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Militäreinsatz in Gaza

Gewalt stärkt nur die Gewaltbereiten

Analyse

Die Netanjahu-Regierung versucht, mit dem Militäreinsatz in Gaza die Hamas zu schwächen und die palästinensischen Einheitsbemühungen endgültig zu stoppen – ein grober Fehler, der die moderaten Kräfte weiter an den Rand drängen wird.

Wie nun selbst von israelischen Polizeistellen zugegeben wurde, war die schreckliche Entführung und Ermordung dreier israelischer Jugendlicher kein Komplott der Hamas. Die Netanjahu-Regierung hatte suggeriert, offenbar wider besseres Wissen, dass die drei Jugendlichen noch am Leben seien. Die israelische Presse durfte über Hinweise, dass die Jugendlichen tot waren, aufgrund einer Nachrichtensperre nicht berichten. Die israelische Armee startete sogar eine rückblickend zutiefst zynische Social-Media-Kampagne unter dem Hashtag #Bring Back Our Boys.

 

Netanjahu hatte diese tragische Situation nicht ungenutzt lassen wollen, um eine massive Kampagne gegen die Hamas zu starten. Schließlich war dem Regierungschef die kürzlich gebildete, von der Hamas gebilligte, palästinensische Einheitsregierung ein Dorn im Auge. Trotz intensiver Bemühungen Israels hatten die USA und die EU diese Regierung akzeptiert. Die Entführung der drei Jugendlichen war aus Regierungssicht die notwendige Legitimation, um die Hamas im Westjordanland zu schwächen. Hunderte Palästinenser, inklusive Hamas-Parlamentarier, wurden verhaftet.

 

Hamas-nahe Sozialeinrichtungen wurden gestürmt, Computer, Geld und Akten konfisziert. Der israelische Wirtschaftsminister Naftali Bennett drohte, man müsse »aus dem Mitgliedsausweis der Hamas eine direkte Fahrkarte zur Hölle machen«. Auf die großangelegte Operation »Brothers Keeper« gegen die Hamas im Westjordanland reagierte diese mit Raketenabschüssen aus Gaza. Hochrangige israelische Regierungsvertreter wie Außenminister Avigdor Lieberman plädierten daraufhin für die Ausweitung der Kampagne auf den Gazastreifen. Diese ließ, nun unter dem Namen »Schutzrand«, nicht lange auf sich warten.

 

Die Netanjahu-Regierung hatte sich für eine neue Konfrontation entschieden, die die Hamas militärisch zwar schwächt, ihr politisch aber Aufwind verschafft. Sie kann sich wieder als Widerstandsbewegung inszenieren und von ihrem politischen Scheitern in Gaza ablenken. So ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass die Hamas ihre Mitarbeiter nicht bezahlen konnte und in Gaza, außer der Verschärfung von religiöser Gesetzgebung, wenig auf die Reihe bekommen hat. Eben noch auf internationaler Ebene an den Rand gedrängt, kann die Hamas jetzt wieder auf die Unterstützung der Türkei, Katars und Irans bauen.

 

Wer den israelischen Angriff auf Gaza 2012 noch vor Augen hat, weiß, wie vorhersehbar das war. Die Hamas, so Haaretz-Kolumnist Ayman Sikseck, muss sich bei der israelischen Rechten bedanken. Die Forderung israelischer Politiker, die Palästinenser müssten sich gegen die Hamas auflehnen, wirkt in Anbetracht der Eskalation realitätsfern. Denn dank der israelischen Offensive kann sich die Hamas wieder als handelnder Akteur in Szene setzen. Die moderate Führung in Ramallah muss gelähmt zuschauen. Die PLO hat die Waffenstillstandsforderungen der Hamas unterstützt und war so ebenfalls gezwungen, den Rivalen aufzuwerten.

 

Die Führung um Präsident Mahmud Abbas im Westjordanland versuchte damit, nicht noch weiter ins politische Abseits zu rutschen. Die Nervosität im politischen Ramallah ist spürbar. Die PA hat große Angst, dass ihre enge Zusammenarbeit mit israelischen Sicherheitskräften die Wut der Demonstranten nach innen richten könnte. Erstmals wurden Demonstranten auf ihrem Weg zu israelischen Checkpoints daher nicht bereits durch palästinensische Sicherheitskräfte aufgehalten. Die Bombardierung des Gazastreifens führt zu großen Protesten im Westjordanland, mit bisher 10 Toten und über 600 Verletzten.

 

Die Hamas rief nun zur dritten Intifada in den besetzten Gebieten auf. Die moderate Führung in Ramallah, die nun 20 Jahre unerschütterlich auf gescheiterte Friedensgespräche gesetzt hat, könnte dem Aufruf nur eine Rückkehr zur UN und einen Gang vor den Internationalen Strafgerichtshof entgegen setzen. Die Staatengemeinschaft täte gut daran, diese moderate, multilaterale Politik zu unterstützen und Israel tatkräftig bei der Beendigung der nun fast 50 Jahre andauernden Besatzung zu helfen. Denn: »Die beste Waffe gegen die Hamas«, so der Haaretz-Kolumnist Peter Beinart, ist, »den Palästinensern Hoffnung zu geben«.


Jakob Rieken ist Programm-Manager bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem. Der Artikel stellt die persönliche Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

Von: 
Jakob Rieken

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