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Jordanien und die Angst vor dem IS

Ammans Angst vor dem IS

Feature

Jordanien fühlt sich von den Gebietsgewinnen des »Islamischen Staates« (IS) bedroht: IS-Sympathisanten im eigenen Land, wirtschaftliche Probleme und die Massen an syrischen Flüchtlingen bringen das Land in eine heikle Situation.

Ende September war König Abdallah auf einer Basis der jordanischen Luftwaffe zu Gast. Nach den Luftschlägen der amerikanisch-arabischen Koalition gegen Ziele des »Islamischen Staates« (IS) in Syrien lobte der Monarch die an den Angriffen beteiligten Piloten für ihren Einsatz. Wenige Tage zuvor hatte Abdallah bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York zu einer Null-Toleranz-Politik gegenüber islamistischen Terrorgruppen aufgerufen und sprach dabei vom »wichtigsten Kampf unserer Zeit«.

 

Diese Aussage mag auch aus der Einschätzung der eigenen Sicherheitslage herrühren: Außer dem Irak und Syrien selbst fühlt sich derzeit wohl kein anderes arabisches Land von den rasanten Landgewinnen der IS-Dschihadisten so bedroht wie Jordanien. Zwar beschwor König Abdallah während seiner USA-Reise in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CBS die Sicherheit der jordanischen Landesgrenzen, doch nur wenige Monate zuvor schien diese Sicherheit alles andere als ungefährdet.

 

Mitte Juni schrillten in Amman die Alarmglocken, als sich die irakische Armee von der jordanisch-irakischen Grenze zurückzog. In der von sunnitischen Stämmen besiedelten Al-Anbar-Provinz im Hinterland der irakischen Grenze kontrolliert IS nunmehr schon seit Wochen die wichtigsten Straßen und Verkehrsknotenpunkte. Die weiter nördlich gelegene Grenze zwischen dem Irak und Syrien erstreckt sich mitten durch das Haupteinflussgebiet von IS und existiert bereits seit Juni nur noch auf dem Papier.

 

Jordanien verstärkte als Reaktion auf den irakischen Kontrollverlust über die Landesgrenzen seine eigenen Grenztruppen. Diplomaten waren bemüht, die Bedrohung Jordaniens durch IS herunterzuspielen, doch innenpolitisch leitete das Königshaus Schritte in die Wege, um dem wachsenden Einfluss von IS entgegenzutreten. Dabei scheint die jordanische Regierung einen zweigleisigen Pfad eingeschlagen zu haben: Auf der einen Seite ließen die jordanischen Behörden in den vergangenen Wochen rund 50 Menschen verhaften, die der Nähe zu IS verdächtigt wurden. Andererseits scheint der Sicherheitsapparat darauf zu setzen, Islamisten, die nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, gegen die IS-Dschihadisten in Position zu bringen. So entließen die jordanischen Behörden im Juni den Salafistenführer Assem Barqawi aus der Haft.

 

Die heikle Strategie des jordanischen Sicherheitsapparates

 

Er war 5 Jahre zuvor wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit und Rekrutierung zum Dschihad in Afghanistan zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Assem Barqawi gilt als Unterstützer der mit Al-Qaida alliierten Al-Nusra-Front und genießt unter Jordaniens Islamisten ein beträchtliches Maß an Popularität. Doch nach Einschätzung des jordanischen Sicherheitsapparates ist er ein Gegner von IS und deren staatsübergreifenden Kalifats-Ansprüchen.

 

Ein anderer Fall ist der von Mohamed Al-Zahiri, der in islamistischen Kreisen Jordaniens als »Al-Qaidas Poet« Bekanntheit erlangte und in seinen Gedichten die Erfolge der Al-Nusra-Front pries. Doch auch er gilt als Kritiker von IS und stellte auf Online-Posts deren Verfolgung von anderen Muslimen und Christen in Frage. Ende Juli wurde Mohamed Al-Zahiri wegen der »Verbreitung terroristischer Propaganda« verhaftet, doch bereits Anfang September wieder auf Bewährung aus der Haft entlassen. In seinen Online-Posts forderte Al-Zahiri jene Freiwillige, die sich IS angeschlossen haben, dazu auf, die Gruppe zu verlassen und sich der Nusra-Front anzuschließen.

 

Nach Aussagen jordanischer Salafistenführer kämpfen derzeit rund 1.800 Jordanier an der Seite von IS im Irak und Syrien. Die Zahl einheimischer militanter Sympathisanten mit IS liege bei ungefähr 2.000, wie Hasan Abu Hanya, ein Experte für dschihadistische Bewegungen in Jordanien, gegenüber Al-Jazeera vermutet. Er weist zudem darauf hin, dass nicht die Zahl der Kämpfer entscheidend sei, sondern deren Motivation, Organisationsgrad und Ausrüstung.

 

»Wenn 4.000 IS-Kämpfer die zweitgrößte irakische Stadt Mosul einnehmen konnten, kann man sich vorstellen, welch eine Gefahr von dieser Zahl an potentiellen Kämpfern auch für Jordanien ausgehen kann«, so Abu Hanya. Bereits im Juni gab es erste Solidaritätsbekundungen für ISIS in Jordanien: In der mehrheitlich von Beduinen bewohnten Wüstenstadt Ma'an im Süden des Landes protestierten Menschen gegen König Abdullah – und hissten dabei die schwarze ISIS-Fahne.

 

72 Prozent sehen nicht die Bedrohung durch IS als größte Herausforderung für das Land

 

Ein wesentlicher Grund der traditionell königstreuen Stämme im Süden des Landes gegen das Königshaus auf die Straße zu gehen, spielt dabei die wachsende wirtschaftliche Unzufriedenheit. In einer aktuellen Umfrage der University of Jordan befanden 72 Prozent der 1.800 Befragten nicht die Bedrohung durch IS als größte Herausforderung für das Land, sondern die wirtschaftliche Situation. Laut derselben Umfrage betrachten wiederum nur 62 Prozent der Befragten IS als Terrororganisation – was vermuten lässt, dass ein beträchtlicher Teil der jordanischen Bevölkerung ein Maß an Sympathie für IS hegt.

 

Die Sympathien für die Dschihadisten dürften dabei vor allem unter der konservativen Beduinenbevölkerung im Süden des Landes und in den Armenvierteln der Städte überdurchschnittlich groß sein. Gerade in den Armenvierteln der Großstädte ist auch der Zustrom syrischer Flüchtlinge am stärksten spürbar. Anfangs versuchte die jordanische Regierung die vor dem Bürgerkrieg geflohenen Syrer in Flüchtlingscamps nahe der Grenze zu konzentrieren, doch die von den Vereinten Nationen unterhaltenen Zeltstädte bieten keinerlei Arbeitschancen und Perspektiven.

 

So verkaufen viele Flüchtlinge ihr Zelt weit unter dem eigentlichen Wert an jordanische Beduinen und ziehen in die Großstädte weiter. Doch auch dort sinkt mittlerweile die Akzeptanz für die Geflohenen. Laut der Meinungsumfrage der Universität in Amman befürworten nur noch 19 Prozent der Befragten eine weitere Aufnahme syrischer Flüchtlinge, 79 Prozent hingegen sind dagegen. Die geläufigen Schätzungen gehen derzeit von einer Zahl von einer Million syrischer Flüchtlinge im 6 Millionen Einwohner zählenden Jordanien aus.

 

In seinem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CBS versuchte Abdallah diese Situation dem amerikanischen Publikum nahe zu bringen. »Eine Million bei einer Bevölkerung von 6 Millionen – versuchen sie sich einmal 60 Millionen Flüchtlinge in den USA vorzustellen.« Mit dieser Zahl habe Jordanien das absolute Limit an Flüchtlingen erreicht; schon jetzt sei die Situation ohne Hilfe von außen kaum mehr zu bewältigen, so der König.

Von: 
Martin Hoffmann

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