Lesezeit: 9 Minuten
Militär und Revolution in Ägypten

Requiem für die Revolution

Feature

Wer vier Jahre nach dem Aufstand das Revolutionsnarrativ des Militärs herausfordert, lebt in Ägypten gefährlich. Doch der Wirtschaftsabsturz der nachrevolutionären Jahre lässt viele Bürger an die Verheißungen der Führung glauben.

2015 ist Abdel Fattah Al-Sisi der neue Herrscher an der Spitze des alten Systems. Er kann sich auf ehemalige Mubarak-Anhänger stützen, die weiterhin in Verwaltung, Justiz und bei der Polizei Positionen einnehmen. Rückblende: Am 25. Januar 2011 gingen Zehntausende in Kairo auf die Straße – der Auftakt zu landesweiten Protesten. Die Herrschaft von Hosni Mubarak hatte nach 30 Jahren ihr Ablaufdatum erreicht. Seine Beschwichtigungen blieben wirkungslos, die Menschen zeigten ihm nur ihre schmutzigen Schuhsohlen.

 

Die Machtelite Ägyptens wusste, dass sie ein paar Änderungen zulassen musste, um das System zu retten. Mubarak war das Bauernopfer, ein paar Funktionären wurde der Prozess gemacht. Das Militär ließ sich als Beschützer der Revolution feiern. Aus den Wahlen im November 2011 gingen die Muslimbrüder als Sieger hervor. Doch sie verhedderten sich in Fragen zu Islam und Verfassung, im Juli 2013 putschte das Militär gegen ihren Präsidenten Muhammad Mursi. Armee-Chef Sisi holte sich dafür das »Mandat« der Straße – die oppositionelle Plattform »Tamarod« sammelte 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi.

 

Die Geschichte der Revolution wurde bereits vor Sisis Amtsantritt offiziell umgeschrieben: Am dritten Jahrestag steht ein Polizeioffizier auf einer Bühne am Tahrir-Platz und singt vor Tausenden fahnenschwingenden Ägyptern die Nationalhymne – das Innenministerium, das während der Proteste 2011 zahlreiche der mehr als 800 Toten zu verantworten hatte, beansprucht die Revolution nun für sich. Und auch Sisi bastelt weiter am Narrativ, demnach er und das Militär auf der Seite der Revolutionäre stünden. In einer Fernsehansprache am 24. Januar würdigt er die Anstrengungen der Ägypter, die vor vier Jahren für Veränderungen eintraten. Um alle Ziele der Revolution zu erreichen, sei jedoch Geduld erforderlich, mahnt Sisi ein und stellt sich damit rhetorisch an die Seite jener, die vor vier Jahren für ein neues Ägypten auf die Straße gingen.

 

Abseits der Ansprachen und der Berichterstattung gleichgeschalteter Medien zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Am 26. Januar werden Alaa und Gamal Mubarak aus dem Tora-Gefängnis im Süden Kairos entlassen. In den Monaten zuvor werden Mubarak, sein Innenminister Habib Al-Adly und auch der damalige Staatssicherheitschef Ahmed Ramzy freigesprochen. Ein Schlag ins Gesicht derjenigen, deren Angehörige bei den Protesten 2011 getötet wurden.

 

Die Verantwortlichen bleiben straffrei. Stattdessen werden diejenigen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Studenten drohen Militärprozesse, falls sie durch Protestaktionen an den Unis auffallen, kritische Blogger werden weggesperrt, Nichtregierungsorganisationen durch restriktive Gesetz in Schach gehalten - der Zivilgesellschaft werden die Beine gebrochen. Hoffen darf der Bürger nur auf Allah und das durch Staatsmedien zum großen Bruder stilisierte Militär.   

 

»Keine Ausbildung, keine Jobs, kein Geld, keine Zukunft – das Land schläft wieder«

 

Sisi verkauft sich als Garant für Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. Löcher in den Gehsteigen der Innenstadt werden ausgebessert, Plätze neu gepflastert. Bunte Werbetafeln laden zum Konsum. Und auch bei den Pyramiden am Rande der Millionenstadt will die Regierung zeigen, dass sie Veränderung bringt: Sie hat die Kosten für den neuen gelben Anstrich der Touristenkutschen übernommen. Und tatsächlich setzte viele Ägypter ihre Hoffnung in den neuen Heilsbringer. »Die Revolution war eine gute Sache, aber was nutzt sie, wenn ich keine Arbeit habe«, hört man von Geschäftsleuten bei den Pyramiden.

 

Doch so gesichert, wie Sisi propagiert, sind wirtschaftlicher Aufschwung und Stabilität nicht. Wenn islamistische Gruppen wie Ansar Beit al-Makdis am Nordsinai ihre Aktivitäten gegen Touristen richtet, ist es mit den letzten verbliebenen Devisenbringern bei den Pyramiden und am Roten Meer vorbei. Und die Wirtschaftskonferenz im März, zu der die Regierung Sisi internationale Investoren – allen voran vom Golf – nach Sharm El-Sheikh lädt, wird darüber entscheiden, ob und welche Infrastrukturprojekte der Präsident wird verwirklichen können.

 

Die verzweifelte Hoffnung in Sisis Versprechen und der Staatsterror haben dazu geführt, dass am vierten Jahrestag der Revolution wenige Menschen auf die Straße gingen. Die, die es wagten, bekamen die ganze Härte des Regimes zu spüren. Bereits am 24. Januar wurde ein Trauermarsch für die Opfer der Revolution von der Polizei gewaltsam aufgelöst, eine 32-Jährige mit einem Schrotgewehr erschossen. Am 25. Januar wurden weitere 18 Menschen getötet und über 50 verletzt. »Die Revolution ist beendet«, sagt ein Hotelier in Kairo. »Keine Ausbildung, keine Jobs, kein Geld, keine Zukunft – das Land schläft wieder.«

Von: 
Markus Schauta

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.