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Jordaniens Wasserminister Muhammad al-Najjar

»Lieber einen höheren Pro-Kopf-Verbrauch einplanen«

Interview

Jordaniens Wasserminister Muhammad al-Najjar über ein Tarifsystem für Wasserverbrauch, einen Kanal zwischen zwei Meeren und wie Bevölkerungswachstum und Flüchtlingsfrage die Versorgungsplanung beeinflussen.

zenith: Können Sie kurz die drei größten Herausforderungen zusammenfassen, vor denen Jordanien im Hinblick auf Wasserknappheit steht?

Muhammad al-Najjar: Erstens, der Pro-Kopf-Verbrauch, zweitens, der Bedarf an Wasser in anderen Wirtschaftssektoren, drittens, die Kosten.

 

Wie planen Sie den erhöhten Wasserbedarf durch die syrischen Flüchtlinge zu decken?

Zunächst einmal hoffen wir, dass dies nur für eine kurze Zeit der Fall sein wird. Wir planen nicht ein, dass sie dauerhaft in Jordanien bleiben werden, jeder möchte in seine Heimat zurückkehren, das ist normal. Momentan sind wir verpflichtet, sie mit Wasser zu versorgen. Die Menschen in den Flüchtlingslagern befinden sich in der Verantwortlichkeit der internationalen Organisationen, der Vereinten Nationen. Ich weiß, dass das abgefüllte Wasser aus Saudi-Arabien kommt, aber das ist ja nur Trinkwasser. Für alles andere wird Wasser aus unseren Grundwasserreserven genutzt. Und solange wir unsere Grundwasservorkommen sowieso überstrapazieren, werden wir dies auch zum Wohle der syrischen Flüchtlinge tun. Selbst wenn dies bedeutet, dass wir für kurze Zeit mit der Überlastung noch einen Schritt weitergehen müssen, können wir sie nicht ohne Wasser belassen.

 

Jordaniens verfolgt Strategien für nachhaltiges Wassermanagement und Projekte wie »Water for Life«. Welche konkreten Ziele hat Jordanien bisher erreicht und was sind die nächsten Schritte?

Derzeit überarbeiten und entwerfen wir eine neue Strategie. Vor einigen Jahren hatten wir eher eine Mischung aus Vorschlägen, Strategien und Wunschdenken. Das wurde von vielen internationalen Organisationen kritisiert, weil alles auf zwei Mega-Projekten basierte, die die kurzfristigen Bedürfnisse hätten befriedigen sollen, aber nicht den Bedarf bis 2022 gesichert hätten. Wir können die Menschen nicht so mit Wasser versorgen wie einige reichere Länder, es gibt aber Grundbedürfnisse für jedermann. Die WHO gibt dafür 50-60 Liter pro Tag pro Kopf als adäquat an. Wir streben einen moderaten Verbrauch von Wasser an, sagen wir, 100 Liter pro Tag pro Kopf in der Stadt und 80 in den Vororten und auf dem Land. Unsere Analysen haben gezeigt, dass dies realistisch ist, der Verbrauch liegt sogar darunter. Aber vom Gesundheitsstandpunkt her ist es klüger, einen höheren Pro-Kopf-Wasserverbrauch einzuplanen, das gibt uns einen Puffer. Wenn wir also 100 Liter anpeilen, ist es unproblematisch auf 90 herunterzugehen, das kann uns wertvolle Zeit geben, um Investitionen herauszuzögern, abhängig von der wirtschaftlichen Lage in der Zukunft. Meine Pflicht ist es nicht, Sachen unbearbeitet zu lassen für diejenigen, die nach mir kommen, sondern für die Zukunft des Wassersektors zu planen und ihnen einen Vorsprung zu verschaffen. Bis dahin wird sich auch zeigen, ob unsere Prognosen für das Bevölkerungswachstum zutreffen oder nicht – und dann können andere wirklich für die Zukunft planen.

 

Wie werden Ihre Projekte finanziert? Werden Sie den Wasserverbrauch der Bevölkerung durch eingeschränkte Wasserlieferungen beschneiden?

Wir werden ein Wasserliefersystem entwickeln, das von den 100 Litern ausgeht. Unsere Reservoire werden auf dieser Basis berechnet werden. Wir werden Verbrauch nicht im Sinne von »Stoppen« beschränken. Ein gestaffelter Tarif wird Menschen davon abhalten, mehr zu verbrauchen. Sie können mehr verbrauchen, wenn sie es sich leisten können. Für die Zukunft hoffe ich, dass andere Maßnahmen ergriffen werden. Wir sind keine Organisation, die mit dem Verkauf von Wasser Profit schlagen will, sondern wollen verhindern, das diejenigen, die es sich leisten können, mehr konsumieren als sie brauchen. Wir müssen das Wasser an andere Menschen verteilen und wir müssen die Armen schützen. Deswegen wollen wir ja die gestaffelten Tarife, es wird Menschen mit einem hohen Verbrauch motivieren, den Verbrauch zu senken. Leute, die mehr als die 100 Liter nutzen, werden durch den hohen Preis bestraft.

 

Wie steht es mit den Plänen, das Rote und das Tote Meer durch einen Kanal zu verbinden?

Wegen der wachsenden Bevölkerung und dem Wasserverbrauch in anderen Wirtschaftssektoren brauchen wir neue Ressourcen für die Zeit nach 2020. Wir haben all unsere Vorkommen ausgeschöpft und nutzen alle verfügbaren Wasservorkommen, es gibt keine weiteren Quellen, die wir kultivieren könnten. Als wir über nachhaltige Ressourcen nachgedacht haben, begannen wir, das Entsalzen von Meerwasser aus dem Roten Meer in Betracht zu ziehen. Das Wasser soll dann dem Toten Meer zugeführt werden, so dass wir auch helfen würden, dessen Wasserspiegel wieder zu erhöhen. Erst würden wir das Absinken verringern, statt 1 Meter pro Jahr wären es vielleicht nur noch 60-65 Zentimeter im Jahr. Wenn wir mehr Frischwasser für die Haushalte brauchen, werden wir den Transport des Salzwassers vom Roten Meer erhöhen, bis ein Gleichgewicht erreicht ist, es soll soviel Wasser zugeführt werden, wie es der Verdunstungsgeschwindigkeit entspricht. Das ist der langfristige 5 Stufen-Plan, ab 2022 oder 2023, abhängig vom Bevölkerungswachstum und dem Wasserbedarf.

 

»Also hören die Pumpstationen auf zu arbeiten und wir können unsere Tanks und Laster nicht füllen«

 

Während des Sommers sollen aufgebrachte Menschen durch Amman gezogen und Autos und Gebäude beschädigt haben, um ihrem Ärger darüber Luft zu machen, dass sie seit Wochen auf dem Trockenen sitzen.

Das stimmt nicht – zumindest nicht in Amman. Wissen Sie, normalerweise liefern wir ein- oder zweimal die Woche Wasser, in manchen Gegenden im Norden nur alle zwei Wochen, aber das betrifft nur zwei Gouvernements. Aber im August haben einige, wenige Menschen in einigen Gegenden, kleinen Dörfern demonstriert. Es war Sommer und wir befanden uns in der Dürreperiode. Während des Sommers verursacht ein erhöhter Energieverbrauch Probleme mit der Elektrizität und einigen Wasserquellen, die mit Elektrizität betrieben werden. Die funktionieren nicht, weil die Energieversorger die Versorgung nicht aufrecht erhalten können. Also hören die Pumpstationen auf zu arbeiten und wir können unsere Tanks und Laster nicht füllen. Manche Menschen sind sehr ungeduldig, das ist nichts neues, das haben wir bereits seit 7,8 Jahren. Aber weil die Medien momentan die Region unter dem Gesichtspunkt des Arabischen Frühling beobachten, glauben sie, dass es ein neues Phänomen sei, wenn Menschen auf die Straße gehen und laut werden und an unsere Türen klopfen. Die Stimmung im Königreich ist so wie in anderen arabischen Ländern, hoffentlich wird das bald gelöst sein. Wir haben begonnen, die kleinen Durchmesser der Rohre und die Probleme mit der Stromversorgung in Angriff zu nehmen, sowie andere Schwierigkeiten, die die Versorgung behindern.

 

Israel gilt als sehr fortschrittlich im Bereich Wasserwiederaufbereitung und Abwasseranlagen. Wird es in Zukunft verstärkte technische Kooperation zwischen Jordanien und Israel geben?

Im Bereich Wasserwiederaufbereitung sind wir selber sehr fortschrittlich, wir verwerten all unser Wasser weiter.

 

Wird Jordanien im Jahr 2050 auf dem Trockenen sitzen?

Nein. Die Disi-Grundwasserquelle wird uns mit 100 Millionen Kubikmeter Trinkwasser zusätzlich zu dem, was wir jetzt haben, versorgen.Wenn wir das Bevölkerungswachstum und die 100 Liter pro Tag pro Kopf einrechnen sowie alle Vorsichtsmaßnahmen und Messungen im Hinblick auf Nachfragehochs, nicht erneuerbares Wasser oder undichte Stellen, dann wird die Versorgung bis 2022/2023 reichen. Ohne Bevölkerungswachstum kann Disi für über 100 Jahre die gleiche Menge an Wasser liefern. Würde die Bevölkerung in Jordanien nicht wachsen, bräuchten wir keine neuen Wasserquellen und wir wären glücklich mit unseren derzeitigen Vorkommen. Aber die Menschen werden mehr und mehr. Die Nachfrage steigt, nicht nur für den Hausgebrauch, auch für andere Sektoren: Wir brauchen Wasser für Nahrung, Wasser für Energie. Elektrizität ist in Jordanien sehr teuer, wir im Wasserministerium sind auch verantwortlich für Energieeffizienz. Das ist eine Sache, die wir mit unseren deutschen Freunden besprechen, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann. Wenn Sie mir versichern könnten, dass Jordaniens Bevölkerung konstant bleibt, wäre ich jetzt entspannter.


Muhammad al-Najjar ist seit 2009 Minister für Wasser und Bewässerung des Königreichs Jordanien. Al-Najjar hat einen Master in Umweltingenieurswesen von der Universität Krasnodar in Russland und arbeitet seit über 20 Jahren im Ministerium und der nationalen Wasserbehörde. Das Interview wurde am Rande des »2. Hamburger Wasserforum für die EMA-Region« (10. bis 12. September 2012) geführt.

Von: 
Laura Ginzel

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