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Nach den Wahlen in Georgien

Unspektakulär demokratisch

Analyse
von A.S.

Der Machtwechsel in Georgien geht geräuschlos über die Bühne. Premier Ivanishvili feiert mit seinem Kandidaten Margvelashvili einen deutlichen Triumph über Mikhail Saakashvili – und kündigt seinen baldigen Rückzug aus der Politik an.

Am Sonntag ist Giorgi Margvelashvili mit über sechzig Prozent der Stimmen zu Georgiens neuem Staatspräsident gewählt worden – ein klares Votum für den Kandidaten, den hinter ihm stehenden Premierminister und Regierungschef Bidzina Ivanishvili sowie die sie vereinende Parteienkoalition »Georgischer Traum«. Die Eindeutigkeit des Ergebnisses war allerdings auch der geringen Popularität der Gegenkandidaten sowie des scheidenden Präsidenten Saakashvili und dessen Partei »Vereinte Nationale Bewegung« geschuldet, der der mit rund zwanzig Prozent der Stimmen zweitplatzierte Davit Bakradze angehört.

 

Die Wahlen zeitigen das Ende der Ära Saakashvili sowie eine Stabilisierung von Ivanishvilis Macht und bezeugen gleichzeitig die Etablierung der parlamentarischen Demokratie in Georgien. Das endgültige Wahlergebnis wird im Laufe der Woche bekannt gegeben. Nicht nur für georgische Verhältnisse verliefen die Wahlen unspektakulär. Keiner der insgesamt 23  Bewerberinnen und Bewerber um das präsidiale Amt konnte im Vorfeld der Wahlen wirkliche Begeisterung hervorrufen. Als aussichtsreichste Kandidaten galten Margvelashvili, Bakradze sowie Nino Burjanadze, die am Sonntag als Drittplatzierte rund zehn Prozent der Stimmen errang. Die 49-Jährige ist eine Veteranin der jungen georgischen Demokratie.

 

Im Jahr 2003 war sie Mikhail Saakashvili in dessen Putsch gegen seinen politischen Ziehvater Eduard Shevardnadse gefolgt und hatte nach den Präsidentschaftswahlen 2004 – die Saakashvili mit beindruckenden 97 Prozent der Stimmen gewann – den Posten der Parlamentssprecherin bekleidet. Als Saakashvili, beschwingt durch seinen äußerst erfolgreichen Reformkurs, zunehmend autoritäre Züge an den Tag legte, wandte sie sich jedoch im Jahr 2008 von ihm ab und gründete den oppositionellen Think Tank »Foundation for Democracy and Development« (FDD). Einer ihrer wissenschaftlichen Berater in der Denkfabrik war Giorgi Margvelashvili.

 

Ihre Nachfolge als Parlamentssprecher trat Davit Bakradze an, der zu einem kleinen Kreis von Getreuen gehörte, auf die sich Saakashvili bei der Amtsführung stützte, während er seine Befugnisse als Staatspräsident stetig weiter ausbaute – auch dadurch büßte der Präsident stetig an Popularität ein. Bei den Präsidentschaftswahlen 2009 konnte er nur mehr 53 Prozent der Stimmen verbuchen. Da die georgische Verfassung nur eine einmalige Wiederwahl des Präsidenten gestattet, schien Saakashvilis Zeit als Staatsoberhaupt ohnehin begrenzt.

 

Eine vom ihm auf den Weg gebrachte Verfassungsreform, welche die Befugnisse des Präsidenten schmälerte und jene des Premierministers stärkte, ließ allerdings den Verdacht aufkommen, dass Saakashvili beabsichtigte, »den Putin zu machen« und seine Herrschaft als Premierminister fortzusetzen.

 

Versachlichung der Regierungsführung und zielgerichtete Demontage von Saakashvili und dessen Getreuen

 

Doch dann erklärte Bidzina Ivanishvili – der mit Abstand reichste Georgier und ehemaliger Unterstützer Saakashvilis – überraschend, bei den Parlamentswahlen 2012 als Spitzenkandidat der neugeschmiedeten Oppositionskoalition »Georgischer Traum« anzutreten. Durch deren Wahlsieg fiel Saakashvili in die eigene Grube. Denn nun saß er im dem durch die Verfassungsänderung geschwächten Amt des Staatspräsidenten fest, während Ivanishvili das gestärkte Amt des Premierministers einnahm.

 

Nach seinem Amtsantritt bemühte sich Ivanishvili um eine Versachlichung der Regierungsführung und betrieb gleichzeitig eine zielgerichtete Demontage von Saakashvili und dessen Getreuen. Mehrere ehemalige Minister sowie der ehedem einflussreiche Bürgermeister der Hauptstadt Tiflis sahen sich mit Anklagen wegen Korruption und Amtsmissbrauch konfrontiert. Bei der Kabinettsbildung bevorzugte Ivanishvili Kandidaten, die sich durch Sachkenntnis und ein eher moderates Auftreten auszeichneten.

 

Einzig die Ernennung des populären Fußballspielers Kakha Kaladze zum Energieminister fiel hier aus der Reihe. Zum Bildungsminister ernannte er Giorgi Margvelashvili, der bald zum Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen avancierte. Der promovierte Philosoph galt als fähiger und integrer, aber zugleich farbloser und wenig charismatischer Kandidat, der während des Wahlkampfs die Anhänger des »Georgischen Traums« nicht wirklich mitzureißen vermochte.

 

Seine ehemalige Arbeitgeberin und nunmehrige Mitkonkurrentin Burjanadze sprach ihm die notwendige politische Erfahrung für das präsidiale Amt ab. Der in seinem Auftreten zwar stets verbindliche, in der Sache aber eisenharte und zielstrebige Ivanishvili sah sich genötigt, seinem Kandidaten Beine zu machen. Er legte Margvelashvili den Rücktritt nahe, sollte dieser die Wahl nicht bereits im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen gewinnen.

 

Deutlicher Sieger bei geringer Wahlbeteiligung

 

Im Endeffekt war es aber vermutlich kein ungeschickter Schachzug, ein unbeschriebenes Blatt wie Margvelashvili gegen die politisch vorbelasteten Kandidaten Bakradze und Burjanadze antreten zu lassen. Den anderen 20 Kandidatinnen und Kandidaten wurden von vornherein kaum Chancen eingeräumt. Allein die ehemalige Außenministerin Salome Zourabichvili hätte eventuell noch eine nennenswerte Anzahl Stimmen auf sich vereinen können.

 

Da sie neben ihrer georgischen jedoch auch eine französische Staatsbürgerschaft besitzt, erkannte die Wahlkommission ihre Kandidatur nicht an. Im Gegensatz zu den Präsidentschaftswahlen 2012 blieben große Kundgebungen der Kandidaten die Ausnahme. Auch auf den Hauswänden von Tiflis überwogen Plakate, die ein Gratis-Freiluft-Rapkonzert von Ivanishvilis Sohn Beria ankündigten, die Wahlwerbung der Kandidaten.

 

In entsprechend unaufgeregter Stimmung und mit einer Wahlbeteiligung von nur knapp 50 Prozent fand dann am Sonntag der Urnengang statt, aus dem Margvelashvili als deutlicher Sieger hervorging. Nun sind die Augen allerdings weniger auf ihn, sondern auf Premierminister Ivanishvili selbst gerichtet. Der Milliardär hatte von vornherein angekündigt, nur ein kurzfristiges Intermezzo in der Politik geben zu wollen. Nachdem der Wahlausgang das endgültige Ende der Ära Saakashvili besiegelte, will er am 2. November den Namen seiner potentiellen Nachfolgerin oder Nachfolgers bekanntgeben. Bisher ist nur bekannt, dass es sich um ein Mitglied seines Kabinetts handeln wird.

 

Für den Machtwechsel auf demokratischem Weg gebührt den Georgiern Respekt

 

Nicht in Frage kommt nur der bisherige Wirtschaftsminister und Vizepremier Giorgi Kvirikashvili, der diese Funktion auch unter dem neuen Premier behalten soll. Zwei Wochen später soll diese/r sich der Bestätigung durch das Parlament stellen, um dann bis zum 20. November ein eigenes Kabinett bilden zu können. Vizepremier Kvirikashvili und Präsident Margvelashvili werden diesen Machttransfer begleiten, während Ivanishvili sich aus dem Tagesgeschäft der Politik zurückzieht.

 

Befürchtungen, dass er weiterhin aus dem Hintergrund die Fäden ziehen würde, wies der amtierende Premierminister zurück. »Ich werde mir nicht erlauben, Fragen zu stellen oder von der Seite Anweisungen zu geben. Wenn sie [die Kabinettsmitglieder] es wünschen, werden sie mich anrufen. Das ist am Anfang in Ordnung, aber es wird zunehmend abnehmen«, erklärte Ivanishvili in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

 

Danach wird der harte Alltag einkehren und Regierung wie Parlamentarier sich den drängenden Problemen des Landes widmen müssen: einer schwächelnden Wirtschaft, hoher Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit bei der Jugend und leeren Rentenkassen. Außenpolitisch stehen diverse Grenz- und Territorialkonflikte mit den Nachbarstaaten (vor allem um Süd-Ossetien und Abchasien), die damit verbundenen Beziehungen zum großen Nachbar Russland sowie die langfristig erhoffte Mitgliedschaft in der EU auf der Agenda.

 

Georgiens Weg in die Zukunft ist hart und steinig. Aber unmöglich scheint nichts für ein Land, das als einziger Nachfolgestaat der Sowjetunion auf unblutigem und demokratischem Wege einen Machtwechsel vollbracht hat, ohne dabei in die EU eingebunden oder die Autokratie abgedriftet zu sein. Bereits hierfür gebührt den Georgiern alle Bewunderung.

Von: 
A.S.

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