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Louis Farrakhan und die Nation of Islam

Ich schwadroniere, also bin ich!

Kommentar

Mit seinen jüngsten Aussagen zum jüdischen Einfluss in den USA irritiert Louis Farrakhan, Führer der afroamerikanischen Nation of Islam, nur noch wenige. Tatsächlich ist die Muslimorganisation kaum mehr als ein Schatten ihrer selbst.

Dutzende Frauen mit schneeweißen, schleierartigen Kopftüchern strömen aus der kleinen Moschee nahe Lenox Avenue im New Yorker Stadtteil Harlem. Auf der schmalen Steintreppe zum Eingang stehen mehrere Männer im Gespräch vertieft, jeder von ihnen trägt einen feinen karierten Anzug, eine Brille mit dickem Holzrand und eine Stecknadel mit Stern und Halbmond am Revers – das Symbol der »Nation of Islam« (NOI). Sie wirken mit ihrem sympathisch-intellektuellen, wie auch hoffnungslos altmodischen Äußeren den 1960er Jahren entsprungen, wie lebendige Kopien des Adam-Clayton-Powell-Denkmals einen Block weiter

 

Die Mitglieder der »Muhammad Mosque No. 7« haben nichts mit den bärtigen Predigern zentraleuropäischer Hinterhofmoscheen gemeinsam. Hier versucht man sich aktiv in die Gesellschaft zu integrieren; so lange damit die »Black Community« gemeint ist – als multikulturelle Visionäre verstehen sie sich nicht. Der Fokus auf eine »Schwarze Überlegenheit« sei nicht mehr zeitgemäß und ignoriere die Lebenswelt vieler Menschen, monieren Kritiker der NOI seit Jahren.

 

Die Reden, die Louis Farrakhan anlässlich des »Saviors' Day« der Nation of Islam Ende Februar in Chicago und vergangene Woche an der Universität von Kalifornien auf Einladung einer afroamerikanischen Studentengruppe hielt, mag viele in dieser Meinung bestätigen. »Es ist mir gleich, ob ich nie mit ihnen zurechtkomme, sollte ich die Wahrheit verschweigen müssen, um einen Freund zu gewinnen«, sagte er mit Blick auf eine angebliche jüdische Dominanz in der amerikanischen Politik und Wirtschaft. Zuvor hatte er bereits über eine jüdische Verschwörung zur Ermordung Barack Obamas gemutmaßt. »Ich glaube sie wollen, dass ein Muslim Präsident Obama umbringt«, so Farrakhan. Dann seien Muslime abermals die Sündenböcke.

 

Medien reagieren mit unfreundlichem Desinteresse

 

Während kalifornische Studenten in unmittelbarer Reaktion auf die Rede eine Petition gegen den Auftritt ins Leben riefen, verteidigte Universitätspräsident Mark G. Yudof den Beitrag als »provokant«, aber durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die amerikanischen Medien ignorierten den Auftritt weitgehend. Lediglich die unvermeidlichen konservativen Kommentatoren wie Glenn Beck widmeten sich ausführlich den Worten Farrakhans, die er als abermaligen Beleg für den praktizierten Rassismus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung heranzog. Auf diese Reaktionen angesprochen, reagierten die Gemeindemitglieder in New York zugeknöpft und verwiesen auf eine Gegendarstellung in der Organisationspostille The Final Call, die an den Straßenecken rund um die Moschee verteilt wurde.

 

An diesem Sonntagmittag fallen die Muslime unter all den fein herausgeputzten Gläubigen des Arbeiterviertels kaum auf. Bis zur 125. Straße, dem zentralen Martin Luther King Boulevard, ziehen sich ihre Verkaufsstände, an denen DVDs mit Predigten und Reden von Malcolm X und Farrakhan zum Preis von fünf Dollar angeboten werden. Obwohl das Oberhaupt der NOI seine Lektionen in den letzten Jahren wieder mehr an der sunnitischen Orthodoxie orientierte, ist der Personenkult allgegenwärtig.

 

Die islamisch inspirierte Reformbewegung war eines der zentralen Vehikel der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und zählte unter der Führung des charismatischen Malcolm X, der der Moschee von Harlem selbst bis 1965 vorstand, mehrere hunderttausend Mitglieder. Von ihren Lehren beeinflusst wandten sich auch Legenden wie der Boxer Muhammad Ali dem Islam zu. Damit avancierte die NOI zu einer der wichtigsten Plattformen für die Politisierung der afroamerikanische Gemeinschaft in vielen US-Großstädten.

 

Heute ist sie davon weit entfernt. Die weltweite Anhängerschaft wird auf rund 50.000 geschätzt. Zwar treten noch immer bekannte Hip Hop-Größen bei Kongressen der Nation of Islam auf und ihre Suppenküchen sind bei vielen Armen geschätzt, für die breite Masse der amerikanischen Mittelschicht aber haben die wutgetränkten Ausrufe des Geistlichen aus der Bronx kaum eine Relevanz mehr. Dass er den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi bis zuletzt als Verfechter afrikanischer Unabhängigkeit feierte, ist Ausdruck einer Realitätsferne. Mehr als je zuvor erscheint Louis Farrakhan als ein Charakter des zurückliegenden Jahrtausends.

Von: 
Nils Metzger

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