orthodoxen Welt und erhält bereits Anfang der 1970er Jahre den prestigeträchtigen Israelpreis für seine halachischen Werke, von denen er im Laufe seines Lebens insgesamt mehr als 50 handschriftlich zu Papier bringen sollte. Er erlaubt orthodoxen Frauen Hosen zu tragen, setzt sich maßgeblich dafür ein, dass mehr als 14.000 »Beta Jisrael« nach ihrer Flucht aus Äthiopien in Israel als Juden anerkannt werden, und spricht sich während des Oslo-Prozesses für die Formel »Land gegen Frieden« mit den Palästinensern aus.

 

Sprachrohr im Kampf gegen die aschkenasische Hegemonie in Politik und Wirtschaft

 

Doch der Vater von elf Kindern und Bruder eines »Etzel«-Kämpfers war in den vergangenen Jahren zum politischen Hardliner avanciert und polemisiert gegen Freund und Feind gleichermaßen. Benjamin Netanjahu nannte er einst eine »Ziege«, Ariel Scharon einen »Kriegstreiber, der Schweine liebt« und Mahmud Abbas wünschte er stellvertretend für alle Palästinenser die Pest. Geschadet hatte es dem Mann mit dem weißen Bart, der eine Vorliebe für rosa Sonnenbrillen und goldverzierte Kaftane hatte, nie wirklich.

 

Der Grund: Viele Juden orientalischer Provenienz, rund 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, sahen in ihm ihr Sprachrohr im Kampf gegen die aschkenasische Hegemonie in Politik und Wirtschaft. Nicht zuletzt aufgrund der Bildungs- und Sozialeinrichtungen – vor allem dem von ihm mit aufgebauten Netzwerk von Suppenküchen und Schulen namens »El ha-Ma’ajan« – zu Deutsch: »Hin zur Quelle« – entschieden sich seit 1984 immer wieder große Teile der orthodox-sephardischen Gemeinschaft dafür, die von Ovadia Josef mitgegründete Schas-Partei zu wählen.

 

Mit dieser Macht ausgestattet zog er im innenpolitischen Ränkespiel mit List und Geschick die Fäden aus dem Hintergrund. Als graue Eminenz hat er über Jahrzehnte Minister kommen und gehen sehen, die Tel Aviver Bohème mit seinen Aussprüchen bis aufs Blut gereizt und dabei gleichzeitig in den eigenen Reihen eine König-gleiche Verehrung erfahren. Nun ist Ovadia Josef im Alter von 93 Jahren nach langer Krankheit im Hadassa-Krankenhaus in Ein Kerem verstorben.

Von: 
Dominik Peters

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