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Kuwait und der Krieg in Syrien

Treibstoff für die Kriegsmaschine

Analyse

Offiziell gibt sich Kuwait im Syrien-Konflikt neutral – auch wegen der eigenen schiitischen Bevölkerungsminderheit. Hinter den Kulissen finanzieren Kuwaitis aber Kriegsmilizen – und verhelfen Dschihadisten zu einem Wettbewerbsvorteil.

Je länger er andauert, desto stärker strapaziert der Bürgerkrieg in Syrien die ohnehin fragilen Beziehungen der islamischen Konfessionen im Nahen Osten untereinander. Darüber hinaus hat er sich mittlerweile zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den sunnitischen Monarchien und dem schiitischen Iran und seinen Verbündeten ausgewachsen. In diesen Konflikt ist mittlerweile auch Kuwait verwickelt.

 

Als erstes arabisches Land hatte Kuwait sich im August 2011 öffentlich gegen Syriens brutalen Umgang mit den friedlichen Demonstranten ausgesprochen. Die Regierung des Golfstaats zögerte nicht, deutlich zu machen, wen sie für den Übeltäter hielt, als die ersten Massaker und Feuergefechte stattfanden; und selten waren sich die königliche Familie und das Parlament so einig wie beim Entschluss im März 2012, die Freie Syrische Armee (FSA) zu unterstützen und gleichzeitig das Assad-Regime wegen Kriegsverbrechen anzuklagen.

 

Im September desselben Jahres benannte Kuwaits stellvertretender Premierminister und Außenminister Sabah Al-Khaled Al-Hamad Al-Sabah Syriens Regime als Hauptschuldigen an dem Konflikt im Land: »Die Sachlage ist jedem klar, die syrische Regierung ist verantwortlich für Blutvergießen und den Verlust von Menschenleben.« Selbst der Emir stellte bei einem Treffen der Golfstaaten in Bahrain fest, dass die syrische »Tötungsmaschine nicht stillsteht – jeden Tag sterben Dutzende unserer Brüder in Syrien«.

 

Während des Iran-Irak-Kriegs gab es mehrere Zusammenstöße schiitischer und sunnitischer Extremisten in Kuwait

 

Im Laufe des Konflikts hat sich Kuwaits Position jedoch gewandelt: Mittlerweile beschränkt die Regierung sich auf Kommentare zur humanitären Situation und versucht ansonsten, Neutralität zu bewahren. Erst kürzlich,  im Juli 2013, kommentierte das Kabinettsmitglied Mohammad Abdullah Al Sabah: »Wir waren von Beginn der Krise an unpolitisch; wir sind weder für noch gegen Waffenlieferungen« – und spielte damit frühere Positionen des Kabinetts zu Syrien herunter.

 

Woher kommt der Sinneswandel? Bedenkt man, dass Kuwaits Lage weitaus komplizierter ist als die von Saudi-Arabien oder Katar – den Hauptsponsoren der syrischen Rebellen –, kommt die Wendung freilich nicht sonderlich überraschend. Während es in Katar gar keine Schiiten gibt und in Saudi-Arabien keine, die politisch eine Rolle spielen würden, macht der schiitische Bevölkerungsanteil in Kuwait zwischen 15 und 30 Prozent der rund drei Millionen Einwohner aus und ist wesentlicher Bestandteil der kuwaitischen Zivilgesellschaft – und der Regierung.

 

Manche bringen den Positionswechsel in Zusammenhang mit dem Beginn von bürgerlichen Protesten in Kuwait, die sich gegen innenpolitische Maßnahmen des Parlaments und Änderungen im Wahlgesetz richteten. Die Kuwaiter sind sich des Umstands bewusst, dass die konfessionelle Zeitbombe zu Hause jederzeit explodieren kann. Während des Iran-Irak-Kriegs gab es mehrere Zusammenstöße schiitischer und sunnitischer Extremisten in Kuwait – eine Erfahrung, die die meisten Kuwaiter nicht wiederholen möchten.

 

Auch die jahrhundertealten Stammesverbindungen zwischen Syrien und Kuwait sorgen dafür, dass sich konfessionelle Spannungen aus der Levante leicht hierher übertragen. Die große Zahl der Extremisten auf beiden Seiten ist Anlass genug für die Regierung, äußerst behutsam zu agieren.

 

Inoffizielle Finanzhilfen durch kuwaitische Privatgeldgeber dürften beträchtliche Summen ausmachen

 

Wie vorsichtig Kuwait ist, zeigt sich beispielsweise in der Art der finanziellen Verwicklung in den syrischen Konflikt. Offiziell fließt kuwaitisches Geld nur durch Organe der Vereinten Nationen nach Syrien, während Katar und Saudi-Arabien unbekümmert direkt die Rebellen dort unterstützen. Bei einer von Kuwait ausgerichteten Geberkonferenz für syrische Flüchtlinge einigten sich die USA, die EU und die Golfstaaten auf eine Summe von 1,5 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe.

 

Bezeichnenderweise war Kuwait der einzige Golfstaat, der seine festgelegte Beteiligung von 300 Millionen US-Dollar erreichte. Hinter dieser offiziellen Fassade verbirgt sich jedoch weitaus mehr: Inoffizielle Finanzhilfen durch kuwaitische Privatgeldgeber dürften beträchtliche Summen ausmachen. Obwohl jegliches Sammeln von Spenden in Kuwait einer Genehmigung bedarf – um sicherzustellen, dass Gelder »an die Richtigen gehen« –, besteht kaum Überblick über private Geldflüsse, da direkte Überweisungen von Kuwait nach Syrien aufgrund von Sanktionen nicht möglich sind.

 

Soviel steht jedoch fest: Spenden aus Kuwait sind überlebenswichtig für einige der syrischen Rebellen. Unter den Geldgebern aus Kuwait befinden sich Kleriker wie der Salafist Shafi Al-Ajmi und Oppositionspolitiker wie die früheren Parlamentsmitglieder Waleed al-Tabtabaie, Bader al-Dahoum, Osama al-Munawer oder Falah al-Sawagh. Sie sammeln Millionen von Dinar, die sie über die Türkei oder Jordanien in die Rebellenhochburgen transferieren.

 

Aufgrund der sunnitisch-islamistischen Ausrichtung der Geldgeber lässt sich annehmen, dass ein Großteil der Spenden an die drei mächtigsten und extremsten Rebellengruppen im syrischen Konflikt fließt: Dschabhat al-Nusra, Ahrar al-Scham und den syrischen Al-Qaida-Ableger. Vor allem bei Ahrar al-Scham ist bekannt, dass ein substanzieller Teil ihrer Gelder aus privaten kuwaitischen Quellen stammt, wie zum Beispiel der »Great Kuwait Campaign«, einer lokalen Salafistengruppe. Diese hat Berichten zufolge genug Geld gesammelt, um 12.000 syrische Rebellen zu bewaffnen.

 

Die religiöse Bezugnahme der Spendenaufrufe weckt Erinnerung an das Sammeln für den Dschihad in Afghanistan in den 1980er Jahren

 

Die religiöse Bezugnahme der Spendenaufrufe weckt Erinnerung an das Sammeln für den Dschihad in Afghanistan in den 1980er Jahren. Insbesondere die Aktivitäten des Salafisten Al-Ajmi haben in Kuwait merkliche Spannungen ausgelöst. In einer mit konfessionellen Anspielungen gespickten Rede bezeichnete er die syrischen Rebellen als »Mudschahedin«. Für Al-Ajmi und seine Alliierten ist der syrische Bürgerkrieg Teil eines umfassenderen Kampfes gegen den iranischen Einfluss und das Schiitentum generell.

 

Syrien ist nur ein Schlachtfeld, eine Etappe auf dem Marsch, durch den der Sieg gegen die Hizbullah im Libanon und letztendlich der Triumph über Iran errungen wird. Durch derlei Aussagen und den folgenden öffentlichen Aufschrei alarmiert, tadelten das Kabinett und das Parlament von Kuwait Al-Ajmis Aktionen. Selbst der Emir, Scheich Sabah IV. al Ahmed al-Sabah, schaltete sich ein und sagte im Staatsfernsehen, dass solche Akte »Fanatismus und Extremismus befeuern«.

 

Noch vor einigen Wochen schienen die sunnitischen Islamisten unbekümmert über den Verlauf der Ereignisse für die syrischen Rebellen, die seit der Schlacht von Qusair wieder auf der Verliererseite zu stehen scheinen. Sie gehen davon aus, dass die nächsten sechs Monate weitere Niederlagen für die Rebellen mit sich bringen werden – glauben aber auch, dass die Unterstützung durch die EU und die USA spätestens im nächsten Jahr Wirkung zeigen wird.

 

Mindestens ein Dutzend kuwaitische Kämpfer sind bislang in Syrien gestorben

 

Angesichts der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung stehen natürlich nicht alle Kuwaiter auf Seiten der Rebellen. Unterstützung für das Assad-Regime und die Hizbullah bleibt dem Beobachter freilich eher verborgen. Im Gegensatz zu den Sunniten zögern die kuwaitischen Schiiten, eine Position einzunehmen, die später negativ auf sie zurückfallen könnte. Ein Blick auf die Vertreibung der Palästinenser aus Kuwait 1991 genügt, um zu verstehen, was geschehen kann, wenn eine Bevölkerungsgruppe in einem Konflikt mit der falschen Seite sympathisiert.

 

Viele schiitische Islamisten Kuwaits äußern sich dahingehend, dass humanitäre Unterstützung durch die UN wichtiger sei als Waffenlieferungen an eine der Konfliktparteien. Nach ihrer Argumentation werde finanzielle Unterstützung welcher Seite auch immer nicht zu einer Lösung des Konflikts führen. Sowieso glauben die meisten von ihnen, dass der Bürgerkrieg kurz vor seinem Ende steht und dass die neueren Kämpfe zwischen Rebellen und kurdischen Milizen zeigen, wie verzweifelt und zersplittert Assads Gegner sind.

 

Eine diplomatische Lösung sehen die Schiiten als einzigen Weg, Syrien wieder aufzubauen. Mindestens ein Dutzend kuwaitische Kämpfer sind bislang in Syrien gestorben, vermutlich beteiligen sich derzeit einige Hundert an den Kämpfen. Mehrheitlich sind es kuwaitische Sunniten, die sich den Rebellen anschließen, obwohl es auch Gerüchte über die Verwicklung von Schiiten gibt.

 

Während die Regierung realpolitisch agiert und bei der Unterstützung syrischer Rebellen anderen Ländern die Führung überlässt, können Kuwaits Bürger weitgehend nach eigenem Ermessen handeln. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass konfessionelle Konflikte sich verstärken, die mittelfristig – wenn auch nicht so umfassend wie in Syrien oder direkten Nachbarländern – die kuwaitische Gesellschaft auseinandertreiben und der ohnehin funktionsgestörten politischen Kultur in Kuwait schaden könnten.

Von: 
Geoff Martin

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