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Analyse

Abdelqader Saleh ist bei einem Bombardement in der Provinz Aleppo ums Leben gekommen. Seine Tawheed-Brigade verliert ihren militärischen Führer, der Westen einen seiner wenigen berechenbaren Kontakte bei den syrischen Aufständischen.

Den gesamten bisherigen Verlauf des Bürgerkrieges konnte man an der Karriere von Abdelqader Saleh nacherzählen. Von den friedlichen Demonstrationen der ersten Wochen, der schleichenden Radikalisierung seit Mitte 2012 bis hin zur vollständigen Auflösung aller militärischen und moralischen Gesetze in den vergangenen Monaten. Abdelqader Saleh stammte aus Merea, einem der zahllosen Dörfer im Norden der Millionenstadt Aleppo, in denen der Volksaufstand schneller Fuß fasste als in den meisten anderen Teilen des Landes.

 

Durch Verhandlungsgeschick und die kluge Platzierung von Verwandten in zentrale Positionen der Opposition gelang es ihm, zu einem der wichtigsten Kommandeure in der Provinz Aleppo aufzusteigen. Mit der Liwa al-Tawheed gründete er im Juli 2012 einen Dachverband für zahlreiche moderat islamistische, nicht jedoch dschihadistische Rebellenverbände. Am Aufbau eines Systems aus improvisierten Scharia-Gerichten in Aleppo waren seine Berater direkt beteiligt.

 

Sein Einfluss war jedoch auch an eine finanzielle Beteiligung am nahen Grenzübergang Kilis-Azaz gebunden. Über diesen Checkpoint reisten sowohl zahllose ausländische Journalisten ins Land, wie auch ein Großteil des Warenverkehrs für die Provinz über ihn abgewickelt wurden.

 

10.000 Kämpfer in Aleppo – und dadurch ein falscher Eindruck von den Verhältnissen in anderen Landesteilen

 

Saleh, der meist unter seinem nom de guerre Hajji Merea auftrat, besaß eine Medienpräsenz wie kaum ein anderer Feldkommandeur des syrischen Bürgerkrieges. Oft standen die Entwicklungen in Aleppo stellvertretend für die Ereignisse im ganzen Land und dass Aleppo teils auch zum Zerrspiegel wurde, der einen falschen Eindruck von den Verhältnissen in anderen Landesteilen zeigte, war auch Salehs Verdienst.

 

Im Sommer und Herbst 2012 gab er zahlreichen internationalen TV-Stationen umfangreiche Interviews, laut denen der Sieg der Rebellen nahe schien. Wie sehr salafistische Gruppen, gleich ob Dschabhat al-Nusra, oder aktuell der Qaida-Ableger ISIS mehr und mehr an Rückhalt gewannen, gemäßigtere Gruppierungen verdrängten, konnte er nicht endlos lange überspielen. Dass Liwa al-Tawheed mit mehr als 10.000 Kämpfern in Aleppo präsent ist, ist auch zahlreichen schmutzigen Deals mit radikalen Elementen des Aufstandes zu verdanken.

 

Mit Ahrar al-Sham arbeitete man eng zusammen, mit Dschabhat al-Nusra soweit es notwendig schien. Bis zuletzt wurde Liwa al-Tawheed immer wieder genannt, wann immer westliche Staaten darüber diskutierten, Rebellengruppen mit Waffen zu versorgen. Hajji Merea hätte zu den ersten Profiteuren gehört. Doch zuletzt war auch diese Kooperation nicht mehr verlässlich: Nachdem ISIS im Juli 2013 den Grenzort Azaz in seine Hand brachte, die Zahl der von Islamisten entführten Journalisten und Hilfsarbeitern in die Höhe schoss, sah sich Liwa al-Tawheed nicht in der Lage, im Norden Syriens für Sicherheit zu sorgen.

 

13 Rebellengruppen haben sich von der politischen Oppositionsführung losgesagt

 

Die Entwicklung gipfelte in einer gemeinsamen Botschaft von 13 verschiedenen Rebellengruppen im gesamten Land, inklusive Dschabhat al-Nusra, Ahrar al-Sham und auch der Tawheed-Brigade. Ende September, mitten hinein in die Vorbereitungen für die Genf-2-Friedensverhandlungen, sagten sie sich von der politischen Führung durch die oppositionelle »Nationale Koalition« los und forderten eine dezidiert islamistische Staatsführung.

 

Das politische Chaos war perfekt. Seitdem mussten die syrischen Rebellen vor allem in den Provinzen Damaskus und Aleppo heftige Niederlagen einstecken. Während sich die Dschihadisten im Kampf gegen die Kurden im Nordosten aufreiben, interne Konflikte die Rebellen davon abhält, Regierungsoffensiven koordiniert zurückzuschlagen, warf mit Abdul Jabbar al-Okaidi ein führendes Mitglied des oppositionellen Militärrates von Aleppo ernüchtert das Handtuch.

 

Er reichte am 4. November, kurz nachdem die syrische Armee die strategisch wichtige Ortschaft Safira zurück erobert hatte, seinen Rücktritt ein. Dass nun auch Abdelqader Saleh zusammen mit drei weiteren Kommandeuren der Liwa al-Tawheed bei einem Luftangriff auf einen ihrer Kommandoposten ums Leben kam, ist ein weiterer schwerer Schlag für die Rebellen in Aleppo. Unklar ist, ob Abdelaziz Salame, Liwa al-Tawheeds politischer Führer, die Rolle des Militärkommandeurs ausfüllen kann, oder die Miliz auseinander brechen könnte. Die mit charismatischen Führern nur spärlich gesegneten syrischen Rebellen werden Hajji Merea in den kommenden Monaten schmerzlich missen.

Von: 
Nils Metzger

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