Lesezeit: 7 Minuten
Nach den Präsidentschaftswahlen in Mali

»IBK« und der Schlüssel zum Frieden

Analyse

Uneinigkeiten sowohl zwischen wie auch innerhalb der Rebellengruppen im Norden Malis erschweren die Verhandlungen für Präsident Keita. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit muss »IBK« die Weichen für Malis Zukunft stellen.

Mit der Wahl von Ibrahim Boubacar Keita (kurz IBK) zum neuen Präsidenten Malis wurde die Übergangszeit nach dem Militärputsch vom März 2012 recht zügig nach einem knappen Jahr offiziell beendet. Mit dieser Wahl verbinden sowohl viele Malier als auch internationale Akteure große Hoffnungen auf einen politischen Neuanfang. Zunächst wird die dringlichste Aufgabe des neuen Präsidenten die Verhandlung eines endgültigen Friedensabkommens für den Norden sein, das das vorläufige vom Juni dieses Jahres ablöst.

 

Dabei müssen zentrale Fragen beantwortet werden: Soll der Norden beziehungsweise die Unruheprovinz Kidal im äußersten Nordosten Malis einen besonderen Status erhalten? Werden die Rebellen bereit sein, ihre Waffen abzugeben? Wie soll mit den Gefangenen umgegangen werden? All diese Fragen bergen eine hohe politische Sprengkraft, denn die Ergebnisse werden von der Bevölkerung im Norden wie im Süden akzeptiert werden müssen, um diesmal eine nachhaltige Friedensperspektive zu schaffen.

 

Mit der Einrichtung eines Ministeriums für »Nationale Versöhnung und Entwicklung der Regionen des Nordens« wird dem hohen Stellenwert und der Dringlichkeit der Lösung dieser Fragen Rechnung getragen. Die malische Armee ist – unter Aufsicht der MINUSMA (»Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali«) sowie französischer Soldaten – seit der Verabschiedung des vorläufigen Friedensabkommens im Juni in Kidal stationiert; doch dies ist vor allem von symbolischer Bedeutung, ebenso wie die Durchführung der Präsidentschaftswahlen in Kidal.

 

Keine Unabhängigkeit für den Norden – aber Dezentralisierung verstärkt umsetzen

 

Die malische Bevölkerung akzeptiert dieses Arrangement für den Moment, doch es besteht kein Zweifel, dass dieser Zustand nur von begrenzter Dauer sein kann. Bei einem Besuch von drei Ministern der neuen Regierung Mitte September in Kidal zur Vorbereitung der Friedensverhandlungen, demonstrierte die MNLA (»Mouvement National de Libération de l’Azawad«) erneut ihre Macht; die Minister wurden bereits bei ihrer Ankunft auf dem Rollfeld von der MNLA beziehungsweise ihr nahestehenden Gruppen angegriffen.

 

Erst wenige Tage zuvor war es an der Grenze zu Mauretanien zu einem Zusammenstoß zwischen der malischen Armee und Rebellen der MNLA gekommen. Die neue malische Regierung bietet den Rebellen die verstärkte Umsetzung des seit Jahren laufenden Dezentralisierungsprozesses an; ein Sonderstatus für Kidal oder gar eine Autonomie, wie lange Zeit von den Rebellen gefordert, ist jedoch innenpolitisch weder im Norden noch im Süden Malis mehrheitsfähig.

 

Der neu gewählte Präsident IBK bestätigte dies kürzlich gegenüber der Tageszeitung L’Indépendant nach einem Treffen mit den Rebellen sowie einigen Milizen verschiedener Ethnien aus dem Norden Malis: »Es wird weder eine Unabhängigkeit, noch einen Föderalismus und noch viel weniger eine Autonomie für irgendeine Region Malis geben (…). Diese drei Punkte sind nicht verhandelbar.«  

 

Die Antwort der Rebellen ließ nicht lange auf sich warten: »Wir verhandeln nichts anderes als die Autonomie für Azawad, sonst gibt es keine Verhandlungen«, ließen sie im Blatt Le Republicain zwei Tage später verlautbaren. Hier werden zum einen die Uneinigkeit zwischen der MNLA und anderen bewaffneten Gruppen im Norden, u.a. dem HCUA (»Haut Conseil pour l’unité de l’Azawad«) und verschiedenen Milizen, und zum anderen auch Differenzen innerhalb der MNLA deutlich: Wenige Tage zuvor hatten mehrere Gruppen aus dem Norden, darunter auch Vertreter der MNLA, sich noch für den Erhalt der nationalen Einheit und die territoriale Integrität Malis ausgesprochen.

 

Allerdings folgten hierauf sofort ablehnende Reaktionen anderer MNLA-Angehöriger, die sich durch die Vertreter, die sich zu Vorgesprächen in Bamako aufhielten, nicht angemessen repräsentiert fühlen und ihnen eine Entkopplung von der Basis vorwerfen. Diese Differenzen innerhalb der MNLA als auch zwischen den verschiedenen Gruppen versetzen die neue malische Regierung einerseits in eine stärkere Position bei den Verhandlungen, die laut dem vorläufigen Friedensabkommen vom Juni spätestens Anfang November beginnen müssen.

 

Andererseits erschweren sie die verbindliche Einigung und Umsetzung eines endgültigen Friedensabkommens. Bereits jetzt stockt die Umsetzung des vorläufigen Abkommens, so hat etwa die darin vorgesehene schrittweise Entwaffnung der Rebellen noch nicht einmal begonnen. Der Präsident weiß, dass die Lösung der »Kidal-Frage« das dringlichste Problem seiner Amtszeit ist und will so schnell wie möglich mit den Verhandlungen starten.

 

Zentrale Herausforderung: Erhalt der Nationalen Einheit

 

Für den Erhalt der nationalen Einheit Malis ist die Entwicklung des Nordens eine wichtige Voraussetzung. Die Unterentwicklung des Nordens hat zur Eskalation der Krise beigetragen. Nach der Beendigung des akuten Konfliktes gilt es, die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Nordens zu unterstützen. Dies darf aber keinesfalls auf Kosten des Südens gehen. Die in der Vergangenheit starken Ressentiments zwischen dem Norden und dem Süden Malis sind gegenwärtig zwar abgeschwächt und das Bekenntnis zur Einheit der Nation dominiert – noch.

 

Sollte es jedoch zu einer offensichtlichen Ungleichbehandlung zwischen Nord und Süd kommen, kann diese Spaltung in der Gesellschaft sehr schnell wieder aufbrechen und den Stabilisierungsprozess gefährden. Deshalb ist es unerlässlich den – ebenfalls unterentwickelten – Süden Malis zu fördern. Der Ansatz von Präsident IBK, auf eine verstärkte Umsetzung der Dezentralisierung zu setzen, ist folglich in mehrfacher Hinsicht klug: Zum einen ist es ein politisch mehrheitsfähiger Ansatz.

 

Zum anderen erlaubt dies die Stärkung der Kommunen im Norden wie im Süden Malis gleichermaßen und kann damit einer wahrgenommenen Ungleichbehandlung und Bevorzugung entgegenwirken. Ein politischer Neuanfang in Mali ist möglich – die Förderung der Entwicklung im Norden wie im Süden ist der beste Weg zu nachhaltigem Frieden und Stabilität in ganz Mali.


Annette Lohmann leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.
Von: 
Aus Bamako berichtet Annette Lohmann

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.