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Opposition siegt bei den Wahlen in Georgien

Ein georgischer Traum?

Analyse

Nach dem Sieg der Opposition in Georgien müssen Präsident Sakaashvili und Milliardär Ivanishvili bis mindestens 2013 miteinander auskommen. Das birgt Konfliktpotenzial – aber auch die Chance für ein »georgisches« Demokratiemodell.

Die Parteienkoalition »Georgischer Traum – Demokratisches Georgien« ist aus den am ersten Oktober abgehaltenen Parlamentswahlen als Sieger hervorgegangen. Inzwischen hat die georgische Wahlkommision über 97 Prozent der Wählerstimmen ausgezählt. Demnach hat die Oppositionskoalition bei der Listenwahl 55 Prozent der Stimmen gewonnen, während sich die Regierungspartei ENM mit 40 Prozent zufrieden geben musste.

 

Von den 150 Sitzen im Parlament werden 77 nach Listenwahl und 73 als Direktmandate vergeben. Bei den Direktmandaten ist das Ergebnis knapper ausgefallen, doch auch hier führt die Opposition. Diese hat bereits mit der Regierungsbildung begonnen. Kurz nach Schließung der Wahllokale Montagabend vermeldeten die Fernsehsender erste, auf Wählerbefragungen basierende Prognosen.

 

Während die Regierungssender dabei Präsident Saakashvilis Partei ENM vorne sahen, gab der Oppositionssender Imedi TV dem »Georgischen Traum« die Führung. Nicht nur die Agentur Reuters sondern auch die Anhänger von Bidzina Ivanishvili und seiner Parteienkoalition sahen die Schätzungen von Imedi TV als realistischer an. Letztere stürmten auf die Straßen; bis spät in die Nacht fuhren hupende Autos mit Fahnen schwenkenden Insassen auf den Boulevards auf und ab.

 

Auch Präsident Saakashvili räumte kurz darauf in einem Fernsehinterview ein, dass seine Partei bei der Listenwahl unterlegen sei, ob der Führung bei den Direktmandaten dennoch die Wahl gewinnen werde. Sein Herausforderer Ivanishvili hingegen erklärte, mit 100 der 150 Sitze für seine Koalition zu rechnen. Am Morgen war es dann in den Straßen wieder still.

 

Die Wahlkommission setzte die Auszählungen fort. Dabei wurde die Führung für die Opposition immer deutlicher. Am späten Vormittag trat der Präsident dann selbst vor die Kameras um seine Wahlniederlage einzuräumen. Er selbst halte Ivanishvilis Ansichten und Standpunkte zwar für die falschen, respektiere aber den Wählerwillen und sei dazu bereit, nun seinerseits in die Opposition zu gehen. Saakashvili ist mit seinen 44 Jahren noch jung und kann durchaus hoffen, Fehler der neuen Regierung zu seinen Gunsten auszunutzen, um wieder an Popularität zu gewinnen.

 

Ivanshvili fordert den Präsidenten zum Rücktritt auf

 

Ivanishvili hingegen erklärte, nach der Wiedererlangung seiner georgischen Staatsbürgerschaft das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben. Aufgrund einer im Jahr 2010 vorgenommenen Gesetzesänderung wird ab dem nächsten Jahr der Ministerpräsident erstmals nicht mehr vom Präsidenten, sondern durch das Parlament bestimmt.

 

Saakashvili – der nach zwei absolvierten Amtszeiten zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr nicht mehr antreten darf – musste sich ob dieser Änderung den Vorwurf gefallen lassen, mithilfe des Putin'schen Modells eine Verlängerung seiner Regierungszeit anstreben zu wollen. Nun führt diese Regelung wahrscheinlich zu einer bis zu den Präsidentschaftswahlen 2013 andauernden Machtteilung von Saakashvili als Präsidenten mit Ivanishvili (oder einem anderen Vertreter des »Georgischen Traumes«) als Ministerpräsidenten.

 

Ivanishvili und seine Anhänger wünschen jedoch einen klaren Schnitt. Daher  forderte der Wahlgewinner den Präsidenten bereits letzte Nacht zum Rücktritt auf. Tatsächlich birgt der Umgang mit dem »System Saakashvili« ein gewisses Konfliktpotential. Denn diverse Mitglieder von des »Georgischen Traumes«, von Ivanishvili bis zum Wahlhelfer, sahen sich im Vorfeld der Wahlen Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt.

 

Sie könnten nun ihre Rehabilitierung verlangen. Zudem waren es auch die zunehmende Angst vor Bespitzelung und staatlicher Willkür sowie Unwillen gegenüber der Elitenkorruption, welche die Stimmung gegen die amtierende Regierung wendeten. Ivanishvili hat bereits angekündigt, gegen jene Regierungsvertreter, die sich Verbrechen schuldig gemacht haben, vorgehen zu wollen. Dies war eine klare Kampfansage für den Fall, dass Saakashvili nicht freiwillig auf das Präsidentenamt verzichten würde.

 

Ein weiterer positiver Schritt für Georgien als einem Nachfolgestaat der Sowjetunion

 

Allerdings wird Ivanishvili für seinen Konfrontationskurs wohl kaum Unterstützung aus der EU oder USA erhalten. Dort ist man erleichtert, dass die Wahlen ohne Zwischenfälle auf reguläre Weise abgelaufen sind und wünscht eine parlamentarische Lösung von Konflikten. Eine deutliche Unterstützung aus Moskau hingegen würde nur Saakashvilis Bestreben dienen, seinen politischen Rivalen als Handlanger Russlands darzustellen.

 

Obwohl nun also ein Wahlergebnis vorliegt, ist der Kampf um die Macht noch nicht beendet und kann bis zu den Präsidentschaftswahlen in einem Jahr anhalten. Im günstigsten Fall wird er sich auf parlamentarische und juristische Auseinandersetzungen beschränken. Abgesehen hiervon muss die Parteienkoalition des »Georgischen Traumes« ihren Zusammenhalt zukünftig auch in der parlamentarischen Tagesarbeit beweisen und sich eben jenen Aufgaben stellen, welche auch die Regierung Saakashvili in ihrer Amtszeit nicht oder nur ansatzweise zu lösen vermochte.

 

Neben der grassierenden Arbeitslosigkeit gehört hierzu laut Ivanishvili auch eine Normalisierung der Beziehungen zum großen Nachbarn Russland und die (Wieder-)Erschließung der dort vorhandenen Absatzmärkte für georgische Produkte. Dies ist unter der gegenwärtigen Regierung nicht möglich, da Präsident Putin seit dem Krieg 2008 jedweden Kontakt mit Präsident Saakashvili ablehnt und die direkten diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern weiterhin ausgesetzt sind.

 

Inwieweit man in Moskau jedoch bereit ist, Georgien zukünftig als Partner anzuerkennen, steht noch in den Sternen. Auch wenn nicht alle Georgier mit dem Ablauf der Wahlen zufrieden sein werden, so ist der Ablauf der Wahlen als Erfolg zu bezeichnen. Während die letzten Parlamentswahlen unter dem Vorwurf der Fälschung litten, sicherten diesmal rund 1600 ausländische Beobachter den Ablauf von Abgabe und Auszählung der Stimmen.

 

Sowohl EU wie OSZE und USA hatten eine reguläre und transparente Wahl eingefordert, und diese als Test für die georgische Demokratie bezeichnet. Viele Georgier sehen diese Wahlen denn auch als die ersten wirklich freien in ihrem Lande. Dies ist ein weiterer positiver Schritt für Georgien als einem Nachfolgestaat der Sowjetunion, der weder in die Russische Föderation noch in die Europäische Union integriert, auch nicht in die Autokratie abgedriftet ist, sondern stattdessen seine Demokratisierung aus eigener Initiative und mit eigenen Mitteln vorantreibt.

Von: 
Arne Segelke

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